Interview Frontmann der Sportfreunde Stiller: "Ich bin dankbar für unsere Krise"

Herr Brugger, wie geht es Ihren an Corona erkrankten Bandkollegen Florian Weber und Rüdiger Linhof? Rüde hat keine Symptome, Flo hat eine schlimme Nacht gehabt. Als es mich vor zwei Monaten erwischt hat, wurde es auch nach einem ätzenden Tag besser. Wie fühlt sich die Tourunterbrechung für Sie an? Es ist einfach frustrierend. Wir hatten so einen schönen Tourstart, haben uns auf die Leute und die Musik gefreut. Und dann kam die Virusgrätsche. Bis dahin war die Pandemie weitestgehend vergessen? Ja, ich vergesse es komplett, wenn ich drin bin. Es kommt erst danach immer wieder auf. Ich habe einen ganz schönen Detscher durch diese zwei Jahre mitbekommen. Ich bin selten befreit in der Vorfreude auf irgendwas. Es ist eine große Herausforderung, nicht alles zu skeptisch zu sehen. Ihre aktuelle Single "Ich scheiß auf schlechte Zeiten" passt ziemlich gut zu der Situation. Das Lied kam mir auch in den Sinn. Ich habe noch mal für mich geprüft, ob ich diese Aussage vertreten kann. Das ist ja erst mal so lapidar hingerotzt. Aber dieser Trotz tut gut. Ich denke mir, hock dich nicht zu Hause hin und lass dich in eine Depression gleiten. Das Lied hat eine Berechtigung. Aber Sie mussten spüren, dass die Pandemie nicht vorbei ist. Bei uns ist sie gerade definitiv nicht vorbei. Dennoch wünsche ich mir für unsere Gesellschaft politisch einen Umgang der Selbstverantwortlichkeit und der Einordnung dieser Krankheit irgendwohin, wo sie hingehört. Die Kultur, die Clubs trifft es so krass. Es muss so sein: Wer krank ist, bleibt zu Hause. Wer nicht krank ist und das Risiko in Kauf nimmt, geht hin. Ich habe keine Lust mehr auf halbe Kapazitäten. Die Zeit des Einschränkens durch den Staat ist vorbei. Sie hatten eine lange Bandpause, nur drei Treffen in drei Jahren. Ihr Schlagzeuger Florian Weber sagte, Sie wussten nicht, worüber Sie reden sollten. Wir hatten eher Angst davor, das anzusprechen, was zu sagen wäre. Daraus entstand die Sprachlosigkeit. Wir haben uns schwergetan, wieder aufeinander zuzugehen. Zum Glück haben wir irgendwann die Kurve gekriegt. Ohne etwas aufarbeiten zu müssen, sondern um zu schauen, was die Musik mit uns macht. Das war das Beste, was wir tun konnten. Was stand zwischen Ihnen? Das kennt wahrscheinlich jeder aus einer intensiven Beziehung. Da ist eine Liebesbeziehung nicht anders als eine Bandbeziehung. Die ist in so einem Dreierkonstrukt vielleicht sogar noch komplizierter. Wir haben den unbedingten Willen, es so gut wie möglich zu machen, und beharren manchmal darauf, dass die jeweilige Sicht die allerbeste ist. War eine Auflösung Thema? Uns war nicht genau klar, wann und ob es weitergeht. Flo hat darunter sehr gelitten und gefragt: "Gibts uns eigentlich noch?" Ich bin sehr dankbar für die Erfahrung, als Band durch eine Krise durchgegangen zu sein. Ich finde es wertvoll, um das, was man hat, zu kämpfen. Auch wenn das zwischendurch mal verloren geht. Warum wurde die Veröffentlichung Ihres neuen Albums "Jeder nur ein X" verschoben? Ein Albumrelease im Jahre 2022 ist anders als 2016. Da hat sich viel getan. Streaming hat eine wahnsinnige Bedeutung. Wie man die Musik an die Leute bringt, ist einfach anders geworden. Das braucht Zeit. Drei Tage nach Albumrelease werden Sie 50. Wie klingt das? Die Zahl ist krass und unwirklich. Auf der anderen Seite ist es irgendwie egal. Wenn ich mit der Band unterwegs bin, ist mein Leben ziemlich gleich wie vor 25 Jahren. Und gleichzeitig passt das Alter in einem anderen Bereich meines Lebens sehr gut: als Familienmensch und Vater. Passt beides gut zusammen? Das versuche ich zu trennen, weil ich zu Hause nicht mit ausgestreckten Armen rumlaufe und bejubelt werden will. Oder ich würde es schon wollen, aber es funktioniert nicht (lacht). Haben Sie einen Lieblingssong auf dem neuen Album? "Juunge" mag ich sehr gerne. Diese sehnsüchtige Nostalgie, darauf stehe ich. Ein Indie-Sound, der nicht in den 90ern verortet ist, sondern im Jetzt. Das ist uns gut gelungen. Behandeln Sie auf dem Album auch den Ukraine-Krieg? Tatsächlich ist ein Lied nach dem russischen Einmarsch entstanden, der Titelsong "Jeder nur ein X". Einerseits ist es traurig, dass uns danach war, so ein Lied zu schreiben. Andererseits spiegelt es unsere Stimmung in den ersten zwei Kriegswochen wider. Man gewöhnt sich an die krassesten Sachen, aber ich finde diesen Krieg immer noch unfassbar. Gab es vorher einen alternativen Arbeitstitel? Wir waren kurz davor, das Album "Grunge" zu nennen. Dann waren wir aber froh, dass das Lied mit dem vielschichtigen Titel noch gekommen ist. Aber der Sound bei "Spektakulär" oder "Drama mit dem Karma" ist eher Dance als Grunge. Ich hatte Bock, dass mal getanzt werden kann. In einer Art, wie man als fast 50-Jähriger tanzt (lacht). Also wird bei Ihren Konzerten zu wenig getanzt? Ich würde natürlich nie dem Publikum den Vorwurf machen. Man kann ja nur zu dem tanzen, was von der Bühne runterkommt. Und wir sind allesamt ein bisschen hüftsteif. Wie klappt das bei der Tour? Bei "Im Alright" hatte ich in Karlsruhe einen guten neuen Livemoment. Ich habe zum ersten Mal überhaupt ohne Gitarre gesungen. Mit ein bisschen Bammel, weil ich mich nicht mehr an der Gitarre festhalten konnte. Das hat echt gebockt. Ich habe sogar ein bisschen getanzt, das Publikum auch. Davor hats mich beim Radausflug in der City auf die Fresse gehauen. Vielleicht war das der Auslöser. Ah, daher die Schrammen im Gesicht. Aber es geht Ihnen gut? Ich hatte so Glück. Man hört ja das Übelste von Fahrradunfällen. Aber ich bin mit Schürfwunden davongekommen. Nach 30 Jahren hören Fettes Brot auf, weil sie sich "auserzählt" fühlen. Würden Sie das ähnlich machen oder lieber irgendwann auf der Bühne tot umfallen? Im Moment will ich tot umfallen auf der Bühne. Ich denke gar nicht ans Aufhören. Vor ein paar Jahren waren wir fast auserzählt. Jetzt finde ich die Vorstellung interessant, wie wir mit 70 noch auf der Bühne stehen. Ich habe Bock bis ins hohe Alter – im Moment. Lass uns in fünf Jahren noch mal sprechen.

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