Forschungsschwerpunkt in Detmold Hans Werner Henze: Star-Komponist aus OWL weckt neues Interesse

Detmold. Lange Zeit blieb Hans Werner Henze in seiner ostwestfälischen Heimat weitgehend unbeachtet. Seine Geburtsstadt Gütersloh richtete ihm zwar seit 1986 hochkarätig besetzte Konzertreihen aus, zu denen Henze auch stets persönlich anreiste. Ansonsten blieb es in der Region auffällig still um den weltweit gefeierten Komponisten. Das scheint sich zu ändern. An der Musikhochschule Detmold entsteht zurzeit ein Forschungsschwerpunkt zu Henze. Seine Privatbibliothek aus seiner Villa La Leprara südlich von Rom wurde nach Detmold geschafft. Dort soll das aus Büchern und Noten bestehende Konvolut künftig in der Musikbibliothek der Hochschule öffentlich zugänglich sein. Das erste große wissenschaftliche Henze-Projekt in Detmold ist die Erschließung und digitale Veröffentlichung seiner Briefwechsel mit den Librettisten seiner Opern und Vokalwerke der 50er und 60er Jahre. Die Herausgabe soll &bdquo;schrittweise bis 2026“ erfolgen, sagt Antje Tumat (51), Professorin am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn. &bdquo;Ein großer Vorteil der digitalen Veröffentlichung ist die viel leichtere Vernetzung mit anderen Forschungsergebnissen und Quellen“, so die Henze-Expertin. Die ersten der insgesamt 600 Briefe sollen Anfang nächsten Jahres online gestellt werden. Interesse an Henzes Werk noch gewachsen Zehn Jahre nach Henzes Tod hat das Interesse an dem Komponisten nicht nachgelassen, es scheint eher zu wachsen. Die Aufführungszahl seiner Werke zieht nach dem Corona-Lockdown generell wieder an. An der Berliner Staatsoper Unter den Linden kam gerade mit &bdquo;La piccola Cubana“ eine kammermusikalische Fassung seiner Fernsehoper &bdquo;La Cubana“ heraus. Auch die Musikforschung scheint Henze neu zu entdecken. Insbesondere sein explizit aus der Tradition heraus entwickelter Kompositionsstil und seine in den Werken deutlich werdende politische Haltung finden Aufmerksamkeit bei einer jüngeren Forschergeneration. Elf internationale Musikwissenschaftler gaben am vergangenen Wochenende in Detmold bei einem Symposium Einblicke in ihre aktuellen Henze-Forschungen, etwa zu seinen frühen Opern und Filmmusiken. &bdquo;Henze wäre glücklich darüber, so vorgestellt zu werden“, sagte Michael Kerstan am Samstag bei einer Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen und Wegbegleitern des Komponisten. Kerstan ist der letzte Lebensgefährte des 2012 gestorbenen Komponisten und seit 2013 Direktor der Hans-Werner-Henze-Stiftung, Henze, geboren 1926, wuchs in Gütersloh, Bielefeld und Bünde auf, arbeitete nach dem Krieg als Korrepetitor am Bielefelder Theater. Ab 1946 studierte er Musik und stieg zu einem der gefragtesten Komponisten seiner Generation auf. Gleichzeitig fühlte er sich in der BRD wegen seiner Homosexualität und aufgrund von Anfeindungen aus dem Lager der damals tonangebenden Avantgarde als Außenseiter. 1953 zog er nach Italien, trat dort in die kommunistische Partei ein. Das politische Engagement sorgte in Deutschland für einen spektakulären Skandal. 1968 platzte in Hamburg die Uraufführung des Oratoriums &bdquo;Floß der Medusa“. Peter Petersen, emeritierter Musikprofessor aus Hamburg und einer der ersten Musikwissenschaftler, die Henze akademisches Interesse entgegenbrachten, erinnerte sich auf dem Podium lebhaft an den &bdquo;Einmarsch der Polizei“, ein &bdquo;brutales Ereignis“. Ebenfalls 1968 solidarisierte sich Henze in Bielefeld mit den Protesten gegen die Namensgebung der neuen Kunsthalle. Die geplante Eröffnungsfeier und die Uraufführung des zu diesem Anlass bei ihm in Auftrag gegebenen Klavierkonzerts fielen ins Wasser. Ingeborg Bachmann im Swimmingpool Gastón Fournier-Facio aus Rom berichtete über Henzes musikpädagogisches Wirken: &bdquo;Das hat mein Leben geändert.“ Facio leitete in Montepulciano auf Henzes Geheiß ab 1976 ein 15-köpfiges Jugendensemble, das 1980 Henzes Kinderoper &bdquo;Pollicino“ uraufführte, sein bis heute meistgespieltes Werk. Simon Obert, Kurator der Paul-Sacher-Stiftung, vermittelte einen Eindruck von der enormen Fülle der in Basel gelagerten Henze-Materialien. Michael Kerstan erzählte von zwei kürzlich entdeckten Super-8-Filmen, die die Dichterin und Henze-Freundin Ingeborg Bachmann 1966 &bdquo;schwimmend im Pool“ von La Leprara zeigten. Henzes Villa wurde unlängst verkauft, nachdem sich weder in Deutschland noch in Italien Geldgeber für den Erhalt als musik- und gesellschaftshistorische Stätte finden ließen. Zum Abschluss des Symposiums erklangen Auszüge aus Henzes Rezital &bdquo;El Cimarrón“ (1970). Die Musikhochschule, hieß es, will Henzes Werke künftig regelmäßig ins Programm nehmen und auch in der Region aufführen.

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