Paderborn Missbrauchs-Aufarbeitung: Zu wenige Zeitzeugen-Aufrufe in der Kirche?

Paderborn. Mehr als 160 Beschuldigte, schwere Vorwürfe gegen zwei ehemalige Bischöfe - bereits die Zwischenergebnisse einer unabhängigen Studie zu Missbrauchsfällen im Erzbistum Paderborn haben für Aufregung gesorgt.Die Zahl der Opfer aus dem untersuchten Zeitraum zwischen 1941 und 2002 können die beiden Studienautorinnen der Universität jedoch nicht beziffern – weil die Unterlagen das nicht hergeben. Auch deshalb sind sie auf Zeitzeugen angewiesen. Doch jetzt steht der Vorwurf im Raum, dass die entsprechenden Aufrufe in der katholischen Kirche kaum veröffentlicht worden seien. In einem ersten Aufruf für die Studie hieß es im Herbst 2020, Zeitzeugen seien wichtig, um ein genaues Bild über die Taten und ihre Hintergründe zu bekommen. Der Aufruf wurde zwar in den Medien verbreitet, aber offenbar kaum in kirchlichen Publikationen auf Gemeindeebene wie Pfarrbriefen und Homepages. Im kirchlichen Amtsblatt vom Juli 2021 hielt dann das Erzbischöfliche Generalvikariat &bdquo;alle Pfarrer und Pfarrgemeinderäte“ dazu an, das Forschungsprojekt &bdquo;wohlwollend" zu unterstützen und den Aufruf effektiv zu verbreiten. Doch der Erfolg hielt sich auch danach in Grenzen. Eine der Neuen Westfälischen vorliegende stichprobenartige Untersuchung von Pfarrbriefen und Internetseiten der Gemeinden im Erzbistum Paderborn zeigt - wenn auch nicht repräsentativ - eine deutliche Tendenz: nur in 4 von 20 Pastoralverbünden beziehungsweise Pastoralen Räumen wurde der Aufruf zwischen Mai und Dezember 2021 veröffentlicht. Auch im Kreis Paderborn waren in diesem Zeitraum kaum Hinweise auf die Studie zu finden. Der Urheber der Untersuchung, der der NW namentlich bekannt ist, aber lieber anonym bleiben möchte, nennt diese Ergebnisse "sehr enttäuschend und in meinen Augen inakzeptabel". Er sei verwundert und erschrocken darüber, dass so viele Pastoralverbünde die Informationen immer noch nicht veröffentlicht hätten. Schließlich hätten alle Betroffene und Zeitzeugen ein Recht darauf, von dem Aufruf zu wissen. Was sagen kirchliche Vertreter und die beiden Wissenschaftlerinnen dazu? Diözesankomitee Das Paderborner Diözesankomitee ist die Vertretung der katholischen Laien im Erzbistum. Die beiden Vorsitzenden Nadine Mersch und Jan Hilkenbach bedauern die Ergebnisse der stichprobenartigen Untersuchung, die gezeigt hätten, "dass der Zeitzeugenaufruf nicht so in der Fläche präsent ist, wie er es sein sollte". Auf die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Erzbistum habe man die Bistumsleitung auch hingewiesen. "Aus unserer Sicht muss noch mal forciert werden, dass der Aufruf in allen pastoralen Räumen öffentlich zugänglich gemacht wird", so Mersch und Hilkenbach. Sie würden jedoch wahrnehmen und begrüßen, dass das Erzbistum seit Jahresbeginn an der zusätzlichen Verbreitung arbeite.Erzbistum Das Erzbistum, das die unabhängige Studie als Urheber finanziert, erinnert auf Anfrage der NW an den Aufruf im kirchlichen Amtsblatt und teilt mit, an verschiedenen Stellen wie Online-Auftritten, sozialen Medien oder persönlichen Gesprächen immer wieder auf die Möglichkeit der Beteiligung hinzuweisen. Zudem sei eine private Initiative unterstützt und beworben worden. "Des Weiteren wurden alle dem Erzbistum Paderborn bekannten Betroffenen schriftlich auf diese Möglichkeit der Beteiligung aufmerksam gemacht und dazu eingeladen", schreibt Pressesprecher Benjamin Krysmann, der außerdem betont, dass alle Unterstützung zur Durchführung des Forschungsprojektes gewährleistet sei. Forschungsteam Das Forschungsteam, Nicole Priesching und Christine Hartig, berichtet, dass sich bislang mehr als 50 Personen für die Studie gemeldet hätten. Ziel sei es zwar, dass alle Menschen, die zu der Untersuchung beitragen können, hierzu auch Gelegenheit erhalten - es solle aber niemand gedrängt werden.Den Vorwurf, dass der Aufruf auf lokaler kirchlicher Ebene nur wenig verbreitet werde, halten Priesching und Hartig deshalb für zu pauschal. "Er lässt das Engagement, welches wir durchaus beobachten, außen vor", sagen sie und zählen die zahlreichen Bemühungen des Erzbistums in dieser Sache auf.Lesen Sie auch: "Schmerzende Aussagen" bei Diskussion über queere Menschen in der Kirche "Wir sind aber auch weiterhin angewiesen, dass unser Aufruf durch verschiedenste Kanäle weiterverbreitet wird. Dies ist aus unserer Perspektive der wirksamste Weg, um Hindernisse zu überwinden", so die beiden Kirchenhistorikerinnen abschließend.

Mehr zum Thema