Verfolgung der Zeugen Jehovas Stolpersteine in Bad Lippspringe erinnern an das Leid einer Familie

Bad Lippspringe. Für die Bad Lippspringer Familie Kusserow war die Zeit des Nationalsozialismus ein einziges Martyrium. Als Jehovas Zeugen sahen sich die Eltern Franz und Hilda Kusserow gemeinsam mit ihren elf Kindern schlimmsten Repressalien ausgesetzt. Zwei der Söhne wurden im Zweiten Weltkrieg wegen Kriegsdienstverweigerung angeklagt und hingerichtet. Mit Paul Gerhard Kusserow ist jetzt der letzte Zeitzeuge der Familie im Alter von 91 Jahren verstorben. Paul Gerhard Kusserow wurde am 25. Juni 1931 als jüngstes Kind der Eheleute Franz und Hilda Kusserow geboren. Er wuchs zusammen mit seinen zehn Geschwistern in einem behüteten Elternhaus aus, in dem auch viel musiziert wurde. Eine schöne Kindheit war ihm nicht beschieden. Kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde das Elternhaus an der Detmolder Straße erstmals von der Gestapo durchsucht. Die glaubte, hier verbotene Literatur der Zeugen Jehovas finden zu können. Weil er wie seine älteren Geschwister den Fahnen- und Hitlergruß verweigerte, war Paul Gerhard Kusserow bereits zu Beginn seiner Schulzeit unterschiedlichen Schikanen aus der Lehrerschaft ausgesetzt. In besonders schlechter Erinnerung blieb ihm das Verhalten des damaligen Rektors Wellpott, der am Ende sogar das Jugendamt informierte. Treffen mit den Eltern war unter Strafe verboten Die Eltern verloren von einem auf den anderen Tag das Sorgerecht für ihre drei jüngsten Kinder Hans-Werner, Elisabeth und Paul Gerhard. Letzterer war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sieben Jahre alt. Ohne Vorankündigung wurden die Geschwister nach Dorsten in ein Heim für angeblich schwer erziehbare Kinder und kriminelle Jugendliche gebracht. Getrennt voneinander verbrachten die Kinder hier die folgenden vier Monate. Dann kamen sie in ein Kinderheim in Nettelstedt bei Minden. Ein Treffen mit den Eltern war unter Strafe verboten. Dennoch gelang es Hilda Kusserow, hier einige Male Kontakt zu den drei Kindern aufzunehmen. Am 9. Februar 1942 kam Paul Gerhard zu Pflegeeltern nach Siddinghausen bei Büren, das Ehepaar galt als ausgesprochen reichstreu. Auf dem Bauernhof der Familie musste der inzwischen Elfjährige jeden Tag nach der Schule schwer arbeiten. Auch wenn er dort, wie er sagte, &bdquo;freundlich behandelt“ wurde, so vermisste der Junge seine Familie sehr. In der neuen Volksschule wurde er misstrauisch beäugt, weil er weiterhin den Hitlergruß verweigerte. Bei seiner Schulentlassung 1945 wurde ihm deshalb sogar angedroht, ihn wieder in ein Heim zu bringen. Dazu kam es aber nicht mehr, da die Amerikaner im Frühjahr 1945 auch in Siddinghausen einmarschierten. Kurz nach der Befreiung hielt ein Auto vor dem Bauernhof der Pflegefamilie. Ein ehemaliger Häftling aus dem KZ Wewelsburg stieg aus und rief zu einem Jungen, der gerade Holz hackte: &bdquo;Hallo, sag mal, wohnt hier ein kleiner Junge, der in der Bibel liest und in der Schule kein Heil Hitler sagen wollte?“ Paul Gerhard antwortete: &bdquo;Das muss ich wohl sein!“ Der ihm fremde Mann sagte dann den erlösenden Satz: &bdquo;Du bist frei, pack deine Sachen, du kommst mit.“ Älteren Brüder wurden hingerichtet Wie der 14-Jährige bereits bei der Rückkehr nach Bad Lippspringe erfahren musste, würde es kein Wiedersehen mit allen Geschwistern geben. Seine älteren Brüder Wilhelm und Wolfgang wurden wegen Wehrdienstverweigerung 1940 und 1942 im Alter von 20 und 25 Jahren hingerichtet. Die anderen überlebenden Familienmitglieder kehrten nach und nach völlig geschwächt und krank aus den verschiedenen Konzentrationslagern zurück. Paul Gerhard Kusserow ist am 21. Oktober 2022 gestorben. Zusammen mit seinen Geschwistern besuchte er als Zeitzeuge verschiedene internationale Gedenkveranstaltungen. Die letzten Jahre lebte er zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Claudia - seine erste Frau Ilse und seine Tochter Brigitte verstarben früh - in Nordhessen. An das Leid der Kusserows erinnern heute 13 Stolpersteine vor dem ehemaligen Familienhaus in Bad Lippspringe. Die Initiative ging von der örtlichen Arbeitsgruppe Stolpersteine aus. Die Steine sind Mahnmale gegen das Vergessen. Sie bezeugen, was Krieg und Rassismus anrichten können. Auf einem dieser Stolpersteine ist auch der Name von Paul Gerhard Kusserow zu finden, der selbst unter stärkstem Druck die christlichen Werte lebte und Zivilcourage zeigte.

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