Interview mit der Schura Vertreter der Muslime: "Paderborn ist eine Multi-Kulti-Stadt"

In Paderborn leben 8.000 Muslime, es gibt fünf Moscheegemeinden - Muezzin-Rufe allerdings nicht. Fehlt ihnen das? Emin Özel: Für mich ist das nichts, was zum täglichen Leben eines Muslims dazugehört. In der modernen Zeit werden die Gebetszeiten sowieso durch eine App angezeigt. Und es muss auch in die Bevölkerung passen. Abdul Ghafar Sahak: Ich finde das in Köln zwar sehr schön, es ist aber nicht unbedingt notwendig. Wenn wir in der Moschee sind und beten wollen, tun wir das innerlich. Muezzin-Rufe sind nicht unwichtig - das müssen aber auch nicht alle Nachbarn hören. Die muslimischen Gotteshäuser in Paderborn sind von Weitem nicht unbedingt auf Anhieb zu erkennen. Haben Sie schon mal über eine größere und sichtbarere Moschee nachgedacht? Özel: Es gibt keine vorgeschriebene Architektur, auch wenn sich in Deutschland durch die vielen türkischstämmigen Muslime der osmanische Stil durchgesetzt hat. Aber der Islam ist so toll, dass er sich der jeweiligen Kultur anpasst. Trotz alledem wäre das natürlich "nice to have", wenn wir so eine repräsentative Moschee wie die in Köln hätten, die wirklich ein wahrer Augenschmaus ist. Aber ich sehe in Paderborn nicht, dass einer der Vereine so etwas bauen könnten. Und wenn sie doch die finanziellen Möglichkeiten dazu hätten, sollten sie das besser für Jugendarbeit statt einen Prunkbau einsetzen, finde ich persönlich. Worauf ich hinaus will - sind die Muslime im Stadtbild sichtbar genug? Özel: Ich glaube, dass sie das Stadtbild Paderborns nicht prägen, das müssen sie aber auch nicht. Sie sind da und ihre Anzahl hat sich seit 2015 wie in den meisten Städten vergrößert. Und wir wir beobachten, dass über 70 Prozent der Flüchtlinge einen Job gefunden haben und integriert sind. Aber so leise, dass man nicht darüber spricht. Das würde man ja nur, wenn es Konflikte gibt. Sahak: Die Bedingungen sind auch viel einfacher geworden als noch vor 20 oder 30 Jahren. Früher durften ankommende Ausländer gar nichts machen, jetzt gibt es sofort Sprachkurse. Dadurch sind sie schneller integriert und können arbeiten. Zum Vergleich: Die frühere Generation waren fast alle normale Arbeiter, die Kinder sind jetzt beinahe alle Akademiker. Özel: Das Bild hat sich schon etwas verändert, so gibt es jetzt zum Beispiel syrische Feinbäcker und Restaurants. Das hat es vor sechs Jahren nicht gegeben. Die Flüchtlinge sind sehr motiviert, Selbstständigkeit zu erreichen. Das ist auf jeden Fall eine Bereicherung für die Stadt. Sahak: Und auch die Menschen in Paderborn können ja von den Muslimen profitieren. Herr Özel, vor sechs Jahren haben Sie im Interview gesagt: "Der Islam gehört zu Paderborn." Das würden Sie also immer noch so unterschreiben? Özel: Es ist nicht mehr, aber auch nicht weniger geworden, sondern hat sich stabilisiert. Schauen Sie in die Westernstraße: Da werden sie viele Muslime sehen, aber nicht als solche erkennen, außer es sind Frauen, die Kopftuch tragen. Das ist ein Zeichen der gelungenen Integration dieser Menschen. Es ist positiv, dass solch eine Entwicklung stattgefunden hat. Und man kann wirklich sagen, dass die Muslime sich in Paderborn wohl fühlen. Sahak: Die Stadt hat auch sehr viel für die Muslime getan. Wir sind mit den Politikern sehr eng in Kontakt und merken, dass wir akzeptiert und respektiert werden. Das ist sehr wichtig für uns, dass wir angehört werden und unsere Anliegen vorbringen können. Landrat und Bürgermeister geben uns wie ihre Vorgänger das Gefühl, dass wir angekommen sind. Was ist denn das Besondere an Paderborn? Özel: Wir sind auf Augenhöhe, das ist sehr schön. Sahak: Paderborn ist eine Multi-Kulti-Stadt. Hier leben rund 135 Nationalitäten, das spricht für sich und alle fühlen sich gut. Özel: Die Anerkennung zeigt sich darin, dass wir als Schura überallhin eingeladen werden und als Vertreter der Muslime begrüßt werden. Es ist ein sehr harmonisches Miteinander. Das sieht man auch daran, dass wir in diesem Jahr vom Bürgermeister zum Fastenbrechen ins Rathaus eingeladen werden. So etwas gibt es in dieser Form relativ wenig in Deutschland. Was wünschen Sie sich als Schura noch? Özel: Ich würde mir wünschen, dass - unabhängig von der Religion - bei der Stadt- oder Kreisverwaltung oder anderen öffentlichen Stellen der Anteil der Migranten steigen würde und wir dort vielleicht auch Mitarbeiterinnen mit Kopftuch sehen. Ich habe bisher zumindest in Paderborn noch keine Frau gesehen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt und eine öffentliche Stelle bekleidet. Das fände ich wichtig - auch wenn meine Frau selbst kein Kopftuch trägt, denn das ist eine individuelle Entscheidung. Da haben wir großen Nachholbedarf, beispielsweise auch in Krankenhäusern und der Pflege. Wie sieht es im Bereich der Bildung aus? Özel: Was unheimlich wichtig ist, dass auch an den Schulen gemeinsame multi-religiöse Einschulungs- und Abschlussfeiern unterstützt werden. Solche Veranstlungen werden insbesondere von muslimischer Seite sehr geschätzt. Stellen sie sich vor, dass 30 Prozent der Kinder einer neuen Klasse muslimischen Glaubens sind. Wenn dann vorne ein Vertreter ihres Glaubens steht und mit ihnen ein Gebet spricht, dann sind sie wahnsinnig glücklich und fühlen sich sehr angenommen. Leider sind es derzeit nur drei Schulen, die das machen. Ich persönlich würde mir wünschen, dass das ausgeweitet wird und Muslime da mitwirken können. In Paderborn gibt es auch mehrere christliche Bekenntnisschulen. Wie stehen die Muslime dazu? Sahak: Die sind auch ein Problem. Sehr viele muslimische Familien müssen ihre Kinder zu weit entfernten Grundschulen fahren. Manche haben gar kein Auto, aber nehmen den langen Weg in Kauf, um ihre Kinder nicht auf Bekenntnisschulen zu schicken. Das müssen wir von Grund auf ändern und einen Weg finden, wie sich Muslime auch dort wohl fühlen können. Özel: Muslime sind werteorientiert und können durchaus auch am katholischen Religionsunterricht teilnehmen, aber es wäre für die Kinder und Eltern etwas besonderes, wenn sie eine bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht bekommen könnten. Das wäre eine gute Sache, die zur Integration viel beitragen kann, wenn die Kinder ihre Religion nicht von irgendwo oder dem Internet sondern von einem ausgebildeten Pädagogen vermittelt bekommen. Leider gibt es davon momentan zu wenige. Deshalb ist es in Paderborn ein Riesenvorteil, dass wir hier an der Universität ein Institut für islamische Theologie haben, an dem mittlerweile islamische Religionslehrer ausgebildet werden. Wir als Schura stehen in engem Kontakt mit dem Institut. In den Corona-Jahren war auch das Gemeindeleben beinahe völlig zum Erliegen gekommen. Hat sich die Situation Ihnen wieder normalisiert? Özel: Die Pandemiezeit war für uns Muslime extrem schwer, besonders im Ramadan, wo das gemeinsame Fastenbrechen, die Gebete und Begegnungen gefehlt haben. Sahak: Die Kinder gehen zum Unterricht, die Freitagsgebete sind wieder voll besucht - es kommen wieder genauso viele Menschen wie vorher in die Moscheen. Özel: Alles normalisiert sich das wieder und ich hoffe, dass wir diese Gewohnheiten wieder aufnehmen können, so Gott will.

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