Kreis Paderborn Psychotherapeutin gibt Tipps: Was Kinder in der Corona-Krise brauchen

Kreis Paderborn. "Scheiß Corona, das macht alles kaputt." Diesen und ähnliche Sätze hat Gabriele Hargesheimer in den vergangenen Monaten oft gehört. Sie ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Aus den zahlreichen Gesprächen in ihrer Praxis in Borchen-Etteln und dem Austausch mit ihren Kollegen und Kolleginnen beobachtet sie, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf Kinderseelen hat - und erklärt, wie Eltern sie in dieser schwierigen Zeit auffangen und schützen können. Lesen Sie auch: Darauf freuen sich die Kinder im Kreis Paderborn nach der Krise "Wir leben ja seit Mitte März in einer Ausnahmesituation", sagt die Psychotherapeutin. Corona sei eine weltweite Krise, "wie wir sie noch nie erlebt haben". Alles sei anders, was vorher selbstverständlich gewesen sei. Sie vergleicht die Krise mit einem Tunnel, in dem die Weltgemeinschaft lediglich tastend unterwegs sei. Die Ungewissheit darüber, wie es weiter gehe, sei bei allen groß. Extreme Spannungen und Interessenkonflikte müssten bewältigt werden, auch wenn mit der Impfung berechtigte Hoffnung auf Entspannung bestehe. Behandlungen dauern länger "Alles Gewohnte ist verändert", erklärt Gabriele Hargesheimer, die Mitglied des Psychotherapeutenvereins Paderborn/Höxter ist. Das führe zu &bdquo;weltweiter großer Verunsicherung und Ängsten, auch bei Kindern und Jugendlichen". Seit Herbst komme es bei ihr und in anderen psychotherapeutischen Praxen zu vermehrten Anfragen, in denen &bdquo;Corona" eine Rolle spiele. Diese könnten in den meist vollen Praxen jedoch leider nicht ausreichend zeitnah behandelt werden. In laufenden Behandlungen seien &bdquo;Corona und seine Folgen" natürlich immer ein Thema, &bdquo;weil es unser aktuelles Leben täglich bestimmt". Behandlungsverläufe dauerten absehbar länger, berichtet die 60-Jährige aus ihrer Praxis. Die Schulen geschlossen, eingeschränkter Betrieb in den Kindertagesstätten, kaum Treffen mit Gleichaltrigen: Die Corona-Krise ist für Kinder ganz unmittelbar zu spüren. Sie wollten aber ihre Freunde sehen und wieder mit ihnen spielen - "am liebsten alles wie vorher machen", so Hargesheimer. Damit folgten Kinder ihren normalen Entwicklungsimpulsen und Bedürfnissen. Um &bdquo;Lernstoffvermittlung nach Lernplan", die aktuell in Politik und Medien das bestimmende Thema sei, ginge es den meisten Kindern und Jugendlichen derzeit kaum. "Die leiden doch sehr" Bei Jugendlichen kurz vor Beendigung der Schulzeit sehe das anders aus. "Sie machen sich Sorgen um ihren Abschluss und ihre Berufschancen", so Hargesheimer. Da sei teilweise richtige Zukunftsangst zu spüren. Und auch diese Gruppe vermisse die sozialen Kontakte, denn anders als die jüngeren Kinder, die sich noch eher an ihren Geschwistern oder Eltern orientierten, bräuchten Jugendliche ihre Peer Group: Gleichaltrige seien wichtig. "Die leiden doch sehr, das ist schon dramatisch", beobachtet Hargesheimer. Die aktuelle, weitgehend unvorbereitete Digitalisierung in den Schulen sieht die Psychotherapeutin kritisch. &bdquo;Grundlegende Erkenntnisse der Hirn-Lern- und Bindungsforschung werden derzeit nicht ausreichend berücksichtigt und Kinder, Jugendliche und Familien leider noch weitgehend alleine gelassen", sagt Gabriele Hargesheimer. In den Praxen beobachten sie und weitere Kollegen und Kolleginnen derzeit vielfach davon überforderte Systeme. Insbesondere die Jugendlichen verbrächten teilweise viele Stunden vor allzu oft digitalem &bdquo;Frontalunterricht", teilweise seien große &bdquo;Hausaufgabenberge" zu bewältigen. Zudem fehle der Austausch im Klassenverband und die persönliche unmittelbare Rückmeldung von der Lehrerschaft. Verständlicherweise versuchten sie, auftauchende Überforderungsgefühle und das Bedürfnis nach Kontakt mittels entspannender, virtueller Parallelangebote abzuwehren: "Überspitzt gesagt: die Jungs zocken, die Mädchen Whatsappen", so Gabriele Hargesheimer. Kinder lernen von ihren Eltern Das habe jedoch negative Folgen für Schlafrhythmus, Konzentration, Aufmerksamkeit, Stimmung und Lebenszuversicht. Eine zunehmende Vereinsamung und innerer Rückzug sei bei vielen Patienten und Patientinnen, auch in anderen Praxen, zunehmend spürbar. Das Bedürfnis nach Rückkehr in den normalen &bdquo;Schulbetrieb und Alltag" sei groß.Doch wenn so vieles Pandemie-bedingt nicht möglich ist, was können Eltern für ihren Nachwuchs tun? Es sei das "A und O", dass Eltern für sich selbst ein gutes Gleichgewicht fänden, so die Psychotherapeutin. Dies habe Einfluss auf die Kinder: "Kinder schwingen mit ihren Eltern und lernen auf diese Art." Dazu bräuchten Kinder in erster Linie ein Halt gebendes Umfeld, Berührung, Austausch, einen sinnvollen und verlässlichen Tagesablauf, gesunde Mahlzeiten, ausreichend Bewegung, möglichst an der frischen Luft, qualitative Familienzeit, schöne, auch ablenkende, kreative Beschäftigungen, wenn möglich Begegnungen unter sicheren Bedingungen - kurz gesagt: Eltern sollten versuchen, "den Tag wohltuend zu gestalten". Hoffnung und Zuversicht sind wesentlich Entscheidend sei der Umgang mit Ängsten. Kinder würden darauf schauen, wie ihre Eltern mit Sorgen umgehen. "Kinder spüren und reagieren auf diffuse Ängste und Nöte", weiß Gabriele Hargesheimer. Deshalb sollte man darüber sprechen. Ganz wichtig sei es, als Eltern zu vermitteln: " Ich sehe dich und egal, was kommt, wir finden einen Weg, irgendwie finden wir eine Lösung." Grundsätzlich sei es von Vorteil, altersangemessen über Schwierigkeiten zu sprechen und diese einzuordnen. Kinder müssten auch spüren, dass sie von der Verantwortung entlastet werden – Hoffnung und Zuversicht seien wesentlich. "Je stabiler das Familiensystem ist, desto bessere Chancen haben Kinder und Jugendliche, gut durch die Krise zu kommen", sagt die Psychotherapeutin. Sie macht sich vor allem Sorgen um jene Familien, in denen das derzeit schwierig sei. Sie müssten besonders in den Blick genommen, unterstützt und gefördert werden: "Damit wir keine Familie verlieren. Wir alle brauchen Boden unter den Füßen und einen hoffnungsvollen Horizont."

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