Interview Dieter Birr: „Alle meine Lieder sind wie meine Kinder“

Herr Birr, Ihr neues Album &bdquo;Große Herzen“ ist ein Appell an Toleranz, Empathie und Frieden. Es geht also um Themen, über die immer schon Musik gemacht wird. Trotzdem ist die Welt genau das Gegenteil. Wie kommt das? DIETER BIRR: Tja, keine Ahnung! Die Welt ist eben nicht so, wie man sie sich wünscht. Wenn das alles so einfach wäre, wenn man mit Liedern die Welt verändern könnte, dann würde es keine Kriege geben, alle Menschen würden sich wunderbar verstehen, es gäbe keine Verbrechen und keine Morde. Ist aber nicht so! Trotzdem singe ich persönlich lieber über meine Wunschvorstellungen, um so vielleicht etwas Gutes anzustoßen oder zu erreichen. Das ist immer noch besser als zu singen, dass wir alle verloren sind und dass wir nichts hinkriegen. Das Lied &bdquo;Bessere Tage“ thematisiert die Corona-Lockdowns und die Hoffnung auf baldige Normalität. Das Video dazu wurde damals mitten in Berlin auf menschenleeren Straßen gedreht. Wie haben Sie als Künstler diese Zeit überstanden? Ganz gut, finanziell hat mich das Ganze nicht getroffen, ich bin ja schließlich schon lange genug im Geschäft. Wenn ich mich aber in meiner Branche umschaue, sind viele junge Musiker auf der Strecke geblieben. Viele Techniker und Roadies, die damals plötzlich nicht mehr arbeiten durften, haben jetzt andere Berufe. Doch gerade jetzt werden sie dringend gebraucht. Wir und viele andere Bands können froh sein, überhaupt auf Tour gehen zu können. Einige Musiker sind in dieser Zeit vor Autos aufgetreten. Kam das für Sie auch in Frage? Nein. Ich habe nie vor Autos gespielt! Das wollte ich nicht. Für mich bedeutet ein Konzert, Kontakt zu den Leuten zu haben. Schweiß, das Licht, das Klatschen, echte Menschen und echtes Publikum, und keine Autos, die statt zu applaudieren hupen und blinken. Irgendwie ist das doch deprimierend. Oder die Sache mit den Strandkörben. Da fand ich Helge Schneider so witzig, der sagte, dass er das nicht kann. Kann ich verstehen. Klar, das waren Versuche und man hat festgestellt, dass das nicht funktioniert. Für dieses Jahr planen Sie wieder eine größere Tour. Vor welche Herausforderungen stellt Sie das mit mittlerweile 78 Jahren? Vor gar keine. Musik machen macht Spaß. Es ist ja keine so große körperliche oder geistige Anstrengung wie in einem Bergwerk zu arbeiten oder Arzt oder Chirurg mit einer großen Verantwortung zu sein. Klar, es ist anstrengend, nach einem Konzert mitten in der Nacht zum nächsten Ort zu fahren und wenig zu schlafen. Aber das ist eine positive Angelegenheit, also positiver Stress. Wenn ich am nächsten Tag, weil ich übermüdet bin, mal einen falschen Ton spiele, dann ist das kein Problem. Wenn ein Arzt einen Fehler macht, ist das etwas ganz anderes. Sie haben im Laufe Ihres Lebens mehr als 500 Lieder geschrieben. Können Sie sich noch an alle erinnern – und welcher Song war/ist Ihr wichtigster? Alle meine Lieder sind wie meine Kinder. Rückblickend und noch immer wirkungsvoll in der heutigen Zeit ist für mich &bdquo;Das Buch“ von den Puhdys. Die Aussage des Songs über den großen und kleinen Frieden von Menschen ist noch immer aktuell und berührt einen genauso wie damals. Vom Erfolg her war er genauso breitenwirksam wie &bdquo;Alt wie ein Baum“. Besonders stolz bin ich auf &bdquo;Eisbären“, weil dieser Song erst nach der Wende entstanden ist. Den hatte ich ja für die Eishockeymannschaft geschrieben, die damals angefragt hatten, ob die Puhdys ein Lied für sie machen könnten. Dass der so durch die Decke geht, hat keiner geahnt. Ich dachte, der soll nur im Wellblechpalast bei den Heimspielen gespielt werden, aber plötzlich sangen und brüllten die Leute überall &bdquo;Eisbären“. Das ging unglaublich schnell, plötzlich hatten wir aus Versehen einen Hit, obwohl er nicht promoted oder im Radio gespielt wurde. "Einen Vergleich mit Udo Lindenberg würde ich mir nie anmaßen." In den Medien werden Sie zuweilen als &bdquo;östliches“ Pendant zu Udo Lindenberg oder auch &bdquo;Mick Jagger des Ostens“ genannt. Finden Sie das auch? Na ja, das ist schon schmeichelhaft. Die Puhdys wurden ja schon zu DDR-Zeiten als die &bdquo;Stones des Ostens“ bezeichnet. Das ist natürlich eine Floskel, aber klar, man nimmt so einen Vergleich gerne augenzwinkernd an. Aber einen Vergleich mit Udo Lindenberg, das würde ich mir nie anmaßen. Ich weiß, dass er selbst auch sehr bescheiden ist und sich gefreut hat wie ein kleines Kind, dass er in den Charts die Nummer 1 wurde. Lindenberg ist ein bemerkenswerter Mann, der wirklich einfach sein Ding gemacht hat. Für viele war er ja schon weg vom Fenster, und dann, mit einem Schlag, ist er zurück und hat einen Wahnsinnserfolg. Und alle sind drauf eingestiegen. Das ist faszinierend. Von daher, ich bin selbstkritisch genug, mich nicht zu vergleichen. Das Ende der Puhdys war ja eher unschön: Streitigkeiten und zuletzt die Klage um das Urheberrecht der Lieder, den Sie gewannen. Haben Sie noch Kontakt zueinander? Nö, wir leben so jeder für sich. Es passiert nichts weiter und wird es auch nicht. Ich sag mal so: Der Verband ist ab, aber die Wunde ist noch nicht verheilt. Ihren Spitznamen &bdquo;Maschine“ sollen Sie haben, weil Sie damals immer Hunger hatten und essen konnten wie eine &bdquo;Fressmaschine“ – ist das immer noch so? Und was ist Ihr Lieblingsessen? Am liebsten Gebratenes und Gesottenes. Und natürlich nach wie vor noch immer Currywurst (lacht). Die Fressmaschine ist also noch immer aktiv, nur nicht mehr ganz so doll wie früher. Ich muss ja mittlerweile auch auf meine Linie achten. Ich muss zugeben, früher habe ich oft doppelt gegessen, weils so gut geschmeckt hat, Steaks mit Pommes und so. Will ich aber gar nicht mehr, wenn man so voll gefressen ist, fühlt man sich wirklich nicht wohl. Spätestens zwei Stunden vor dem Konzert esse ich grundsätzlich fast gar nichts mehr. Sind Sie eigentlich aufgeregt, bevor Sie auf die Bühne gehen? Kommt drauf an, zu welcher Gelegenheit. Wenn man auf einem Festival mitspielt, dann hat man etwas mehr Aufregung, weil man ja nicht genau weiß, wie das Publikum reagieren wird. Wenn ich selbst ein Konzert gebe, bin ich deutlich ruhiger, weil ich weiß, dass die Leute nur meinetwegen gekommen sind. Was machen Sie, wenn Sie mal nicht Musik machen? Dann höre ich Musik (lacht). Oder ich gehe mit dem Hund spazieren, schaue Fernsehen, kaufe im Supermarkt ein. So normale Sachen halt. Während der Pandemie war ich immer ganz glücklich, einkaufen gehen zu können, damit ich mal rauskomme und was zu tun habe. Werden Sie beim Einkaufen erkannt? Fast immer! Das ist okay, kein Problem. Es ist nie lästig, sondern eigentlich immer ganz nett: Die Leute sehen mich, freuen sich und grüßen, und ich grüße dann zurück, obwohl ich die meisten von ihnen nicht kenne. Und dann gehen wir weiter. Mit 78 Jahren blicken viele auf ihr bisheriges Leben zurück. Was ist Ihr Fazit? Mein Fazit ist, dass ich zufrieden bin mit meinem Leben und mit dem, was ich geschaffen habe. Manchmal glaube ich das alles selbst nicht. Und doch muss ich mich manchmal ermahnen, bescheiden zu sein. Ich habe zwischendurch immer noch den Ansporn, noch mehr zu machen und noch mehr erreichen. Aber dann sage ich mir: &bdquo;Gut, ich war in den USA noch nie Nummer Eins, aber ich war in der DDR mehrmals Nummer Eins. Das ist doch was. Sei zufrieden.“ Und das bin ich auch. Ich bin zufrieden und dankbar, dass ich mein Leben lang so kreativ sein konnte und viele Lieder in die Welt gesetzt habe, die mich überleben werden. Das ist ein schönes Gefühl. Und es geht ja weiter. Bisher jedenfalls ist keine Rockerrente geplant.

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