Bad Oeynhausen Ukrainer nach der Flucht: "Kein Kind sollte ein solches Leid erfahren"

Bad Oeynhausen. Volodymyr Khyruvyn kann schon ein deutsches Wort. "Schlimm", sagt er Kopf schüttelnd. Ein Wort, das für die ganze Situation in seiner Heimat steht. Der 64-Jährige ist mit seiner Frau und seinen beiden Enkeln vor dem Krieg in der Ukraine zur Tochter nach Deutschland geflohen. 28 Stunden haben sie für die knapp 1.100 Kilometer von Lwiw (Lemberg) nach Bad Oeynhausen gebraucht. Die Freude über das Wiedersehen aber hält sich in Grenzen. Stattdessen überwiegen Angst und Sorgen. Emotional sind die vier Vertriebenen längst nicht in der Kurstadt angekommen. Zu sehr beschäftigen sie die Ereignisse daheim in der Ukraine. Die beiden Jungs, Michael und Kyryl, 20 und 17, kleben quasi an ihren Handy-Bildschirmen. Ihr Leben, ihre Freunde, ihr Studium - all das mussten sie Hals über Kopf verlassen. Nun sitzen die beiden Waisen mit ihren Großeltern in der Dachgeschosswohnung der Tante. Sieben Personen auf engstem Raum. Keine einfache Angelegenheit. Maximal einmal im Jahr sehen sich Eltern und Tochter sonst. Dieses Wiedersehen aber ist getrübt. "Es ist kein Urlaub mit Fröhlichkeitsgefühl, das ist Fliehen vor einer Katastrophe", bringt es Lena Althof auf den Punkt. "Meine Eltern, meine Neffen - sie hatten ein schönes Leben in der Ukraine. Alle waren zufrieden dort." Nun sei von jetzt auf gleich alles anders. Flucht ohne Konzept Die Tasche mit den Papieren hatte Tatiana Verbukhovska bereits gepackt. Ahnend, dass es nicht gut für die Ukraine laufen könnte. Und trotzdem war die Flucht spontan. "Wir haben bis zuletzt geglaubt, dass wir nicht weg müssen", erzählt die 65-Jährige auf Ukrainisch. Doch dann meldete das Fernsehen Bombeneinschläge nahe Lwiw. "Da war die Angst so groß", sagt sie. Ohne Konzept sei danach die Abreise geschehen. Unter Stress packte das Ehepaar seine Koffer. "Hilflos, Panik, Angst", so sagen sie, hätten dominiert. Von Donnerstagabend bis Sonntagmittag waren sie mit ihrem Kombi unterwegs. Ihre beiden Enkel trafen sie erst auf polnischer Seite. Sie leben nach dem Tod der Eltern bei der anderen Oma. "Die beiden sind fast 30 Kilometer zu Fuß unterwegs gewesen zur Grenze", weiß Lena Althoff. Ihre beiden Neffen seien dann aber von Fremden im Auto mitgenommen und an der Tankstelle in Polen an die Großeltern übergeben worden. "Michael durfte nur ausreisen, weil er das Sorgerecht für Kyryl hat", erklärt die 37-Jährige die Situation ihrer Neffen.Der Weg zur Grenze - emotional anstrengend. "Wir haben an der Grenze ein zehnjähriges Mädchen aus Kiew gesehen. In ihren Augen waren so viel Angst und Schrecken zu sehen, so viel Überforderung, sie hat pure Angst ausgestrahlt - das war so schrecklich anzusehen", erzählt Tatiana Verbukhovska leise. Sie seien selber in Angst und Schrecken gewesen - "aber das war ein so trauriger Anblick". Ein solches Leid sollte kein Kind der Welt erfahren, stimmt ihr ihr Ehemann zu."Wir wollen in Frieden zurückkehren" Viele der Verwandten und Freunde der Familie sind noch in der Ukraine. Täglich gibt es Kontakt. Auch die Eltern schauen ständig aufs Handy, verfolgen die Nachrichten, warten auf Nachrichten der Lieben. Angst dominiere. Aber auch Mut, erzählen sie. Vielen wollten dem Land helfen. "Freunde der Jungs flechten Tarnnetze", berichtet Lena Althof. Wieder andere arbeiteten an Hackerattacken gegen die russische Regierung. Sie alle eint nur ein Wunsch: "Unser größter Wunsch ist es, dass der Krieg endet und wir in Frieden zurückkehren können. Wir glauben daran, dass die Ukraine gewinnen wird", sagt Volodymyr Khyruvyn (64) zuversichtlich. "Mit der Hilfe vom Rest der Welt wird schon alles gut werden."Und auf den setzt die Familie und mit ihr vermutlich viele andere Ukrainer auch nach Kriegsende. "Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg alles wieder aufgebaut. Wir hoffen, dass Europa uns hilft, unser Land wieder aufzubauen", sagt die 65-Jährige. Denn schon nach einer Woche Krieg gebe es mehr als genug, wieder aufzubauen. "Putin muss einfach gestoppt werden. Er wird sich nicht mit der Ukraine zufriedengeben", ist sie überzeugt.Nein zu Russland Kann sich das Ehepaar vorstellen, in eine Ukraine unter russischer Führung zurückkehren? Die Antwort kommt postwendend: "Niét." Nein. Volodymyr Khyruvyn muss nicht eine Sekunde überlegen. "Beim Gedanken daran wird mir schlecht", sagt er. Das könnten sie sich nicht vorstellen. "Wenn das so kommt, dann werden die Kalaschnikows gezückt, dann wird es viele Partisanen geben", prophezeit der 64-Jährige. Das werde das ukrainische Volk nicht zulassen. "Wir wollen das, was wir hatten, behalten. Wir Ukrainer lieben unsere Freiheit. Putins Angriff hat uns nur noch stolzer gemacht und den Kampfgeist geweckt." Noch wissen die Vier nicht, wann sie in ihre Heimat zurückkehren können. Dass sie zurückwollen, steht für sie fest. Um aber als Flüchtling in Deutschland unterstützt zu werden, müssen sie sich erst einmal in Bochum registrieren lassen und einen Asylantrag stellen. "Meine Eltern und ein Neffe dürften mit Pass 90 Tage bleiben, mein anderer Neffe hat gar keinen Pass mit. Aber 90 Tage sind gar nicht auf eigene Kosten finanzierbar", winkt Lena Althof ab. Auch wenn sie und ihr Mann fürs Erste auch finanzielle Hilfe geleistet und ein paar dicke Wintersachen finanziert haben. Auch wären die Wohnverhältnisse auf Dauer nicht machbar. "Freunde und Arbeitgeber haben schon viel Equipment für die Notwohnung beigesteuert - wo auch immer die sein wird." Denn erstmal kommt Bochum und die Zeit im Auffanglager. Dann wird die Familie zugeteilt. Den Wunsch, in die Nähe der Tochter zu kommen, wollen sie äußern. Ob der erfüllt wird - das weiß niemand.

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