Interview Notfallsanitäter über Dauerstress, 48-Stunden-Wochen und die Omikronwelle

Seit inzwischen zwei Jahren sind wir alle mehr oder minder von Corona betroffen, viele von uns arbeiten aus dem Homeoffice heraus. Im Rettungsdienst ist das nicht möglich. Wie hat sich die Pandemie auf ihr Arbeitsleben ausgewirkt? Die Einsatzzahlen sind um rund zehn Prozent gestiegen. Die Gründe dafür können wir uns auch nicht ganz erklären, weil wir ja nicht nur Coronapatienten transportieren oder retten. Vielleicht sind die Menschen bei Krankheitsgefühl einfach sensibler, überall liest und hört man über Covid. Zudem müssen die Menschen beim Hausarzt dann in Wartezimmern warten. Der Rettungsdienst kommt zu mir und kann immerhin dann sagen, ob die Symptome schlimm sind oder nicht. Wie viele Covid-Patienten behandeln Sie im Rettungsdienst? Im Bereich Krankentransporte ist der Anteil der Covid-Patienten hoch, berichten die Kollegen. Für den Rettungsdienst schätze ich die Zahl auf in etwa fünf Prozent - das variiert aber auch stark. Manchmal transportieren wir Patienten mit deutlichen Symptomen wie Atemnot oder Fieber, aber letztlich stellt sich das als ein anderer Infekt heraus. Ist das Risiko, sich im Rettungsdienst mit Covid zu infizieren, höher? Ich glaube, dass wir die höchste Gefährdung all jener haben, die im Gesundheitswesen arbeiten. Zumindest im akuten Einsatz. Die Krankenhäuser fragen uns bei Patienten schon immer nach der Körpertemperatur. Damit haben die Pflegekräfte dort die Möglichkeit, sich noch einmal vermehrt zu schützen. Sie haben Familie. Sind Sie besorgt, sich selbst zu infizieren und das an ihre Frau und Kinder weiterzutragen? Ja, auf jeden Fall. Von dieser Angst berichten mir auch Kolleginnen und Kollegen. Besonders am Anfang, als wir noch wenig über Covid wussten und uns noch nicht so gezielt schützen konnten. Aber nach wie vor ist die Sorge da - und das macht was mit uns. Machen Sie bei den Patienten, die Sie behandeln, einen Schnelltest? Das ist überhaupt nicht vorgesehen. Viel mehr als uns selbst zu schützen können wir auch gar nicht machen. Im besten Fall trägt der Patient auch eine Maske. Aber wenn wir einen Patienten mit Atemnot haben, können wir ihm keine Maske aufsetzen. Und wenn wir ihn behandeln oder untersuchen, kommen wir dem Patienten ja zwangsläufig nah. Abstand halten ist nicht möglich. Wie schützen Sie sich dann? Schon fast seit Beginn tragen wir FFP2-Masken. Außerdem wurde uns die Impfung recht früh angeboten. Abseits des Infektionsrisikos – was hat sich mit der Pandemie für Sie und Ihre Kollegen verändert? Die Arbeitsbelastung hat enorm zugenommen. Die eigenen Schutzmaßnahmen, die Fahrzeuge und auch die Rettungswachen häufiger desinfizieren - das ist alles Mehrarbeit. Auch die Krankenhäuser sind total überlaufen. Da haben wir manchmal Probleme, Patienten noch unterzubringen. Dann fangen wir an zu rotieren. Entweder sucht die Leitstelle weiter entfernte Krankenhäuser, oder die Krankenhäuser bekommen den Patienten einfach zugewiesen, wenn es nicht anders geht. Hat sich auch der Umgang mit Rettungskräften, zum Beispiel bei Einsätzen, während der Pandemie verändert? Von den Patienten kommt uns oft Wertschätzung entgegen. Aber es gibt auch jene, die sehr fordernd sind. Die wollen dann von uns transportiert werden, damit sie im Krankenhaus schneller behandelt werden. Die Geduld der Menschen scheint abgenommen zu haben. Mit Omikron zirkuliert nun auch im Kreis Paderborn eine wesentlich ansteckendere Virusvariante. Was passiert, wenn sich Kolleginnen oder Kollegen trotz der Schutzmaßnahmen doch mit Covid infizieren? Für die systemrelevanten Bereiche wurden auch hier im Kreis die Notfallpläne überprüft. Die greifen, wenn zum Beispiel sehr viele Rettungskräfte zum Beispiel mit Corona infiziert sind. Selbst wenn sie nicht schwer erkranken, fallen sie ja bis zu zwei Wochen aus. Der Rettungsdienst ist keine Ausnahme im Gesundheitswesen und auch von großem Fachkräftemangel betroffen. In der Pflege spricht man vom "Pflexit". Gibt es eine solche Entwicklung auch im Rettungsdienst? In meinem Umfeld ist das noch nicht erkennbar. Ich sage mal so: Wir im Rettungsdienst sind sehr zäh, halten vieles aus. Der Begriff &bdquo;Retterherz“ trifft auf viele von uns zu. Dabei opfern sich einige aber wirklich auf, kommen angeschlagen zur Arbeit oder bieten von sich aus Überstunden an. Das birgt die Gefahr, sich selbst zu vernachlässigen. Für die Pflege wird häufig ein höherer Lohn diskutiert, um die Berufe wieder attraktiver zu machen. Wäre das auch für den Rettungsdienst denkbar? In unserer Region werden in der Rettung alle gleich bezahlt. Sicherlich ist mehr Geld immer gut. Aber die Arbeitsbedingungen sind einfach schwierig. Die Schichten dauern meist zwölf, manchmal auch 24 Stunden. Auch nachts müssen wir funktionieren, wenn sich unsere Körper eigentlich im Ruhemodus befinden. Zudem arbeiten wir fast alle in einer 48-Stunden-Woche, da zu den eigentlichen 39 Stunden noch Bereitschaftszeit anfällt. Die Zeit in Bereitschaft müssen wir auf der Arbeit verbringen, die wird uns allerdings nicht bezahlt. Wie wirken sich diese Arbeitszeiten auf Freizeit und Familie aus? Ein Beispiel: Ich habe von sieben bis 19 Uhr Schicht. Wenn um 18.30 Uhr ein Einsatz kommt, muss ich noch raus - und dann auch länger machen. Sport- oder Musikverein fällt für viele da flach. Mit Omikron könnte sich die sowieso bereits angespannte Situation dann noch weiter verschärfen. Was bedeuten die von Ihnen angesprochenen neuen Notfallpläne denn konkret? Einige Arbeitsrechte werden zum Teil außer Kraft gesetzt. Die Dienstpläne sind in diesem Notfall dann nicht mehr zuverlässig, auch an freien Tagen können wir zum Dienst gerufen werden. Die Dienstzeiten können ausgeweitet und die Ruhezeiten somit auch runtergesetzt werden. Oder Urlaub muss uns dann nicht gewährt werden. Aber gerade bei der Mehrbelastung brauchen wir auch Erholungsphasen - für den Kopf, aber auch körperlich. Der sogenannte Pflegebonus, der an Menschen im Gesundheitswesen ausgeschüttet wurde und auch nochmal werden soll, berücksichtigt den Rettungsdienst nicht. Haben Sie und Ihre Kollegen das Gefühl, von der Politik vergessen zu werden? Ja, das kann man so sagen. Wir sind gar nicht so wenige, im Kreis Paderborn haben wir rund 250 Retter, die den Job hauptamtlich machen. Das Problem ist: Wir sind nur wenig vernetzt, treten öffentlich kaum auf. Was müsste passieren, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern? Ich halte es für wichtig, dass wir uns besser organisieren. Zum Beispiel gemeinsam in die Gewerkschaft eintreten und dort für bessere Arbeitsbedingungen starkmachen. Zum einen brauchen wir ausreichend Personal. Zum anderen hat das Modell mit der 48-Stunden-Woche und den langen Arbeitszeiten ausgedient, das kann man auch keinem mehr verkaufen. Über die Jahre sind die Einsatzzahlen stetig gestiegen. Aber die Arbeitsbedingungen haben sich, seitdem ich dabei bin, nie verbessert. Und das, obwohl unsere technischen Möglichkeiten mit neuen Fahrzeugen und moderner Ausrüstung deutlich besser geworden sind. Da wurde richtig viel Geld investiert. Was bedeutet das für junge Menschen, die an der Arbeit interessiert sind? Als ich 1996 im Rettungsdienst gestartet bin, war das mein absoluter Traumberuf. Und auch heute ist es sicherlich noch ein toller und abwechslungsreicher Job. Aber für junge Menschen, die einsteigen wollen, müssen wir die Arbeit wieder attraktiver machen. Ein Kernpunkt ist dabei sicherlich die Freizeit. Ich würde mir wünschen, dass das Leben außerhalb der Arbeit auch bei der Dienstplanung berücksichtigt wird. Für diese wirklich wichtige Arbeit braucht es nämlich auch einen Ausgleich.

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