Bad Oeynhausen Ständig erschöpft: Bad Oeynhausener leidet unter diesem Syndrom

Bad Oeynhausen. Eine anstrengende Arbeitswoche, eine ausgelassene Party - da fühlen sich viele erschöpft und ausgepowert. Christoph Krüger wäre froh, wenn er all das mal wieder erleben könnte. Stattdessen ist beim 40-Jährigen bereits nach der kleinsten Anstrengung der Akku leer. Und er lässt sich auch mit Schlaf oder Erholung nicht aufladen. Christoph Krüger ist einer von rund 250.000 Menschen in Deutschland, die unter Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom - kurz ME/CFS - leiden. Dabei ist der Körper nicht mehr in der Lage, ausreichend Energie bereitzustellen. Auch dem Bad Oeynhausener fällt es immer schwerer, alltägliche Aufgaben zu erfüllen. "Ich verbringe zwischen 18 und 24 Stunden pro Tag im Bett", sagt er. Mit den Corona-Spätfolgen rückt auch ME/CFS mehr in den Fokus, denn die Symptome sind ähnlich denen von Long Covid. Krüger möchte mit seinem Schritt an die Öffentlichkeit vor allem eines: die Krankheit bekannter machen. Denn sie ist weder gesichert zu diagnostizieren, noch anerkannt. Was für die Betroffenen auch schwerwiegende finanzielle Folgen hat. Christoph Krüger stand immer mitten im Leben. Spielte als freiberuflicher Musiker in zwei Bands, war auf Tourneen unterwegs, arbeitete in einem Musikgeschäft in Hannover, fuhr Mountainbike und begann eine Ausbildung zum Lokführer. Bis er plötzlich merkte, dass er einen solchen Arbeitstag nicht durchsteht. "Okay, das ist vielleicht nicht das Richtige für dich", habe er gedacht. "Ich habe danach noch vieles ausprobiert. Du musst nur wollen, war meine Devise", sagt er. Doch alles klappte nicht. Lange hat Christoph Krüger recherchiert. Hat sich Gedanken über sich und sein Leben gemacht. "Ich habe immer gesehen, was andere in meinem Alter aus ihrem Leben gemacht haben", sagt er. "Das hätte ich auch gerne." Und so dachte er lange, es sei mit Wollen getan. "Ich habe mir oft selber Faulheit vorgeworfen", sagt er rückblickend. Bis er irgendwann merkte, dass es kein Wollenproblem ist, sondern ein Könnenproblem. "Wie eine Grippe mit drei Bier" Die Ärzte wussten keinen Rat. Krügers Blutbild wies keine Auffälligkeiten auf. "Die Ärzte haben mich schnell in die Schiene Depressionen eingeordnet." Seine Psyche sei schuld an der verminderten Leistungsfähigkeit, bekam er zu hören. Ist sie aber nicht. Stattdessen fand Krüger letztlich in Österreich einen Spezialisten, der sein Krankheitsbild einordnen konnte: ME/CFS. Diese komplexe neurologische Erkrankung tritt oft nach einem Virusinfekt wie einer Grippe oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber auf. Nach körperlicher oder kognitiver Überanstrengung kommt es zur sogenannten Post Exertional Malaise, einer massiven Verschlechterung des Zustandes. Das kann für Tage anhalten und ist typisch für ME/CFS. Stingel: "Dazu kommen noch Beschwerden wie schlechter Schlaf, &bdquo;Hirnnebel“, Probleme mit der Regulation des Kreislaufs und Schmerzen im Bewegungsapparat sowie eine Vielzahl anderer möglicher Symptome." Die Symptome sind grippeähnlich, gehen mit geschwollenen Lymphknoten einher, mit Halsschmerzen und Atemwegsinfekten. "Wie eine Grippe mit drei Bier", beschreibt es der 40-jährige Krüger. Ihm und anderen Betroffenen fällt es dann zunehmend schwer, ihre alltäglichen Aufgaben zu erfüllen, sie fühlen sich dauerhaft ausgeknockt. Selbst einfache Tätigkeiten, wie den Tisch abzuräumen oder zum Bäcker zu gehen, werden oft zu unüberwindbaren Hindernissen. Kleine Aktivitäten wie Zähneputzen, Duschen oder Kochen werden zur Tortur, Besorgungen im Supermarkt können zu tagelanger Bettruhe zwingen. "Ich habe gestern ein bisschen Hausarbeit gemacht und musste mich danach wieder stundenlang hinlegen. Es ging nicht mehr", berichtet Krüger. Eine Behandlung gegen ME/CFS gibt es bisher nicht. Ärzte, die sich auskennen, sind Mangelware. Spezialist Michael Stingel aus Wien ist Neurologe und neben Ärzten der Berliner Charité einer der wenigen, die sich auskennen. Trotzdem wird seine ärztliche Tätigkeit von deutschen Krankenkassen nicht bezahlt. "Die Berliner forschen. Aber die haben eine so lange Liste von Patienten, die nehmen niemanden mehr auf ihre Warteliste", musste Christoph Krüger erfahren. Noch gehört ME/CFS zu den letzten großen Krankheiten, die kaum erforscht sind. "Und fehlt einfach die Aufmerksamkeit", bemängelt der Bad Oeynhausener. Weltweit sind 17 Millionen Menschen betroffen Und das, obwohl in Deutschland rund 250.000 Menschen, weltweit sogar zirka 17 Millionen, von der Krankheit betroffen. Sie zählt zu den neuro-immunologischen Erkrankungen und kann sogar zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führen. Schwerstbetroffene müssen deshalb oft in abgedunkelten Räumen liegen und können sich nur flüsternd mit Angehörigen verständigen. Davon ist Christoph Krüger zum Glück aber noch weit entfernt. Aber auch ihn strengt das bloße Sitzen und das Interview an. "Es ist die Kunst, sich nicht runterziehen zu lassen. Auch wenn ich täglich erinnert werde, was ich alles nicht kann. Das macht mich fertig", sagt der 40-Jährige, der es sich zur Aufgabe macht, die kleinen Dinge zu schätzen. Wie die Magnolie vor der Haustür. Die Ursache für die Erkrankung ist unbekannt. "Es gibt mehrere Ansätze", hat Christoph Krüger erfahren. So tritt ME/CFS häufig nach einer Infektionskrankheit wie Influenza auf. Auch das Epstein-Barr-Virus (Herpes) ist als Auslöser im Gespräch. Auch nach der SARS-Pandemie 2002/2003 entwickelten Erkrankte ME/CFS. Und auch einige Coronainfizierte haben als Spätfolge ME/CFS. Das, so hofft Christoph Krüger, könne sich nun positiv auf die Aufmerksamkeit auswirken. "Eine chronische Krankheit kann jeder bekommen. Aber es braucht einfach die Aufmerksamkeit und die Anerkennung." Die fehlt bisher. Obwohl die Krankheit seit den 60er Jahren bekannt und von der WHO aufgeführt ist. Und so kämpft Christoph Krüger einen schweren Kampf. In erster Linie gegen die Behörden. Es geht um Rente, um Schwerbehinderung und auch um die Unterhaltspflicht für die Tochter. Weil bisher seine Krankheit nicht als Krankheit anerkannt ist, fehlt das Geld. Die Grundsicherung gibt es, mehr nicht. In Sachen Erwerbsminderungsrente läuft sein Widerspruchsverfahren. "Das", so prognostiziert er, "wird Jahre dauern. Ich bin für die immer noch der, der arbeiten kann, aber nicht will", sagt Krüger verbittert.

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