Interview Joachim Witt: „Zur Ruhe setze ich mich, wenn ich im Sarg liege“

Herr Witt, Sie sagen über Ihr neues Album &bdquo;Fels in der Brandung“, es sei wie eine musikalische Insel. Ein Hort des Trostes und der Zuversicht, in einer aktuellen Welt voller Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit. Sehen Sie sich als Fels in der Brandung? JOACHIM WITT: Das sehe ich schon so, aufgrund meiner Erfahrung und auch meines Alters. Ich habe viel erlebt und kann das ein oder andere an positiven Dingen, Erfahrungen und Ratschläge weitertragen. Meine Musik ist inhaltlich von dem geprägt, was mich bewegt, und ich gehe immer davon aus, dass die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, auch viele andere Menschen beschäftigen. Ihre Karriere gleicht einer Achterbahn. Trotz vieler Rückschläge haben Sie nie aufgegeben und sich und Ihre Musik über die Jahre immer wieder neu erfunden . . . Ja, ich bin drangeblieben und habe immer wieder von vorne angefangen. Das war mir sehr wichtig und das ist auch der Rat, den ich weitergeben möchte. Man sollte nicht so schnell aufgeben, auch die Rückschläge gehören dazu. Ich wollte nie Oberflächliches, Belangloses machen und mich auch nicht wiederholen. Dann habe ich eben lieber Pausen gemacht. Mit dem &bdquo;Goldenen Reiter“ schufen sie 1981 einen Mega-Hit und wurden nach einem Auftritt in der ARD-Show &bdquo;Musikladen“ zum Super-Star der Neuen Deutschen Welle. Wie haben Sie das erlebt? WITT: Man kann diesen Moment nur schwer rekapitulieren. Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl, der ganze Druck fiel von mir ab. Ich habe den Erfolg nicht einmal gefeiert. Später habe ich dann gedacht: Okay, Gott sei Dank, dass ich doch nicht so falsch gelegen habe. Ich wusste zwar sofort, dass das ein richtig toller Titel ist, aber zunächst einmal passierte rein gar nichts. Erst nach dem Aufritt in der TV-Show ging das Lied durch die Decke. Ist &bdquo;Der goldene Reiter“ eine Art Lebensversicherung? Der Titel hat mir viel Freude bereitet und ist wirklich eine Lebensversicherung. Das Lied berührt die gesellschaftlichen Vorgänge und Problematiken, auch in unserer heutigen Gesellschaft, wo viele an Burn-Out und Überforderung leiden. Es waren ja auch meine Probleme, meine Panikattacken, weshalb ich diese Nummer geschrieben habe. Es ist ein persönliches Lied, weil es auch mich beschreibt. Ich habe im Text mein eigenes Schicksal vorausgesehen. 1983 war der Erfolg plötzlich weg. Ich verlor alles. Die finanziellen Probleme liegen ja hinter Ihnen . . . Zum Glück. Aber ich kenne diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten von früher, und das hat mich immer sehr belastet. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, das war ein immenser Druck. Das liegt jetzt hinter mir. Diese Sorgen muss ich mir nicht mehr machen, ich komme gut zurecht. Allein vom &bdquo;Goldenen Reiter“ werden meine Kinder noch etwas haben. Auf der Bühne inszenieren Sie sich als der &bdquo;Godfather of Dark Rock“. Wie muss man sich Ihr Leben als Vater, Großvater und Ehemann vorstellen? Ich bin begeisterter Großvater und genieße es, Opa zu sein. Meine Tochter hat zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Die beiden sind vier und fünf Jahre alt. Ich tobe zwar nicht mit den Kindern durch die Gegend, aber ich freue mich immer, wenn ich Zeit mit ihnen verbringen kann. Aber am schönsten finde ich es, wenn sie &bdquo;Opi“ zu mir sagen, da geht mir richtig das Herz auf. Ich fühle mich dann total und bedingungslos geliebt. Vor 40 Jahren hätte ich das nicht für möglich gehalten. Allein diese Altersklassifizierung durch den Begriff fand ich schon so abstoßend. Singen Sie auch für Ihre Enkel? Nein, das finde ich peinlich (lacht). Neulich haben meine Enkelkinder mal ein Video gesehen mit mir. Sie nehmen jetzt schon mehr wahr. Meine Enkelin stand dann vor dem Fernseher und hat sehr verwundert geschaut. Sie hat es natürlich noch nicht verstanden. Es war für sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen, weil sie mich ja ganz anders erlebt. Aber ihre Reaktion war schon sehr niedlich. Seit Ihrem Album &bdquo;Rübezahl“ 2018 haben Sie auch einen Rübezahl-Bart. Der bleibt auch in Zukunft? Ja, der Bart bleibt! Ich trage ihn jetzt nicht mehr so lang, er ist ein bisschen gestutzt. Ich mag ihn sehr. In dem Alter, in dem ich jetzt bin, finde ich einen Bart ganz gut. Er lenkt von den Partien im Gesicht ab, die im Alter unattraktiv werden (lacht). Mit Ihrer Frau Juliane sind Sie seit 17 Jahren zusammen, vor fünf Jahren haben Sie geheiratet. Was ist Ihr Glücks-Geheimnis? Vielleicht ist es ganz einfach: Wir regen uns nicht über jeden Mist auf. Es ist ein sehr respektvolles Miteinanderumgehen. Wir liegen im Gefühlsbereich auch nicht weit auseinander, so dass das Verständnis für den anderen immer da ist. Dass man nachvollziehen kann, wie der andere denkt. Wir ärgern uns zum Beispiel nicht über diese Beziehungskinderkrankheiten, wer wann aufräumt, oder wer wann die Spülmaschine ausräumt. Diese ganzen Dinge, die sich irgendwann zu einem Problem aufbauen, und an denen Beziehungen oft zerbrechen, das gibt es bei uns nicht. Bei vielen Paaren kommt ja nach einer gewissen Zeit auch eine gewisse Respektlosigkeit in die Beziehung oder man demaskiert den Partner vor anderen. Das sind die Grundsünden einer Beziehung, das geht nicht. Was macht Sie glücklich? Es macht mich glücklich, unbeschwert leben zu können. Unbeschwert von irgendwelchem Druck von außen. Auch wirtschaftlich unbeschwert leben zu können, ist für mich ganz wichtig. Das Wichtigste für mich ist es, eine glückliche Beziehung zu haben, eine glückliche Familie. Das steht über allem. In den Ruhestand wollen Sie nicht gehen? WITT: Ruhestand ist für mich keine Option. Ich liebe es, Musik zu machen. Solange ich mich fit fühle, mich körperlich und geistig gut bewegen kann, werde ich weitermachen und für meine Fans auftreten. Ich bin noch immer sehr neugierig, stecke voller Ideen. Zur Ruhe setze ich mich erst, wenn ich im Sarg liege. Sie haben Fans in allen Strömungen und mehreren Generationen. Mit Ihrem neuen Album &bdquo;Fels in der Brandung“ gehen Sie ab Mitte September auf eine kleine Club-Tour, die Konzerte in Berlin und Leipzig sind schon jetzt ausverkauft. Das freut mich sehr. Im Osten bin ich ja eine Burg. Da habe ich viele treue Fans und die fühlen sich auch immer total verstanden. Warum glauben Sie, ist das so? Ich strahle etwas aus, was mit sozialem Verständnis zu tun hat. Das ist auch in meinen Texten der Fall und das habe ich auch erlebt, als ich nach der Wende da war. Im Osten haben die Menschen eine andere Sozialisierung erfahren. Sie gehen einfach besser miteinander um. Das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt, und ich denke, das spüren die Menschen. Sie haben im Laufe der Jahre viel ausprobiert, Rock, Pop, NDW, Dark Wave, Gothic. Zuletzt inszenierten Sie sich gerne düster, hart, martialisch. Wie sehr entspricht Ihnen das? In den letzten Jahren habe ich erlebt, dass sich viele Menschen aus der Gothic-Szene von meiner Musik angesprochen fühlen. Ich denke, es liegt daran, wie ich Texte gestalte und Themen behandle. Persönlich bin ich kein düsterer Typ, sondern grundsätzlich ein positiver Mensch. Klar, bin ich nachdenklich und tiefgründig. Die Tiefe macht eben das Seelenleben aus. Aber ich sehe mich selbst als sehr humorvoll an und suche gerne die lustigen Momente im Leben.

Mehr zum Thema