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Solvento schnuppert an der Hofkatze, die Besitzerin Marion Kuhlmann auf dem Arm hält. Als das Foto entstand, wusste noch niemand, dass der eineinhalb Jahre alte Hengst einen eineiigen Zwilling im Bauch trägt. Der war als Foetus abgestorben, Solvento ist drumherumgewachsen und hat ihn in seinem Körper eingeschlossen. - © FOTO: ANNE WEBLER
Solvento schnuppert an der Hofkatze, die Besitzerin Marion Kuhlmann auf dem Arm hält. Als das Foto entstand, wusste noch niemand, dass der eineinhalb Jahre alte Hengst einen eineiigen Zwilling im Bauch trägt. Der war als Foetus abgestorben, Solvento ist drumherumgewachsen und hat ihn in seinem Körper eingeschlossen. | © FOTO: ANNE WEBLER

Rödinghausen-Bieren Hengst trug eigenen Zwilling in sich

Medizinische Seltenheit / Anderthalbjähriger Haflinger Solvento hatte ein zweites Mal Glück im Leben

VON ANNE WEBLER
16.11.2012

Rödinghausen-Bieren. Der junge Haflingerhengst Solvento sollte vergangene Woche kastriert werden. Eigentlich ein Routineeingriff, den Tierarzt Dietmar Helms oft direkt am Stall oder auf der Wiese erledigt. Doch bei Solvento lag ein Hoden im Bauchraum. Das allein ist noch nichts Besonderes. Die Besonderheit bemerkte Dietmar Helms erst während der Operation.

Solvento ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Pferd: Vor gut einem Jahr haben ihn Marion und Thorsten Kuhlmann zusammen mit Sabine Rohlfing von einem Bauern aus Tirol gekauft. Der hatte das Fohlen bereits einem Schlachter versprochen (die NW berichtete). Dass er jetzt kastriert wurde, hat ihm wahrscheinlich ein zweites Mal das Leben gerettet.

Besitzerin Marion Kuhlmann war schon aufgefallen, dass Solvento für einen Hengst eher "spärlich bestückt" war. Tierarzt Dietmar Helms bestätigte ihren Verdacht: Solvento hatte nur einen Hoden außen, einer lag im Bauch. "Das ist erstmal nicht so ungewöhnlich", sagt Tierarzt Dietmar Helms. Es bedeute nur, dass man den Hengst im OP kastrieren müsse. Denn um an den Hoden ranzukommen, setzt der Tierarzt einen Schnitt in die Leiste und zieht den Hoden durch den Leistenkanal heraus.

Bei Solvento kam der Hoden jedoch nicht, Helms musste den Schnitt vergrößern. Zutage kam ein eineiiger Zwilling in einer ganz frühen Embryonalphase. "Am wahrscheinlichsten ist, dass sich im Mutterleib in den ersten 48 Stunden nach der Befruchtung der Embryo gespalten hat", erklärt Helms. Aus den Stammzellen entwickele sich ein neuer Embryo, deshalb sei der Zellklumpen weitergewachsen. Bald darauf starb er ab, und Solvento wuchs im Mutterleib um den Zellkumpen herum und schloss ihn in seinem Körper ein. Wo sein zweiter Hoden hätte sein sollen, hing nun ein pampelmusengroßer Ballon wie eine Fruchtblase an Solventos Samenstrang. "Das war jetzt aber nicht ein kleines Pferd", beruhigt Helms. Sondern Gewebe und Knochenstücke.

Die Operation war deshalb delikat, weil die Fruchtblase nicht aufgeschnitten werden durfte; das alte Fruchtwasser durfte nicht in Solventos Bauch laufen. Dietmar Helms vergrößerte den Leistenkanal auf Unterarmdicke und zog den Ballon heraus. "So ein Fall ist eine absolute Rarität", sagt er. Im Studium in Hannover sei den Studenten einmal ein Pferd mit dieser Besonderheit gezeigt worden. Seitdem er praktiziert, seit 1991, habe er so einen Fall nicht wieder erlebt.

Mit der Kastration haben Marion und Thorsten Kuhlmann und Dietmar Helms dem eineinhalbjährigen Solvento womöglich das Leben gerettet: "Wenn er nicht kastriert worden wäre, wäre die Blase irgendwann geplatzt, nach einem Tritt an den Bauch zum Beispiel, das Fruchtwasser wäre ausgelaufen und er wäre an einer Bauchfellentzündung eingegangen. Denn so eine Seltenheit vermutet man ja nicht. Da wär keiner drauf gekommen." Auch ein Hengst mit einem im Bauch liegenden Hoden werde besser kastriert. "Durch die höhere Temperatur im Körper spielt die Testosteron-Produktion verrückt", erklärt Helms. Durch die Überproduktion sei die Tumorgefahr höher. Solvento hat die Operation ziemlich mitgenommen: Als Marion Kuhlmann ihn in der Tierklinik in Espelkamp besuchte, stand er an die Wand gelehnt, die Möhren, die sie ihm mitgebracht hatte, konnte er nicht kauen. Als sie ging, sei er ihr hinterher gelaufen und habe leise gewiehert. "Das bricht einem das Herz", sagt sie. Doch Solvento geht es schon viel besser: Mittwoch durfte er das erste Mal wieder mit der Herde auf die Weide.