Ein Lokührer erinnert sich: Hochzeitsfotos auf den Schienen in Löhne

Löhne. Das erste Mal alleine im Führerstand, da war Karsten Henningsmeyer schon nervös. "Da ging einem das Muffensausen", sagt er heute und lacht. Von Löhne nach Hamm ging es für ihn zum allerersten Mal auf die Schiene. Er hat Personen von A nach B gefahren, heute nur noch Güter - Neuwagen, Container, Chemie. "Jeder Tag ist anders, jeden Tag fahre ich andere Züge, das mag ich an meiner Arbeit", sagt Henningsmeyer, der aber auch die Schattenseiten als Lokführer kennt. Der Vater war schon bei der Bahn, der Opa auch, da lag der Berufswunsch für Karsten Henningsmeyer schon fast auf der Hand. Als der Ex-Mann seiner Schwester, ihn dann mal zur Bahn mitgenommen hat, war es geschehen. "Mir hat die Arbeit direkt gefallen", erinnert er sich. Sein Berufswunsch festigte sich: Lokführer wollte er werden. Mit dem Rad zum Arbeitsplatz Dafür brauchte er erst einmal eine Ausbildung. "Ohne ging früher nichts." 1987 begann er die Lehre als Industriemechaniker. Anschließend sattelte er die Weiterbildung zum Lokführer drauf. Zu seinem Arbeitsort konnte er damals mit dem Rad fahren. "Ich wurde in Löhne ausgebildet", sagt der Familienvater, der in Löhne-Ort wohnt, dem Stadtteil, der wohl am stärksten mit der Bahn verbunden ist. Bis ins Jahr 2000 war seine Heimatstadt auch sein Arbeitsplatz. Das änderte sich, als der Bahnhof Löhne immer mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Vom einst größten Arbeitgeber der Stadt - in den 1960er Jahren zählte die Bahn mehr als 1.000 Mitarbeiter - ging es immer weiter zurück. Heute arbeiten nur noch eine Handvoll Menschen im Stellwerk. Mit dem Auto ist es flexibler Alle Lokführer mussten gehen, Karsten Henningsmeyer führte es nach Osnabrück. Anfangs pendelte er mit der Bahn, doch mit dem Auto sei er einfach flexibler. "Ich muss mal um 4 Uhr morgens anfangen und habe auch mal mitten in der Nacht Feierabend." In Osnabrück beginnt und endet jede Schicht. Henningsmeyer: "Dort ist die Autodrehscheibe von Norddeutschland." Doch auch Kesselzüge, Container, und ganz selten auch Militärzüge fährt der Löhner durch die Republik. "Das sind dann die einzigen Züge, die mal bemannt sind", sagt der 48-Jährige. Er ist bei DB Cargo angestellt, verbeamtet und fährt nur noch Güterzüge. "Früher bin ich alles gefahren, in Löhne meistens Nahverkehr." Laut Studien überfährt ein Lokführer drei Menschen in seinem Berufsleben. Als "Personenschaden" wird der Suizid auf der Schiene nüchtern betitelt. Für diejenigen, die im Cockpit sitzen, brennen sich die schrecklichen Bilder oft ein Leben lang ein. Zweimal musste auch Karsten Henningsmeyer sehen, wie ein Selbstmörder vor seinen Zug sprang. "Der erste Fall passierte in der Dämmerung und ich habe es glücklicherweise nicht richtig gesehen. Doch den zweiten Selbstmord hatte ich jahrelang vor Augen." Trauma nach Schienensuizid Beim Joggen kamen die Gedanken daran etwa wieder hoch. "Ich habe psychologische Hilfe in Anspruch genommen, war zweimal zur Kur." Mittlerweile habe er es verarbeitet. "Das ist jetzt 13 Jahre her." Einer seiner Kollegen - "mein Alter" - sei deswegen schon pensioniert. "Der hat einfach zu viele Unfälle dieser Art erlebt." Trotz dieser Schattenseite und den extremen Schichten - mal beginnt der Arbeitstag um 4.11 Uhr, mal um 23.20 Uhr, mal um 11 Uhr - möchte Henningsmeyer seine Arbeit nicht missen. "Es macht mir tierisch Spaß. Ich mag die Verantwortung und kann auch gut allein sein", erzählt der Löhne-Orter. Auch die Familie zieht mit. "Ich habe in die Bahn eingeheiratet", sagt Ehefrau Nicole und lacht. Hochzeitsfotos auf alten Gleisanlagen "Die Kaffeezeit ist unsere Zeit", sagt sie. Da sei Nicole Henningsmeyer wieder von ihrer Arbeit zurück und ihr Mann oft noch nicht los. Diese Zeit nehmen sie sich dann bewusst gemeinsam. Durchschnittlich ist der Lokführer dann zehn bis zwölf Stunden unterwegs. "Ein Vorteil der Arbeitszeiten ist, dass er viel Zeit mit unserer Kindern verbringen kann", sagt die Löhnerin und blickt auf ein ganz besonderes Fotoalbum. 2003 haben die Henningmeyers geheiratet. Eigentlich sollte es für die Bilder zur Ulenburg gehen. Doch die Hochzeitsgesellschaft bog vorher ab. "Das war eine Idee unseres Trauzeugen", sagt Henningsmeyer und zeigt auf die Fotos. Hand in Hand laufen die frisch gebackenen Eheleute über die alten Schienen, im Hintergrund ist der Lokschuppen und Gleisanlagen zu sehen. "Das passt zu uns."

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