Leopoldshöhe. Es ist ein düsteres Milieu, das sich in Saal 165 am Freitagvormittag offenbart. Auf der Anklagebank sitzt eine 47-jährige Frau, die sich gelegentlich Tränen über dem Mundschutz wegtupft. Die Braunschweigerin verdient ihr Geld als Prostituierte und muss sich nun selbst wegen Menschenhandels sowie Zwangsprostitution vor dem Detmolder Landgericht verantworten.
Genau hier hatte vor etwa anderthalb Jahren schon ihr mitangeklagter Bruder (44) gesessen. Damals setzte das Gericht die Verhandlung aus und entließ ihn aus der Untersuchungshaft, da die mutmaßlich Geschädigte nicht erschien. Zum neuen Prozesstermin kommt er selbst nicht. Nun wird er per Haftbefehl gesucht.
Dabei hätte der Mann an diesem Tag genau wie seine Schwester das Gerichtsgebäude als freier Mensch verlassen können. Wieder muss das Gericht auf die inzwischen 26 Jahre alte Hauptbelastungszeugin verzichten, die von den Angeklagten im Mai 2019 in einem Leopoldshöher Bordell festgehalten und zur Prostitution gezwungen worden sein soll.
Zwar gibt es eine richterliche Vernehmung, die der Vorsitzende im Saal verliest, die Beweislage sei allerdings mehr als dürftig. Zu groß seien die Gräben zwischen den Angaben, die die Zeugin erst bei der Polizei und später bei der Richterin machte. Das sieht auch Staatsanwalt Alexander Görlitz so. Er verschließe sich nicht blind vor den Widersprüchen, sagt er. „Nach Aktenlage ist hier keine Verurteilung möglich.“ Er fordert daher wie die Verteidiger Freispruch.
Dabei wiegen die Vorwürfe schwer. Die beiden Angeklagten sollen die junge Frau im Mai 2019 für 500 Euro von einem Zuhälter in Bremen „gekauft“ und dann in einem Bordell in Leopoldshöhe zur Prostitution gezwungen haben. In der Anklage ist von Schlägen die Rede, teilweise mit einem Gürtel. Alles, was die junge Frau als Prostituierte verdient haben soll, etwa 10.000 Euro, soll das Duo ihr abgenommen haben. Eindeutig beweisen lässt sich nichts.
Besonders grausam klingt aber die Vorgeschichte, die an diesem Tag keine Rolle spielt. Dennoch zieht Staatsanwalt Alexander Görlitz sie im Plädoyer heran, um die Problematik deutlich zu machen. Nach damaligen Angaben der Frau soll der spätere Zuhälter in Bremen die Zeugin aus Bulgarien entführt, in Deutschland eingesperrt und die Treppe hinuntergestoßen haben, wobei sie ihre ungeborenen Zwillinge verloren habe. Doch selbst diese Aussage birgt Rätsel. „Einmal spricht sie davon, dass sie die ungeborenen Kinder allein auf der Toilette verloren hat, dann heißt es, sie war im Krankenhaus“, sagt Görlitz. Zu viele wichtige Details passten nicht. Einige davon zählt die beisitzende Richterin Sylvia Suermann im Sitzungssaal auf. Es geht um Einreisedaten, um die widersprüchliche Identität ihres Fahrers (war es ein Fremder oder ihr Nachbar?) und darum, warum die Frau sich trotz mehrfacher Gelegenheit erst so spät Hilfe holte.
Die Angeklagte sagt kein Wort, überlässt das Reden ihren beiden Verteidigern. Rechtsanwalt Moritz Jonas Müller teilt noch einen kurzen Seitenhieb gegen die Ermittlungen aus. Denn seine Mandantin hatte aus seiner Sicht grundlos viereinhalb Monate in U-Haft gesessen. „Die spärlichen Beweise waren schon damals bekannt, das hätte man kritischer anschauen müssen“, sagt Müller. Das Gericht scheint das anzuerkennen. Neben dem Freispruch soll die Frau für die Zeit in U-Haft entschädigt werden, sagt der Richter. Ihr Bruder wird sich nochmals anderweitig verantworten müssen.
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