Fotokunst "Dark Matter": So ist die neue Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld

Bielefeld. Düsseldorf oder Essen? Nach jahrelangem Ringen steht seit Kurzem fest, dass das geplante Deutsche Fotoinstitut in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt kommen soll. Beide Städte hatten in den Bewerbungen ihre reiche Fototradition in die Waagschale geworfen. Auch Bielefeld hätte gute Gründe für sich als Fotostadt gehabt, wegen seiner geografischen Randlage aber wohl wenig Chancen im Rennen um die 43 Millionen Euro schwere Staatsinvestition. Welche maßgeblichen Foto-Impulse seit den 60er Jahren aus Bielefeld kamen, ist derzeit – indirekt – in der aktuellen Ausstellung &bdquo;Dark Matter“ der Kunsthalle Bielefeld zu sehen. Gezeigt werden unter anderem Arbeiten des Fotografen Thomas Ruff, einem prominenten Vertreter der &bdquo;Düsseldorfer Schule“, der in Kunstmarkt-Rankings neben Künstlern wie Gerhard Richter, Joseph Beuys oder Georg Baselitz weltweit unter den Top Ten zu finden ist. Von Ruff werden in der Ausstellung mehrere Beispiele aus dessen Großformat-Serie &bdquo;Substrat“ (seit 2001) präsentiert: faszinierende unscharfe Farbstrudel, digital erzeugt aus Dutzenden Überlagerungen japanischer Manga-Comicbilder aus dem Internet. Solche kameralos erzeugten Fotografien haben mit den nüchternen Schwarz-Weiß-Bildern von Ruffs Lehrern, den Begründern der &bdquo;Düsseldorfer Schule“, Bernd und Hilla Becher, vordergründig nichts mehr zu tun. Sehr viel aber mit einem kreativen Anstoß aus Bielefeld: &bdquo;Generative Fotografie“. &bdquo;Wir haben uns gut verstanden“, sagt Gottfried Jäger (85) lächelnd. Der 2002 emeritierte Professor für Fotografie an der Bielefelder Fachhochschule (FH) erhielt unlängst in seiner Altbauwohnung im Zentrum Bielefelds Besuch von Thomas Ruff und dem US-Fotografen James Welling, der sich mit Ruff die aktuelle &bdquo;Dark Matter“-Schau teilt. Die Wohnung ist zugleich Jägers Archiv in eigener Sache. An den Wänden viele Beispiele seiner abstrakten Fotokunst. Analoge, mithilfe von Licht erzeugte Bilder aus den 60er Jahren, die aus heutiger Sicht sehr digital anmuten. Auch sie hätten einen zentralen Aspekt der Kunsthallen-Ausstellung erhellen könnten: Fotografie bildet nicht mehr nur Wirklichkeit ab, sie macht auch Realitäten sichtbar, die dem menschlichen Auge nicht ohne Weiteres zugänglich sind. &bdquo;Zeigen, dass die Kamera mehr kann“ Jäger gilt als Spezialist auf diesem Gebiet. Er sieht sich als &bdquo;Fotograf der Innenwelt“, der &bdquo;latente Bilder“ zum Vorschein bringt, der zeigt, dass die Kamera &bdquo;mehr kann“. Er hat Verständnis dafür, dass die &bdquo;Bielefelder Schule der Fotografie“ in der Kunsthallen-Ausstellung nicht vorkommt. &bdquo;Das wäre zu viel geworden“, sagt er. Im Gegenteil, er zeigt sich sehr angetan von der Schau und der Tatsache, dass zwei solche internationale Stars der Fotoszene in Bielefeld zu sehen sind. 1968 führte Jäger mit der Ausstellung &bdquo;Generative Fotografie“ im Bielefelder Kunsthaus, dem Vorläufer der Kunsthalle, ein gewagtes künstlerisches Programm in die Fotografie ein: mit handwerklichen Mitteln und wissenschaftlicher Methodik neue ästhetische Strukturen, eine eigene Bildwelt erzeugen. Das stieß in traditionellen Fotografie-Kreisen zunächst auf Ablehnung. &bdquo;Viele Kollegen sind über mich hergefallen, sprachen von einer 'degenerativen' Fotografie“, erinnert sich Jäger. Inzwischen ist er als einer der wichtigen Fotografen und Foto-Theoretiker anerkannt. Mit seiner ungegenständlichen Fotografie und ihrer wissenschaftlichen Verankerung unter anderem bei jährlich in Bielefeld veranstalteten Symposien hat er neben Bernd und Hilla Becher (Düsseldorf) und Otto Steinert (Essen) Generationen von Fotografinnen und Fotografen beeinflusst. Adrian Sauer, der Nachfolger auf seinem Bielefelder Lehrstuhl, studierte in Leipzig. Auch in seinem Werk hinterließ die Generative Fotografie deutliche Spuren. Vom Kunstmarkt wird Jäger ebenfalls wahrgenommen. Im vergangenen Jahr stellte er in seiner New Yorker Galerie aus. Im Februar nächsten Jahres widmet ihm das Sprengel Museum in Hannover eine umfangreiche Retrospektive. Lücken an den Wänden in Jägers Wohnung verweisen darauf, dass die Vorbereitungen dazu laufen. &bdquo;Wir haben schon mal davon geträumt“ Jäger wird dafür gerühmt, den Anspruch der Fotografie als Kunstform entscheidend mitbegründet zu haben, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Der 85-Jährige betont, dem Begriff der Kunst gegenüber stets eine &bdquo;gewisse Skepsis“ bewahrt zu haben: &bdquo;Ich dachte immer, das ist nichts für mich.“ Fotografenlehre, Gesellenjahr, Meisterprüfung, Ingenieursstudium in Köln – Jäger lernte das Metier von der Pike auf. Lange Zeit war sein Werdegang handwerklich bestimmt. 1960 kam er als Technischer Lehrer für Fotografie an die Werkkunstschule Bielefeld. Mit Gründung der FH Bielefeld 1972 wurde er Professor für Fotografie, nachdem er im Berufungsverfahren auch seine &bdquo;künstlerische Befähigung“ unter Beweis gestellt hatte. Im Ruhestand promovierte er zum Dr. phil., mit einer Arbeit über den Bielefelder Fotografen Carl Strüwe (1898-1988), ein Pionier der Mikrofotografie-Kunst. Noch immer macht Jäger den Eindruck, als wenn die Kunst gewissermaßen unter der Hand zu ihm, dem geborenen Tüftler und spielerisch veranlagten Techniker, gekommen ist. Die Bedeutung der Bielefelder Schule der Fotografie stellt er nicht unter den Scheffel, aber er weiß sie realistisch einzuschätzen. Das Deutsche Fotoinstitut bekommt Bielefeld nicht, aber Jäger erinnert enthusiastisch an das &bdquo;Bielefelder Fotomuseum in Gründung“, wie es schwarz auf weiß in einer Broschüre von 2009 zur Schaffung einer &bdquo;Bielefelder Museumslandschaft“ steht. &bdquo;So weit“, sagt Jäger, &bdquo;haben wir es immerhin gebracht. Wir haben schon mal davon geträumt“.

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