Reichspogromnacht Was von der Synagoge in Steinheim übrig ist

Steinheim. Es sind zwei eher schlichte Kartons, die aber historisch enorm gewichtige Papiere bewahren: Angefangen von den Funksprüchen des 9. Novembers 1938 mit der Ankündigung der gesteuerten Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung über den Durchführungsbericht des Bürgermeisters bis hin zu den Verträgen über die Sprengung der Synagoge lassen sich inmitten des Steinheimer Stadtarchivs allerhand Dokumente zur Reichspogromnacht finden. Sorgfältig gelagert in den Kisten, erhalten sie für jeden Interessierten die Erinnerungen an das Verbrechen vor 84 Jahren. Zudem gibt Chronistin Heike Sternberg-El Hotabi in ihrer aktuellen &bdquo;Archivale“ einen Einblick in das damalige Geschehen. &bdquo;Am 9. November um 17.30 Uhr erlag der deutsche Botschaftssekretär Ernst von Rath in Paris seinen schweren Verletzungen, die ihm der 17-jährige jüdische Attentäter Herschel Grünspan zwei Tage zuvor zugefügt hatte. Noch in derselben Nacht setzten im gesamten Deutschen Reich die von der NSDAP und der SA organisierten Ausschreitungen gegen jüdische Bürger, Kultureinrichtungen und Synagogen ein, die als Vergeltung für diesen Mord getarnt waren“, ordnet Sternberg-El Hotabi den Anlass ihrer &bdquo;Archivale“ historisch ein. Ihr Blick gilt dabei vor allem der Emmerstadt: Dort ist die Synagoge 1938 vollkommen zerstört worden. Erhaltene Schriftstücke gewähren auch einen Einblick in die damalige Stimmung einiger Bürger. Steinheims Synagoge stand einst in der Innenstadt: Auf einem 571 Quadratmeter großen Grundstück an der Ecke Schulstraße/Marktstraße ist sie 1884 aufwendig erbaut worden. &bdquo;Der Neubau war wegen der wachsenden jüdischen Gemeinde notwendig geworden, die Ende des 19. Jahrhunderts etwa 120 Mitglieder umfasste“, so Sternberg-El Hotabi. "Schönste Synagoge in Ostwestfalen" Das Grundstück war für 7.110 Mark gekauft worden, der Bau selbst hatte 20.000 Mark gekostet, und auch die Inneneinrichtung hatte wohl erhebliche Mittel erfordert – eine große finanzielle Anstrengung für Steinheims jüdische Bürger. Das Ergebnis war imposant: Die Synagoge der Emmerstadt galt schnell als &bdquo;eine der schönsten und größten Synagogen Ostwestfalens“, wie Sternberg-El Hotabi sagt. Ein kostbares Zeugnis aus dieser Zeit ist übrigens auch die Bauzeichnung des Gebetshauses, die jüngst im städtischen Archiv wiederentdeckt worden ist (die Neue Westfälische berichtete). Nach Kriegsende ist der Bauplan offensichtlich mit Tesafilm aufwendig wieder zusammengesetzt worden – Bilder vom Innenraum der Steinheimer Synagoge gibt es dagegen wohl nicht mehr. Laut Dokumenten fanden in dem markanten Gebäude bereits seit 1930 keine Gottesdienste mehr statt, da es an zehn religionsmündigen jüdischen Männern mangelte, die es für einen solchen vollständigen Gottesdienst braucht. &bdquo;Schon vor der Pogromnacht war es zu mehreren Einbrüchen in die Synagoge gekommen“, erzählt auch Steinheims Chronistin. Dabei seien Fenster zerschlagen, die Inneneinrichtung verwüstet und der Tora-Schrein beschmutzt worden. Synagoge mit Dynamit gefüllt Und weiter: &bdquo;Am Morgen des 10. November 1938 drangen dann SA-Männer – einige davon in zivil – in die Synagoge ein und plünderten die Einrichtungsgegenstände. Die Holzteile wurden auf Pferdewagen verladen und später zu Kronleuchtern verarbeitet. Dann wurden stundenlang Löcher in die Pfeiler des Innenraumes gebohrt und mit Dynamit gefüllt – und am späten Nachmittag wurde gezündet“, so Sternberg-El Hotabi. Das Gebäude wurde dabei zwar schwer erschüttert, blieb trotz dieses Sprengungsversuchs aber insgesamt stehen. Weil die Sprengung das Gebäude zwar schwer beschädigt, aber nicht zum Einsturz gebracht hatte, schloss die Stadt im Dezember 1938 einen Vertrag mit der 3. Kompanie der Pioniereinheit 31 aus Höxter, die die Sprengarbeiten zum Einsturz der Synagogenkuppel übernehmen sollte. Die &bdquo;Steinheimer Zeitung“ berichtete dazu am 14. Dezember: &bdquo;Am gestrigen Tage sprengten Pioniere aus Höxter die Kuppel der hiesigen Synagoge. Zu diesem seltenen Schauspiel hatten sich zahlreiche Zuschauer eingefunden. Leider wurden durch die Sprengung auch einige Nachbarhäuser in Mitleidenschaft gezogen“. Danach wurde die Synagoge Stein für Stein abgetragen, und eine handschriftliche Notiz auf eine Anfrage des Reichsinnenministeriums vom September 1939 führt aus: &bdquo;Die hiesige Synagoge ist restlos abgebrochen. Ruinen sind seit mehreren Monaten nicht mehr vorhanden. Der Platz ist vollkommen eingeebnet und dient als Parkplatz“. Von Steinheim nach Berlin Kurz nach der endgültigen Sprengung erreichten dutzende Forderungen von Bürgern die Stadt, die Schadensersatz für die bei der Sprengung erlittenen Schäden forderten. &bdquo;Da die jüdische Kultusgemeinde nicht in der Lage war, für die Beseitigung der Trümmer sowie für die an den umliegenden Geschäften und Häusern entstandenen Schäden aufzukommen, verkaufte sie das Gelände an die Stadt. Im Kaufvertrag vom 22. Dezember 1938 verpflichtete sich diese im Gegenzug dazu, die Trümmer zu beseitigen und die anstehenden Forderungen der Steinheimer Bürger und Geschäftsleute zu begleichen“, erzählt Sternberg-El Hotabi. Und: &bdquo;Die Zerstörung ihrer Gotteshäuser war für die jüdischen Gemeinden nicht das einzig Katastrophale, sondern auch die systematische Entwendung ihres Schrift- und Archivgutes, das später zentral bei der Geheimen Staatspolizei in Berlin gesammelt wurde“. Dass nicht alle Bürger mit den zerstörenden Ausschreitungen einverstanden gewesen sind, zeigen einige erhaltene Dokumente. Darunter ein Brief, den der Höxteraner Landrat Dr. Reschke am 20. November 1938 an den Regierungspräsidenten in Minden schrieb: &bdquo;Man hört auch in Kreisen alter Parteigenossen erhebliche Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit dieser Aktion, die in ihrer Ausführung im Wesentlichen von Persönlichkeiten getragen war, die nicht zu den besten Elementen der Partei gehören. Bürger besorgt Den besonnenen Teil der Bevölkerung hat es ernst und besorgt gestimmt, dass es möglich gewesen ist, scheinbar unter dem Schutz, wenn nicht sogar der Führung der Partei, an einzelnen Orten Handlungen zutage treten zu lassen, die der Bevölkerung bisher aus Schilderungen in anarchistischen Ländern bekannt waren. Sie sorgt sich darum, was geschieht, wenn eine solche Aktion gegen andere politische Gegner losgehen würde“. Auch die Aussage eines Steinheimer Bürgers angesichts der Synagogenzerstörung ist 1938 in einem Bericht des Bürgermeisters unter dem Titel &bdquo;Betrifft Aktion gegen Juden am 10. November 1938“ festgehalten worden: &bdquo;Was man jetzt mit den Synagogen gemacht hat, kann in vier Wochen auch den katholischen Kirchen widerfahren“. Als Reaktion des Bürgermeisters ist notiert: &bdquo;Die Person, die diese Äußerungen gemacht haben soll, konnte bisher trotz Ermittlungen nicht festgestellt werden.“

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