Bielefeld Poesie, Witz und Tiefgang: Händels Oper "Xerxes" am Bielefelder Theater

Bielefeld. Wenn es gelingt, kann Theater magisch sein. Der "Xerxes" am Bielefelder Theater ist einer dieser beglückenden Opernabende, bei denen alles stimmt. Einer, der gut unterhält, intellektuell anregt und emotional bewegt. Einer, bei dem einem die Augen über und die Ohren auf gehen. Ein Abend zum Staunen.Die Inszenierung des dreiköpfigen Regieteams ist frisch und modern, ohne dass der turbulenten Barockoper ein realistischer, aktueller Bezug angehängt wird. Sie spielt in einer fantastischen, märchenhaften Welt. Die Abgründe liegen in den vielschichtigen Figuren. Elemente des barocken Theaterzaubers werden aufgegriffen - es wird sogar geflogen - und mit subtiler Videokunst veredelt. Das gestalterische Leitmotiv: Papier.Wie einfallsreich, witzig und detailverliebt Sophie du Vinage (Bühne und Kostüme) Papier und Pappe einsetzt, ist verblüffend. Es beginnt schon damit, dass König Xerxes einem Blatt Papier entspringt. Die Ästhetik erinnert an Aufklappbilderbücher und Scherenschnitte. Bäume, Wolken, ein Käfig und eine Armee sind aus Papier oder sehen so aus, als wären sie es. Dem überdimensionalen Brief oder dem Papierschiff hätte auch Alice im Wunderland begegnen können.Brücken bauen, Frauen klauen Xerxes ist ein ebenso visionärer wie maßloser Herrscher. Er macht, was er will, und nimmt sich, was er will: Brücken bauen, Frauen klauen. Gerade noch hat er einen Baum besungen, da verliebt er sich in Romilda, die mit seinem Bruder Arsamene zusammen ist und bleiben will. Unbekümmert schickt Xerxes seinen Bruder ins Exil, um freie Bahn zu haben. Was Romildas Schwester Atalanta ganz lieb ist, denn auch sie ist in den Bruder des Königs verliebt. Und dann ist da noch Xerxes? Verlobte, die heimlich das Tun ihres Zukünftigen beobachtet.Was folgt, ist ein tragikomisches Chaos, das alle Beteiligten an ihre Grenzen bringt und auch viel Hässliches zutage treten lässt. Da wird inhaftiert und intrigiert, gelogen und gestritten, da werden Rapunzelzöpfe abgeschnitten und Mordwerkzeuge gezückt. Ein Wunder, dass alle überleben.Sophie du Vinages Bühnenbild und Maximilian von Mayenburgs Inszenierung sind klar und konzentriert. Das Stück ist schnell, aber nie überdreht. Komik entsteht nicht mit Getöse, sondern leise. Die Sänger dürfen in ihren Arien die emotionalen Landschaften ihrer Figuren ausloten. Grandios etwa, wenn Xerxes von seinem entflammten Herzen singt und sich dabei ein Feuer per Videoprojektion durch zwei gestaffelt im Bühnenraum stehende Rahmen frisst. Überhaupt sorgt der elegante Videoeinsatz (Matze Görig) immer aufs Neue für Überraschungen.Erschütternder Moment Mit ihrem edel gerundeten, warmen und ebenmäßigen Mezzo zeichnet Melanie Forgeron einen entfesselten Machtmenschen, der in seinem manischen Tun aber auch verloren wirkt und Mitleid erregt. Wenn gegen Ende Xerxes' papierne Eiszeit anbricht, ist das ein erschütternder Moment.Regisseur von Mayenburg nimmt die Figuren und ihre seelischen Nöte ernst, gönnt sich aber auch gern mal ein Augenzwinkern. So zieht Romilda, ihre Eifersucht beklagend, nach einer Weile eine gefaltete Papierschlange aus ihrer Corsage. Cornelie Isenbürger beweist in dieser Partie mit ihrem schlanken, geschmeidigen und überragend beweglichen Sopran technische Bravour und Ausdruckskraft.Für wuchtige, expressive Höhepunkte sorgt die charismatische Altistin Evelyn Krahe als Xerxes? abservierte Verlobte Amastre. Mit hellsilbrigem Sopran verkörpert Nienke Otten die intrigante Atalanta. Einen denkwürdigen Auftritt hat sie als Verführerin, die erst mit den Musikern und dem Publikum flirtet und dann den Dirigenten Merijn van Driesten hinter die Bühne lockt.Gelungener Auftritt Die Bielefelder Philharmoniker sitzen erhöht, was der Klarheit des Klangbilds enorm förderlich ist. Zumal sie Händels Musik unter van Driestens straffer Leitung so stilsicher, farbenreich, beschwingt und transparent zu Gehör bringen.Nohad Becker glänzt als Xerxes? Bruder Arsamene. Einen erzkomödiantischen Auftritt legt Yoshiaki Kimura als Diener Elviro hin. Komische Akzente setzt auch Moon Soo Park als Ariodate. Als Armee rebellischer Papiersoldaten hat der neu aufgestellte Kinder- und Jugendchor des Theaters (Leitung: Maria Müller) einen gelungenen ersten Auftritt.