Bad Oeynhausen So steht es um die Corona-Proteste in der Kurstadt - und wer dort mitmischt

Bad Oeynhausen. Die Lichter sind aus, der Protest jedoch ist geblieben. Seit Wochen läuft nur noch ein harter Kern von Coronaprotestlern durch die Innenstadt von Bad Oeynhausen. Seit dem Wegfall der meisten Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens ist auch der Protest dagegen abgeflaut. Selbst die Impfpflicht im Gesundheitswesen lockt am Gesundheitsstandort Bad Oeynhausen keinen Massenprotest auf die Straße. Allerdings haben die demonstrativen Spaziergänge der vergangen Monate den Zusammenhalt der Szene gestärkt. Aus den anonymen Telegrammen auf Telegram sind persönliche Kontakte gewachsen. Der Einfluss von Rechtsextremen Der Verfassungsschutz des Landes NRW hat seinen zweiten Sonderbericht zu Coronaprotestlern veröffentlicht. Darin wird auch die Szene im Mühlenkreis beschrieben. Der Geheimdienst, der die demokratische Verfassung des Landes schützen soll, bezieht sich dabei auf den Marsch zur Wohnung von Landrätin Anna Bölling (CDU) in Minden. Eine Beobachtung des Dienstes trifft auch auf die Lichterspaziergänge in Bad Oeynhausen zu: Der Anlass für den Coronaprotest hat sich mit der Zeit verschoben. Im Winter noch stand der Lockdown und die Leugnung des Virus im Mittelpunkt, inzwischen ist es die Impfverweigerung. Und ganz aktuell werden die Telegram-Chats mit Rechtfertigungen für Russlands Angriffskrieg gefüttert. Eine zentrale Lenkung des Coronaprotests vermag der Geheimdienst nicht auszumachen. Dabei werden landesweit meist montags nichtangemeldete Wanderdemonstrationen durch die Innenstädte veranstaltet. Die Verfassungsschützer schreiben, die Szene könne als &bdquo;verselbstständigende, dezentral und regional agierende Protestkultur identifiziert werden, die dynamisch, fluid und ohne überregionale Führungspersönlichkeiten agiert“. In Bad Oeynhausen konkurrieren drei Protestgruppen Der Dienst beobachtet, dass mehrere rechtsextreme Parteien landesweit ihren Einfluss auf den Protest auszuweiten versuchen. Bei den Teilnehmern der Proteste handele es sich nach Ansicht der Verfassungsschützer aber &bdquo;um ein zersplittertes, fragmentiertes, disparates Protestmilieu, das von &bdquo;Corona-Leugnern“, Impfverweigerern, Verschwörungsmythikern, Esoterikern, rechts- und linksextremistischen Personen, Reichsbürgern bis hin zu Personen aus der bürgerlichen Mitte reicht mit einer teils widersprüchlichen politischen und/oder gesellschaftlichen Agenda“.In diese Beschreibung passt allerdings nahezu alles und jeder, der oder die irgendwie durch öffentlichen Protest im Zusammenhang mit der Coronakrise auffällt. Dem Inlandsgeheimdienst fällt es offensichtlich schwer, Führungsfiguren zu identifizieren und Strukturen aufzudecken. Allerdings schließen die Schlapphüte am Ende ihres Sonderberichts Linksextreme als Unterstützer der Coronaproteste aus. Die Wanderdemonstranten in Bad Oeynhausen üben öffentlich Zurückhaltung, allerdings kommt auch nur ein Teil aus der Kurstadt. Einige Demonstranten reisen extra aus umliegenden Städten an. Nach Recherchen der NW haben sich die Demo-Spaziergänger in Bad Oeynhausen früh von den sogenannten Freidenkern in Minden abgegrenzt und im Streit sogar zeitweise mit einem gegenseitigen Werbeverbot auf den jeweiligen Telegram-Kanälen belegt. Inzwischen ist das aber wohl Geschichte. Kurstadt-Demonstranten fehlt die politische Botschaft Drei verschiedene Telegram-Gruppen rufen zu Protesten in Bad Oeynhausen an unterschiedlichen Tagen auf und buhlen um Aufmerksamkeit. Zwei dieser Gruppen produzieren vor allem heiße Luft, offenbar um die Behörden zu verwirren. Die meisten Teilnehmer, ein harter Kern aus vielleicht 40 Wanderdemonstranten, laufen nur an einem Tag durch die Kurstadt. Charakteristisch für den Kurstadt-Coronaprotest ist das Fehlen einer eigenen politischen Botschaft. Laut Eigenwerbung der Sammlungsbewegung auf Telegram handelt es sich bei den öffentlichen Auftritten um &bdquo;gesundheitsfördernde Spaziergänge zur ausschließlichen Zurschaustellung des Freiheits- und Zusammengehörigkeitsgefühls“. Die Demo-Spaziergänger vergewissern sich dabei gegenseitig ihrer Gedankengebilde und überlassen die öffentliche Deutung ihres Protests den Beobachtern. Offensichtlich geschieht das in der irrigen Annahme, dadurch nicht als politische Versammlung zu gelten. Auf dem zum Lichterspaziergang gehörigen Telegram-Kanal wird allerdings munter und meist anonym gegen Politiker, Wissenschaftler und Journalisten gehetzt. Fakten werden als Fake umgedeutet, die Pandemie zur &bdquo;Plandemie“ erklärt und wilde Verschwörungmythen zu angeblichen Giftspritzen dargeboten. Altbekannte antisemitische Stereotypen, wie das von der jüdischen Weltverschwörung, bekommen ein hübscheres Etikett und werden als &bdquo;Neue Weltordnung“ präsentiert. Das ist eine Methode, die den Verschwörungsglauben und damit Antisemitismus für fast alles anschlussfähig macht. Gewaltfantasien gegen den Bürgermeister Der Neujahrs-Spaziergang von Freidenkern in Minden, angeführt von einem Zahnarzt zur Wohnung der Landrätin, markiert nach Ansicht des Landesverfassungsschutzes eine &bdquo;deutlich grenzüberschreitende Entwicklung“. Die Radikalisierung der Coronaproteste setzte aber schon früher ein. Monate zuvor fand ein Arzt in Oberhausen Buttersäure getränkte Post mit Verschwörungsmythen im Briefkasten, ein impfender Kinderarzt in Rheinbach bekam anonyme Drohbriefe. Die Gewaltfantasien gegen den Bad Oeynhausener Bürgermeister Lars Bökenkröger (CDU) im Dezember 2021 in einer Telegram-Gruppe von Freidenkern aus ganz NRW finden im Verfassungsschutzbericht keine ausdrückliche Erwähnung. Bökenkröger hatte angesichts der Lichterspaziergänge über die NW zum Impfen aufgerufen. Solche virtuellen Drohungen aus der Coronaprotestszene gehören in der Lesart des Verfassungsschutzes inzwischen offenbar zum Alltag, dem Kommunalpolitiker ausgesetzt sind. Die Coronaprotestler der Kurstadt haben ihren Protest trotz alledem fortgesetzt und nicht etwa wie jüngst der Schmusesänger Xavier Naidoo dem Verschwörungsglauben abgeschworen. Auch der Gegenprotest des Aktionsbündnisses &bdquo;Gemeinsam durch die Pandemie“, der den Wanderdemonstranten alle 14 Tage den öffentlichen Platz vorm Rathaus streitig macht, hat die Szene nicht nachhaltig beeindruckt. Geheimdienst befürchtet Radikalisierung des Coronaprotests Landesweit beobachtet der Verfassungsschutz den Versuch von rechtsextremen Parteien und Organisationen, die Coronaproteste zu emotionalisieren und instrumentalisieren. Die Beamten sprechen von einer &bdquo;Mimikry-Strategie“. &bdquo;Dabei wird der bestehende Diskurs aufgegriffen und demokratiefeindlich radikalisiert“, schreiben die Geheimen in ihrem öffentlichen Bericht. Diese Mimikry gibts auch in Bad Oeynhausen. Auf den drei Telegram-Gruppen der Kurstadt-Protestler buhlen nach Recherchen der NW vor allem drei Organisationen um Aufmerksamkeit: Einzelne Vertreter der Partei &bdquo;Alternative für Deutschland“ beteiligen sich an Gruppenchats und zeigen gelegentlich Gesicht. Sie konkurrieren mit Vertretern einer neuen Partei namens &bdquo;Die Basis“, die sich hinter einem ehemaligen unabhängigen Bürgermeisterkandidaten aus Bad Oeynhausen versammeln. Gleichzeitig veröffentlicht die im Werretal bekannte Reichsbürger-Gruppe der &bdquo;Justizopferhilfe“, die inzwischen wohl in Porta Westfalica eine neue Bleibe gefunden hat, fortwährend Verschwörungsmythen und rechtsextreme Hassbotschaften in den Telegram-Chats der Coronaprotestler. Die Administratoren der Gruppen teilen das Reichsbürgergerede unwidersprochen und verbreiten es weiter. Schlüsselrolle: Telegram Dem Messengerdienst Telegram kommt nach Ansicht des Verfassungsschutzes eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung und Vernetzung zu. Einerseits sei der Messenger ein &bdquo;digitaler Flyer“, andererseits auch &bdquo;Tatmittel“ für Straftäter: &bdquo;Eine Vielzahl von Repräsentanten des Staates, Amts- und Würdenträgern oder in der öffentlichen Wahrnehmung stehenden Personen des medizinischen und wissenschaftlichen Sektors sah und sieht sich Einschüchterungsversuchen, Bedrohungen und auch Tötungsaufrufen ausgesetzt.“ Als die Verfassungsschützer das diesen Satz schrieben, planten Extremisten aus der Coronaprotestszene laut Polizei über einen bundesweiten Telegram-Chat die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der Verfassungsschutz des Landes NRW sieht die Gefahr, dass die Szene sich gegenseitig im Gefühl bestärkt, recht zu schaffen. Staatliche und rechtliche Vorgaben würden nicht anerkannt und gezielt umgangen. Was die Beamten nicht schreiben: Dieses Dauerfeuer aus Selbstermächtigungspropaganda über die sogenannten sozialen Medien hat in Amerika Führungspersönlichkeiten an die Macht gespült, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen treten. Während der Sturm aufs Kapitol in Washington blutig endete, ist der Sturm auf das Reichstagsgebäude in Berlin, zu dem eine Heilpraktikerin am Montag, 31. August 2020, aufgerufen hatte, kläglich gescheitert. Den Versuch hat es allerdings gegeben.

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