Paderborn-Schloß Neuhaus. Mit einem Doppelschlag wird Claudia Rinkes Arbeit zum ersten Mal sichtbar. Seit April leitet sie als Nachfolgerin der im Februar 2024 verstorbenen Andrea Brockmann Paderborns Städtischen Museen und Galerien. Zeitgleich starten jetzt die Ausstellungen „Walther Schwiete: Eigen ± Sinn“ in der Städtischen Galerie in der Reithalle und „Feel the Art! Siehst du, was du fühlst? Fühlst du, was du siehst?“ im Kunstmuseum im Marstall.
Beim Eintritt in die Reithalle fällt der Blick unweigerlich auf eine helle Wand. Die Oberfläche aus Styropor, das mit Silberlack punktuell weggeätzt ist, wirkt wie eine L-förmige Wand mit Augen. Auf der anderen Seite der drei und fünf Meter langen Wandschenkel folgt dann der Kontrast: Überall sind kleine ovale Brandzeichen in Sepiabraun, die in den Raum ziehen und etwa an Hunderte Fensteröffnungen erinnern. Man glaubt regelrecht, aus der Düsternis durchzugucken auf die andere Seite. Diese Brandwand ist die zentrale Arbeit der neuen Ausstellung „Walther Schwiete: Eigen ± Sinn“.
Beim Titel geht es Schwiete im Wesentlichen um die Eigensinnigkeit der drei verschiedenen Techniken, die zu sehen sind. Claudia Rinke, Leiterin der Städtischen Museen und Galerien, präsentiert zwar keine komplette Retrospektive, so aber einen umfangreichen Einblick in Schwietes Schaffen der vergangenen Jahre.
Der Paderborner Künstler arbeitet mit verschiedenen Techniken und Materialien
Auffällig sind neben den verschiedenen Techniken die unterschiedlichen Materialien, die der in Elsen lebende Künstler nutzt, der zwischenzeitlich in Köln und Berlin arbeitete und wohnte. Wobei er sich selbst gar nicht als Künstler sieht. Besser gefällt ihm als Bezeichnung für sein Vorgehen Bricolage: vom französischen bricoler für basteln.
Vor allem aber ist Schwiete, Träger des Paderborner Kunstpreises (2000), ein Experimentierer und Tüftler. So habe er sich für seinen Riesenkeks „Leibniz“ gefragt: Kann ich ihn mit dem Ätzlackieren darstellen? Und wie! Mit original 52 Zähnen ist er ein Hingucker.
Mehr Kultur: Theater Paderborn bringt polnische Migrationsgeschichte auf die Bühne
Hierauf bezieht sich auch eine der Sonderveranstaltungen zur Ausstellung: Erwin Grosche spielt und schiebt am Donnerstag, 5. Februar, um 17 Uhr „Der KEKS geht nicht durch die Tür – über die Grenzen der Kunst“. Schließlich muss der Keks für jeden Schauort in viele Einzelteile zerlegt und wieder zusammengefügt werden. Eine Arbeit von 2004 zeigt das Lackierätzen von einer anderen Perspektive: Styropor ist hier die Abdruckbasis für schwere Aluminium-Blöcke.
Walther Schwiete zeichnet auch mit Rauch
Bei einer anderen Technik benötigt Schwiete Hitze oder Rauch. Brandings heißt diese Werkgruppe. Dafür fräst er aus Metallblechen Stempel, erhitzt sie und presst diese auf dünne Holzplatten. Ein Brandzeichen neben das andere, so entstehen eindringliche Bilder. Mal dominiert der serielle Charakter, mal das unter Umständen an Wolken erinnernde Einzelmotiv: So bei den Bildern, bei denen Schwiete Rauch zeichnen lässt.
Dazwischen liegen jene Arbeiten, für die er Messer in einer kleinen Esse seines Tudorfer Ateliers erhitzt und aufs Holz legt. In Gesprächen hierüber gehe es schnell um den martialischen Charakter. Doch darum geht es ihm nicht, sondern um Doppeldeutigkeit. Könnte es doch auch der Blick in eine Küchenschublade als großes Dia sein. Denn einige Arbeiten haben eine Art Perforation am Rand und lassen einen an Filmstreifen denken.
Deelenhaus in neuer Hand: So wollen die Lettermanns Paderborns Kulturszene prägen
Alle Werke, auch die Bilder, haben einen räumlichen Charakter, was auch schon als physische Einschreibungen interpretiert wurde. In vielen Arbeiten tauchen kleine Bildgegenstände, Logos und Piktogramme aus dem Alltag auf – wie eine Autofront oder Figuren. Sie alle stammen aus Schwietes Archiv.
Aus Bügelperlen macht der Paderborner Walther Schwiete Kunst
Auch bei der dritten im größeren Rahmen präsentierten Technik kommen diese Motive vor: Arbeiten aus Polyethylen, genauer aus Bügelperlen. Mit den Bilderkreationen, die Kinder durchs Bügeln schaffen, haben sie jedoch nur wenig zu tun. Schwiete legt zwar auch aus und bügelt, bis die Einzelteile zu einer Fläche verschmelzen. Doch dann werden Platten mit dem Cuttermesser geschnitten, zusammengelegt – Stichwort Intarsien – und nochmals zusammengebacken. Teilweise schichtet er auch und erreicht eine intensive Wirkung.
Dass sie zeitgleich zwei Ausstellungen eröffnet, biete Rinke den Vorteil, dass sie den Besuchern gleich doppelt etwas bietet. Zugleich erleichtere es ihr die Planung etwa bei der Ausstellungstechnik.
Ein Blick in Werbung, Film oder Fernsehen zeigt: Alles ist Gefühl. „Überall werden Emotionen angesprochen, angeregt und beeinflusst. Alles ist irgendwie mit Gefühlen verbunden“, sagt Rinke. Deshalb könne eine Ausstellung dazu viele Menschen ansprechen. Besucherinnen und Besucher sollen dazu animiert werden, in sich hineinzuhorchen. „Wir interpretieren viel in ein Werk hinein“, so Rinke. „Was, das ist davon abhängig, ob wir selbst schlecht oder gut drauf sind.“
Werke aus der Paderborner Sammlung hängen im Kunstmuseum
Trauer, Elend und Leid sind Emotionen, die wiederholt auftauchen. Es geht ums Nachdenken, um Liebe und um Freude. All dies wird beim Gang durch die Ausstellung „Feel the Art! Siehst du, was du fühlst? Fühlst du, was du siehst?“ erlebbar anhand von Werken aus der städtischen Sammlung.
Kunststreit im Kreis Paderborn: Künstler soll Tausende Euro Entschädigung bekommen
Vor gut sieben Monaten musste Rinke einen Kickstart hinlegen und – ohne die Paderborner Sammlung zu kennen – fürs Halbjahresprogramm gleich eine Ausstellung schaffen. Beim Thema Gefühl dachte sie, dass dazu in jedem Fall etwas zu finden sein muss. „Ich glaube, es ist eine Ausstellung, die Spaß macht und auch hervorragende Kunst zeigt“, sagt Rinke, die die Schau gemeinsam mit Volontärin Eleonore Seiferth zusammengestellt hat.
Die gezeigten Arbeiten decken das gesamte Spektrum der Paderborner Sammlung wie auch der Kunstgeschichte ab. Malerei, Zeichnungen und Drucke vom 16./17. Jahrhunderts bis in die Gegenwartskunst. Da ist das Who’s who der klassischen Moderne mit Käthe Kollbusch, Conrad Felixmüller, Max Beckmann oder Ernst Barlach. Schräg gegenüber dieser düsteren Ansichten hängen Farbabstraktionen von Pitt Moog.
Eine Arbeit erinnert an einen Paderborner Ausstellungscoup
„Rückkehr von der Kirmes“ von Pieter Brueghel d. J. erinnert an den Ausstellungscoup von Rinkes Vorvorgängerin Andrea Wandschneider: die Ausstellung „Die Brueghel-Familie“ im Jahr 2015. Auch an den ersten Kunst-Tatort von 2007 gibt es eine Reminiszenz mit einer Zeichnung von Matthias Beckmann.
Geht es ums große Gefühl, dann dürfen Porträts – beispielsweise von Erich Heckel und Wilhelm Rudolph – nicht fehlen. An der Stirnwand im hinteren Bereich der Ausstellung hängen gleich fünf Porträts von Menschen, die ihre Hand am Kinn haben. Wie es der Zufall will: Alle sind von Peter August Böckstiegel. Auch tierische Emotionen werden gezeigt von einem Bison, einem Esel und – Ironie muss sein – Marshmallow-Mäusen.
Für ein besonderes Vergnügen sorgen mehrere Mitmachstationen: So können Gefühle auf eine Karte geschrieben und geschreddert werden. Es gibt eine Schreibox und einen Fotoautomaten, der die aktuelle Gemütslage festhält. Finanziert wurde das 5.000 Euro teure Gerät durch den „Freundeskreis Städtische Galerien Paderborn“. An den Wänden sind fünf Gefühlsmonster zu sehen, die Wut, Trauer, Freude, Zuneigung und Neugier darstellen. Sie wird es auch als Postkarten geben.
Paderborner Besucher können ihre Stimmung mit Punkten bewerten
Ob Kunst etwas mit einem macht? Ob sie die Laune verändert? Auch dies kann in dieser Ausstellung überprüft werden. Wer will, kann beim Hineingehen und Verlassen der Ausstellung Punkte an zwei Stellen kleben. So kann die Stimmungslage bewertet werden und ob man sich top oder mies fühlt. Wie gesagt: Alles ist Gefühl.
Beide Ausstellungen werden am Sonntag, 16. November, um 11 Uhr im Audienzsaal des Schlosses eröffnet. Sie sind jeweils bis zum 8. März 2026 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.