Salzkotten Rettung aus der Luft: Wie Rehkitze mit Drohnen vor dem Tod bewahrt werden

Salzkotten. Die Sonne ist an diesem Dienstagmorgen um halb sechs ansatzweise zu erkennen, der Himmel ist blau, Vögel zwitschern. Tau bedeckt die Grashalme der Wiesen in Salzkotten-Verne. In der Ferne hört man einen Kuckuck rufen. Umringt von grünen Feldern und Bauernhöfen fährt ein weißer Bulli auf der einzigen asphaltierten Straße weit und breit. Am Steuer sitzt Martin Meschede. Ein großer sportlicher Mann Mitte 50 mit weißem Bart - Frühaufsteher. "Meine Frau dreht sich zu dieser Uhrzeit noch mal im Bett um", sagt er lachend. Ein Hase hoppelt aus dem Graben auf die Straße und läuft vor dem Kastenwagen her. Meschede drosselt die Geschwindigkeit. Er ist Jäger - seit 20 Jahren besitzt er den Jagdschein. Der Verner weiß genau, wo man ein Reh treffen muss, damit es besonders viel Blut verliert, schnell und sicher stirbt, und am Ende noch genießbar ist. Camouflage-Hose, Pullover, Gummistiefel und Schiebermütze lassen ihn schon für einen Laien wie einen Jäger wirken. Doch diesmal will er nicht schießen. Das Dorfkind, wie er sich selbst bezeichnet, ist zu früher Stunde unterwegs, um Kitze zu retten. Seit zwei Jahren fliegt eine Gruppe von Jägern im Kreis Paderborn mit einer faltbaren Drohne von 40 Zentimetern Durchmesser über Graswiesen, bevor diese gemäht werden. Reh-Kitze werden von ihren Müttern im hohen Gras versteckt abgelegt. Zu jung, um selbstständig Gefahrensituationen einzuschätzen und wegzulaufen. Bauern, die die Wiesen mähen möchten, übersehen die Tiere schnell. Die Kitze geraten unter die scharfen Messer und sterben unbemerkt. Doch das Unglück hat noch weitere Folgen. Das Gras der Wiese, das an Kühe und Pferde verfüttert werden soll, wird durch den Kadaver verunreinigt. Bei der anschließenden Lagerung im Silo entstehen Keime, die für die gefütterten Tiere lebensbedrohlich werden. Botulismus nennt man die dadurch entstehende Krankheit mit Todesfolge. Morgens mit Drohne, Nachmittags mit Mäher An diesem Tag will Geflügelbauer Ludgar Förster sein Feld mähen. Gegen Nachmittag wird die Maschine anrollen. Vorher kommt aber die Drohne zum Einsatz. Inzwischen haben sich Meschede und seine vier Freunde Andreas Kehl, Georg Kruse, Yannik Asmuth und Bernd Mehling eingefunden. Alle tragen grüne Gummistiefel, Regenhosen und Pullover. Mehling, der die Drohne steuert, legt ein Papierschild mit der Aufschrift "H" auf den Boden. Ähnlich wie bei einem Hubschrauberlandeplatz wird hier die Drohne starten. Alle Beteiligten treten einen Schritt zurück, bevor das fast zehntausend Euro teure Gerät - durch ein Förderprogramm finanziert - abhebt. Summend wie eine Wespe, schwebt sie binnen Sekunden über das nasse Grün. Über einen Bildschirm in der Fernbedienung hat Drohnen-Pilot Mehling die Landschaft im Blick. Er blickt mit gesenktem Kopf und zugekniffenen Augen auf einen weißen Fleck, den ihm die Wärmebildfunktion auf dem Monitor zeigt. "Das ist nur ein Hase", sagt er. Vorerst sind keine zu rettenden Kitze in Sicht. Es dauert rund 15 Minuten bis die Jäger doch fündig werden. Die Drohne zeigt ein Kitz in der Nähe einer alten Hütte. Meschede macht sich mit Pylone in der linken und Wäschekorb in der rechten Hand auf den Weg. Beides dient zur Fixierung des Tieres und späteren Kennzeichnung für den Fahrer des Mähers. Über ein Funkgerät hält er Kontakt zu Drohnen-Piloten und wird so zum Kitz geführt. Piepen und Rauschen durchbrechen die morgendliche Stille, dazu kommt das Wespensummen 45 Meter über ihm. Das Kitz liegt still und unscheinbar im hüfthohen Gras. Auf den ersten Blick könnte man es auch für einen Maulwurfshügel halten. Es hat große Augen, blickt Meschede verwundert an. Ansonsten ist es still, bewegt den kleinen braunen Körper kaum. "Jetzt ist Schnelligkeit gefordert. Das Wild darf nicht beunruhigt werden", sagt der Jäger. Gesagt, getan: Der Wäschekorb ist über das Kitz gestülpt, mit Stein und Pylone gesichert. Meschedes Mundwinkel zeigen nach oben, Schweißperlen laufen über seine Stirn. Bis die Wiese gemäht ist, wird das Kitz unter dem Wäschekorb liegen bleiben. Anschließend werde es wieder freigelassen, sagt er. "Das Tier darf von Menschen nicht angefasst werden, im schlimmsten Fall nimmt es die Reh-Mutter nicht mehr an", so Meschede. Seit Anfang Mai - dann startet die Zeit der Reh-Kitze - sind die Retter im Kreis Paderborn unterwegs und konnten bis jetzt schon rund 30 Kitze in Feldern bergen. Am Ende dieses Tages werden Meschede und seine vier Freunde acht Kitze ausfindig gemacht haben. Geflügelbauer Förster ist glücklich, drückt den freiwilligen Frühaufstehern eine Spende in die Hand. Inzwischen ist es acht Uhr. Meschede verabschiedet sich, fährt mit dem weißen Kastenwagen davon. Auf der Rückfahrt hoppelt erneut ein Hase auf die Fahrbahn. Martin Meschede drosselt wieder die Geschwindigkeit. "Hier ist die Natur noch in Ordnung", murmelt er leise.

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