Interview Paderborner Drehbuchautor: „Netflix rollt den roten Teppich aus“

Für die von Ihnen gemeinsam mit Richard Kropf und Bob Konrad geschriebenen Serie "4 Blocks" hat es - wenngleich nicht für das Drehbuch - bereits 2018 Grimme-Preise gegeben. Jetzt haben Sie für das Drehbuch zur Netflix-Serie"Kleo" Ihren ersten eigenen Grimme-Preis bekommen. HANNO HACKFORT: Das ist schon was Schönes. Der Grimme-Preis ist ja, obwohl er in der Breite der Bevölkerung gar nicht so bekannt ist, der wichtigste Medienpreis. "Kleo" ist eine poppige Action-Serie um den Rachezug einer ehemaligen Stasi-Auftragskillerin. Beim Sehen habe ich nur gedacht: Sie und ihre Drehbuchkollegen haben ihre Tarantino-Lektion mit "Death Proof" und vor allem "Kill Bill" gelernt. Bei Hauptdarstellerin Jella Haase im Trainingsanzug musste ich einfach an Uma Thurman denken. Beim Entstehen der Story haben wir immer versucht, uns abzugrenzen. Doch wenn man in einem popkulturellen Kontext eine weibliche Killerin erzählt, landet man automatisch bei "Kill Bill". Da stellt sich die Frage: Wie spielen wir mit Zitaten. Doch bei der Trainingshose waren die Vorbilder echte Bekleidungsstücke aus der DDR - sie sehen aber tarantinoesk aus. Wie sind Sie auf die Idee gekommen? Die Idee ist uns bei einem Essen geschenkt worden. Da saß jemand, der meinte: Macht doch mal den Graf von Monte Christo in der unmittelbaren Nachwendezeit. Das fanden wir spannend - und machten daraus eine Gräfin. Zur gleichen Zeit haben wir zum Mythos der Stasi-Killer recherchiert und festgestellt, dass es für sie tatsächlich eine Ausbildung gibt. Das haben wir zusammengeführt vor dem historischen Hintergrund Berlins direkt nach dem Fall der Mauer, als ein stimmungsmäßiges Vakuum herrschte: Das Alte war weggebrochen, das Neue hatte sich noch nicht geformt. Alles schien möglich. Dieses Gefühl wollten wir vermitteln. Geschichtstreue ist kein Thema. Uns war von vorneherein klar, dass wir keinen historisch genauen Film machen wollten, sondern sehr frei mit Geschichte spielen. Wie Erich Mielkes rotem Geheimkoffer: Den gibt es, der steht im Stasi-Museum und teils ist auch bekannt, was drin war. Den Rest haben wir hineinfantasiert. Und auch Personen wie Mielke oder Margot Honecker tauchen in anderen Zusammenhängen auf. Und uns war die Stimmung wichtig. Wir wollten keinen grauen, farbentsättigten Wendefilm machen, sondern etwas Poppiges, das knallt und Spaß macht. In "Kleo" sind nur Frauen richtig stark. Schon seit langer Zeit schreiben sich alle Sender starke Frauen auf die Fahnen. Das ist uns nicht wichtig. Wir wollen starke Charaktere erzählen. Wenn das eine Frau ist, dann ist es eine Frau. Und wenn das wie im Fall von "4 Blocks" Männer sind, dann sind das Männer. Bei "Kleo" sind eben alle entscheidenden Figuren Frauen und die Männer eher Spielbälle - außer die von Dimitrij Schaad gespielte Figur des Sven Petzold. Vor gut 20 Jahren haben Sie in Paderborn Ihren ersten Spielfilm "Junimond" gemacht. Mittlerweile schreiben Sie hauptsächlich für Serien. Haben Serien den Film überholt und was sehen Sie vorn? Für mich war es eine große Befreiung, dass "4 Blocks" möglich wurde und wir in Deutschland Serien in dieser Form erzählen können. Bob, Richard und ich haben uns bei der Telenovela "Anna und die Liebe" kennengelernt. Da haben wir gesagt, gerne so etwas wie "Breaking Bad" machen zu wollen oder "Mad Men". Damals sind wir aber noch überall auf verschlossene Türen gestoßen. Die haben uns ausgelacht und gesagt: "Schreibt doch einen Roman, wenn Ihr was so Großes erzählen wollt. Das Seriending aus den USA ist nur eine kurzzeitige Mode." Ich habe dann eine Zeit lang nur noch Serien geguckt, weil ich die Größe und Möglichkeiten genossen habe, so tief einzutauchen. Mittlerweile gucke ich aber selbst auch wieder viel mehr Filme. Erst jetzt habe ich mit dem Bob einen Tatort geschrieben (Anmerkung des Autors: "Love is Pain", ausgestrahlt am 23. April). Das hat auch Spaß gemacht, konzentriert zu erzählen. Macht es für Sie einen Unterschied, für einen Sender oder Streamingdienst zu arbeiten? Das ist völlig egal. Man beobachtet gerade eine Rückentwicklung. Netflix wird bei der Auswahl und der Umsetzung der Stoffe wieder ängstlicher und mainstreamiger. Ich weiß auch nicht, ob wir "Kleo" heute so machen könnten. Obwohl nur zwei Jahre dazwischen liegen? Es scheint jetzt verstärkt darum zu gehen, eine möglichst breite Masse innerhalb des Zielpublikums zu bedienen. Bei den öffentlich Rechtlichen hingegen scheint man sich zu bemühen, dem Ruf des langweilig Verstaubten entgegen zu wirken. Da ist viel Mut zu beobachten. Aber es gibt Unterschiede beim Arbeiten fürs Fernsehen oder für Netflix. Die Arbeit mit Netflix für uns ist so, wie ich sie noch nicht hatte und auch bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht gibt. Die rollen einem den roten Teppich aus und sagen ganz klar: Ihr habt uns eine Geschichte und eine Vision verkauft und Ihr seid auch verantwortlich für alle kreativen Entscheidungen. Wie ist der Stand der zweiten "Kleo"-Staffel? Es wird sechs Teile geben. Die Bücher sind geschrieben, wir sind im Casting, suchen Locations. Drehbeginn ist Mitte Juli und -schluss Ende Oktober/Anfang November. Vermutlich im Sommer 2024 kann die Serie dann starten. Kommen wir zum neuen Projekt "16 Koffer". Darin geht um den sogenannten &bdquo;Metro-Betrug“ aus dem Jahr 1980. Damals gelang es dem beim Metro-Konzern angestellten Günter Schotte-Natscheff durch einen Trick, 36 Millionen D-Mark auf ein Konto seines Lebensgefährten Manfred Vowinkel umzuleiten. Das basiert auf einer wahren Geschichte. In den drei Pandemiejahren wurde auch beim Film unter besonderen Bedingungen gearbeitet. Doch wieso wurde Corona selbst so wenig in Film und Fernsehen thematisiert? War das die Angst der Sender, den Leuten die harte Realität in der Zerstreuung zu präsentieren? Also mich wundert, warum man das in Daily Soaps wie "GZSZ" oder "Rote Rosen" nicht hineingebracht hat. Wir selbst haben unsere Serie "Para" zur Corona-Hochzeit 2020 gedreht und lange diskutiert, ob wir das thematisch mit reinnehmen. Dann sind wir aber zu dem Schluss gekommen, dass die Lage so schwer zu beurteilen war und wie lange das dauert. Zudem stellte sich die Frage: Soll eine Serie ein Kommentar auf die aktuelle Zeit sein oder einen gewissen Universalismus haben. Ja, hindert es - wenn man die Serie etwa in fünf Jahren sieht - und alle mit Masken rumlaufen.

Mehr zum Thema