Kreis Paderborn Krankenhaus-Chef über Pflegepersonal: „Die Bezahlung ist nicht fair“

Herr Düllings, haben Sie sich schon mal in einem ihrer Krankenhäuser behandeln lassen? Josef Düllings: Ja, wenn ich etwas habe, gehe ich in eines unserer Häuser. Ich habe auch keine Sorgen davor, dass intern Gerüchte entstehen könnten. Das ist mir egal. Die Mitarbeiter sind professionell und ich bin ein normaler Patient. Was macht den Job eines Geschäftsführers im Krankenhaus im Vergleich zu Geschäftsführern in der Industrie aus? Ich bin Soziologe und über ein Forschungsprojekt zufällig beim Thema Krankenhaus gelandet. Reizvoll ist, dass man viel gestalten kann. Für Soziologen spannend sind zum Beispiel die Konzepte der Gruppendynamik, die anwendbar sind, etwa in Konfliktgesprächen, um gemeinsame Lösungen herbeizuführen. Ist das Bändigen von Chefärzten eine besondere Herausforderung? Widerspruch macht uns doch alle produktiv, wie schon Goethe sagte, und ich fordere bewusst zum Widerspruch auf. Diskussionen haben wir im Arbeitsalltag nötig. Es geht ja darum, gute Ideen herauszufiltern. Chefärzte sind oft sehr stark in ihrem Fach, widerstreitende Meinungen der Ärzteschaft muss ich dann mitunter zusammenführen. Das ist schon eine Herausforderung. Wir sind eben kein technisches Unternehmen, sondern es geht um Menschen. Das macht es für mich aus. Die Pandemie hat die Gesundheitsversorgung für alle in den Fokus gerückt. Wie bewerten Sie die Versorgung im Kreis Paderborn? Die Versorgung ist gut, obwohl wir mit Betten und Standorten nicht überversorgt sind. Im Jahr 2010 hat Büren geschlossen, seitdem sind wir ein Krankenhaus weniger. Klar ist aber, wir sind nicht überbelegt. Wenn Menschen zu versorgen sind, stehen wir bereit. Wie sieht denn ihre Belegung derzeit über alle Bereiche aus? Die liegt etwa zehn Prozent unter dem Niveau von 2019. Für Corona mussten wir Personal konzentrieren und deshalb andere Stationen vorübergehend schließen. Was bedeutet das für die Wirtschaftlichkeit ihrer Kliniken? Seit November und noch bis März erhalten wir zumindest Geld für frei gehaltene Betten. Den Ausfall können wir so kompensieren. Die anderen Monate ohne diese Prämie sorgen für Defizite. Ich rechne für 2021 mit roten Zahlen. Das können wir immerhin mit einem Überschuss aus 2020 kompensieren. 2022 werden wir aber auch die Personalkosten nicht refinanzieren können. Ab welcher Belegung kommen Sie in schwarze Zahlen? Wir benötigen jährlich eine Steigerung von ein bis zwei Prozent bei stationären Patienten. Würde die Anschlussversorgung in Deutschland funktionieren, könnten wir dies über kürzere Verweildauern erreichen. In deutschen Krankenhäusern liegt die Dauer bei sechs Tagen, in Dänemark sind es drei. Wir haben auch einen hohen Anteil ambulanter Patienten, weil Kassenärzte diese gar nicht mehr alle versorgen können. Jährlich sind es rund 70.000 und bei jedem legen wir 80 bis 100 Euro drauf. Sie beklagen, dass sie von der Politik allein gelassen werden? Niemand im Kreis, im Land oder im Bund will für Krankenhausschließungen verantwortlich sein. Politik geht einen anderen Weg und zieht die Schlinge finanziell immer enger. Das geht nicht. Uns fehlt seit Jahren Geld, das über das Pflegebudget zugesagt war, um alle Pflegekräfte zu refinanzieren. Doch es fließt nicht, weil immer noch Verhandlungen mit Krankenkassen stocken. Das Ende vom Lied: Wir müssen Kontokorrentkredite erhöhen, um Löhne zu bezahlen. Das gilt für alle Häuser, deshalb läuft ein Verdrängungswettbewerb und das Kliniksterben ist real. Welche Rolle spielen die Krankenkassen? Die 103 Kassen haben etwa 16 Milliarden Euro in den Rücklagen, bräuchten aber nur ein Drittel. Zehn Milliarden liegen im Strukturfonds. Und laut Schätzkommission bräuchten sie weitere 14 Milliarden. Die kriegen also richtig viel Geld 2022 und die Situation der Krankenhäuser ist kritisch. Was ärgert sie besonders? Schauen Sie sich mal an, wie es die Verwaltungsvorstände der Kassen übertreiben, das nehmen wir uns als Krankenhausgeschäftsführer bei weitem nicht raus. Wie locken Sie bei all diesen aktuellen Bedingungen noch neues Personal in Ihre Häuser? Wir machen keine falschen Versprechungen und wir locken auch nicht. Wir wollen mit einer mitarbeiterorientierten Wertekultur überzeugen. Die Kultur hier ist, dass der Mensch im Vordergrund steht und nicht nur die Performance. Es geht um den Umgang miteinander. Dann ist man dem Haus gegenüber loyal und fühlt sich verbunden. Wie schwierig ist es denn aktuell, Personal anzuwerben? Es ist nicht leicht, aber bei uns läuft es noch besser als in anderen Kliniken. Wir legen viel Wert auf die Mitarbeiterförderung und achten auf die Wünsche der Mitarbeiter. Müsste das Personal in Krankenhäusern besser bezahlt werden oder ist die Entlohnung fair? Fair ist sie nicht. Im Verhältnis zu niedergelassenen Ärzten sieht man das ja schon, dort wird viel besser verdient. Die Politik will das so. Wir werden uns mit guten Ideen behaupten. Sie sind zusätzlich in der Situation, dass der katholische Träger seine Werte vorgibt. Stellen Sie Menschen ein, die aus der Kirche ausgetreten sind? Das wird nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Wir bewerten die Einzelfälle. Unsere Frage ist, ob neue Mitarbeitende sich für die Caritas und gelebte Mitmenschlichkeit einsetzen können. Es gibt in manchem Einzelfall nachvollziehbare Gründe, warum Menschen aus der Kirche ausgetreten sind. Welche können das sein? Zum Beispiel negative persönliche Erlebnisse. Wir haben Mitarbeitende, die ausgetreten sind, sich aber trotzdem kirchlich oder caritativ engagieren. In einem internen Schreiben an Ihre Führungskräfte kündigen Sie an, dass ein Fragenkatalog erstellt werden soll zur Prävention sexualisierter Gewalt. Warum machen Sie das? Wir wollen auch künftig Leute gewinnen, die unsere Werte teilen. Wir haben leider nicht nur gute Erfahrungen gemacht und wollen künftig sichergehen. Ein Fragenkatalog ist aus unserer Sicht möglich, um dies zu vermeiden. Welche Lehren ziehen Ihre Häuser aus der Pandemie? Krankenhäuser sind sehr politikabhängig. Die Beschlüsse treffen uns unmittelbar und wir müssen uns schnell auf Rahmenbedingungen einstellen. Wir haben viel geschafft, als die Krise kam. Es wurde nochmal klar, wie leistungsfähig wir sind. Leider hören Politik und Verbände aber zu wenig auf uns Praktiker. Wird sich das ändern? Nein. Die Politik kann regeln wie sie will und gerade in Krisenzeiten zeigt sich, dass sie nicht schnell genug und zielgerichtet genug handelt. Sie muss die Schäden ja auch nicht verantworten. Als Folge verschlechtert sich die Versorgungssituation insgesamt. Was macht sie so pessimistisch? Bei niedergelassenen Ärzten liegt der Anteil der Über-50-Jährigen bei 79 Prozent. In den nächsten 15 Jahren gehen sie in den Ruhestand. Wer soll die Menschen dann versorgen? Die kommen alle in die Kliniken. Sind Sie beim jetzigen Stand der Pandemie für eine Impfpflicht? Ich bin geimpft, so wie 92 Prozent unserer Mitarbeiter. In Sachen Impfpflicht bin ich noch unentschlossen. Mich ärgert es aber, dass Leute, die sich nicht impfen lassen, stigmatisiert werden. Die meisten der Ungeimpften sind von Angst getrieben. Wenn Politik und Medien zwei Jahre lang Panikkommunikation betreiben, muss man sich über diese Auswirkungen nicht wundern. Hier hätte man Soziologen und nicht Virologen als Berater gebraucht. Unsere Gesellschaft ist maximal überfordert von dieser Situation. Für das medizinische Personal kommt die Impfpflicht zum 16. März. Was bedeutet das für Ihre Kliniken? Auch da hat die Politik nicht gut nachgedacht. Es müssen ja alle Verwaltungsangestellten geimpft sein. Buchhalter zum Beispiel, die komplett im Homeoffice arbeiten könnten. Es werden leider alle über einen Kamm geschoren. Dennoch gehe ich davon aus, dass sich viele impfen lassen werden. Wie sieht die Krankenhaus-Landschaft im Kreis Paderborn in zehn Jahren aus? Durch die alternde Bevölkerung steigt der Behandlungsbedarf. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, werden dann mehr ambulante Leistungen in Kliniken erbracht und kostendeckend vergütet. Dann sind die Patienten gut versorgt. Politiker können das aber auch gegen die Wand fahren lassen. Ich vermute, dass im Kreis Paderborn die Zahl der Kliniken gleich bleibt. Reduziert wird bis dahin wohl eher im Ruhrgebiet.

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