Mordanklage: Was wir über den Messerangriff in Hiddenhausen wissen

Hiddenhausen. Fast fünf Monate nachdem ein Passant einen schwer verletzten Mann, der wenig später am Fundort starb, in Hiddenhausen an einer Straßenkreuzung gefunden hat, gibt es mittlerweile eine Mordanklage. Noch vor Weihnachten soll der Prozess um die vermeintlichen Ermordung des 31-Jährigen aus Hiddenhausen beginnen. Zwei Männer sitzen in U-Haft, verschiedene Details zur Tat sind bekannt und vor kurzer Zeit ist ein anonymes Schreiben aufgetaucht, dessen Verfasser die Tat auf sich nimmt. Bevor der Prozess startet, gibt nw.de einen Rückblick. Es ist der 30. Mai 2019, Feiertag in NRW. Viele jüngere Erwachsene ziehen zum Vatertag mit Bollerwagen durch die Region. Am späten Abend geht bei der Polizei ein Notruf ein. Ein Spaziergänger hat einen schwer verletzten Mann in der Nähe der Straßenkreuzung Bünder Straße/Löhner Straße im Ortsteil Eilshausen gefunden. Zusammen mit anderen Ersthelfern bringen sie den Mann zur Versorgung auf den Platz vor einer nahen Bäckerei. Raschad A. verstirbt jedoch noch bevor er ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Schon in der Nacht gehen die eintreffenden Polizeibeamten von einem Tötungsdelikt aus. Man habe Verletzungen festgestellt, "die den Verdacht eines Tötungsdelikt begründen", so ein Sprecher. Sie sichern am möglichen Tatort und an der Bäckerei Spuren. Die Polizei Bielefeld gründet mit Unterstützung der Herforder Kollegen die Mordkommission "Eilshausen". Zu dem Zeitpunkt liegen die Hintergründe der Tat noch im Dunkeln. Eine erste Wendung am Tag danach Die Obduktion eines Gerichtsmediziners der Universität Münster am nächsten Morgen ergibt, dass Raschad infolge von mehreren Stichverletzungen gestorben ist. Derweil ist die Spurensicherung noch bis in den Freitagvormittag in Hiddenhausen vor Ort. Unter anderem setzt sie Spürhunde ein. Vom Fundort des Getöteten zeugt nur noch eine weiße Kreidelinie auf dem Platz vor der Bäckerei. Am Freitagnachmittag nimmt der Fall eine erste unerwartete Wendung. Ein 30-jähriger Herforder stellt sich im Zusammenhang mit der Tat den Beamten an der Hansastraße. Er habe gehört, dass die Polizei nach ihm Suche. Er gibt jedoch nicht zu, Raschad A. angegriffen zu haben. Die Polizei nimmt ihn aufgrund des dringenden Tatverdachts trotzdem fest. Und der 30-Jährige bleibt nicht die einzige Festnahme der Beamten. Im Juni setzten Polizisten einen Verwandten (32) des mutmaßlichen Täters fest. Später stellt sich heraus, dass der 32-Jährige und der 30-Jährige Brüder sind. Beide sitzen bis heute in Untersuchungshaft - und schweigen zur Tat und ihrer Rolle dabei. Die Frage, ob die beiden vielleicht nicht direkt etwas mit dem Tod von Raschad zutun haben könnten, wirft vor allem ein handschriftlicher Brief auf. Das Bekenner-Schreiben landete im September bei der Mordkomission und dann auf dem Tisch von Staatsanwältin Claudia Bosse. &bdquo;Der Verfasser schreibt, dass die beiden Verdächtigen zum Tatzeitpunkt nicht mehr dabei gewesen seien", so Claudia Bosse. &bdquo;Er redet von wir." Der Verfasser ist jedoch noch unbekannt. Der Brief wird als wichtiges Beweisstück in den Prozess einfließen. Er scheint jedoch eine Vermutung der Polizei in Bezug auf die Täteranzahl zu stützen. Was ist in der Vatertags-Nacht passiert? Am Tatort sind schon kurz nach dem grauenvollen Tod von Raschad A. lauter Blumen und Kerzen zu finden, die Angehörige des jungen Mannes und auch Anwohner nach der Bluttat dort niederlegen. Doch was war der Grund für den mörderischen Angriff? Nach Informationen von nw.de ist Raschad A. erst wenige Wochen vor der Tat zu seiner Freundin nach Hiddenhausen gezogen. Nur 500 Meter liegen zwischen dem Tatort und ihrer Wohnung. Am Abend des 30. Mai verlässt A. zu Fuß die Wohnung. Wohl nach einem Anruf. Zu seiner Freundin soll er gesagt haben, er sei gleich wieder da. Was dann folgt, hat seinen Ursprung in einem anscheinend komplizierten Rachefeldzug zwischen zwei zerstrittenen Parteien. So schildern es zumindest Bekannte und auch die Polizei. "Nach bisherigem Ermittlungsstand könnte eine vorangegangene körperliche Auseinandersetzung mit dem späteren Opfer am Tag zuvor Hintergrund für die Tat am 30. Mai gewesen sein", sagte Polizeisprecherin Sonja Rehmert Anfang Juni auf nw.de-Anfrage. Mittlerweile geht die Polizei davon aus, dass es sich um mehrere Täter handeln könnte. Eine Gruppe rund um die beiden inhaftierten Brüder. Das legt vor allem eine Zeugenaussage nahe. In der Tatnacht soll eine stahlblaue Mercedes A-Klasse mit Herforder Kennzeichen schnell den Tatort verlassen haben. Der Zeuge beschreibt, dass der Wagen voll besetzt gewesen sei. Doch von dem Pkw, wie auch von der Tatwaffe fehlt bis zum jetzigen Zeitpunkt jede Spur. Waren es mehrere Täter? Ein Schulfreund des Toten, den nw.de gemeinsam mit seiner Freundin kurz nach der Tat am Ort des Angriffs in Eilshausen trifft, gibt Einblick in seine Vermutungen: Er gehe davon aus, dass es um eine reine Beleidigung ging. Einige Tage vor dem tödlichen Angriff seien Raschad und der spätere Täter aufeinander getroffen. Das Treffen sei eskaliert und in eine Schlägerei ausgeartet. Raschad habe dem mutmaßlichen Täter die Nase gebrochen. Der habe das nicht auf sich sitzen lassen wollen und habe A. am Tatabend in eine Falle gelockt. Auch der Freund geht davon aus, dass es sich bei dem blutigen Angriff nicht nur um einen Täter gehandelt habe. "Allein hätte ihn der Täter nicht niederstechen können. Er war viel zu groß und zu stark", sagt er und verweist auf Raschads große Statur. Doch warum gipfelte ein normaler Streit in einem so heftigen Angriff? Der mutmaßliche Täter komme aus einer jesidischen Familie, sagt er. Das Verhältnis zwischen den beiden Glaubensrichtungen sei oft nicht spannungsfrei. Raschads Familie kommt aus dem Libanon. Er selbst war Muslim. Doch anfängliche Spekulationen über eine Art Clan-Kriminalität als Grund für die Tat, verurteilt Raschads Freund. "Dieses ganze Clan-Gerede ist totaler, kompletter Quatsch. Nur weil seine wie auch meine Familie aus dem Libanon kommt." Weitere Aussagen von Bekannten lassen die Vermutung zu, dass Raschad und der in U-Haft sitzende 30-Jährige sich gut gekannt haben. Sie sagen, dass es bei der Auseinandersetzung um Geld gegangen sei. Nach Informationen von nw.de hat Raschad wohl in seiner Jugend einer zweifelhaften und auch teils gewalttätigen Rap-Formation angehört, hatte sich dann aber von ihr und auch von seiner Vergangenheit gelöst. Auch Freunde und Bekannte zeichnen ein anderes Bild: "Er war freundlich, fröhlich, hat all seine Freunde immer mit Habibi, das heißt Schatz, angesprochen", sagt der Schulfreund. Er sei mit Raschad gemeinsam in Bünde zur Schule gegangen. Neben seinem Job als Küchenmonteur habe A. auch als Sicherheitsmann gearbeitet. Ein weiterer junger Mann mit Baseballkappe, den nw.de in Eilshausen in der Nähe der Bäckerei antrifft, sagt ebenfalls: &bdquo;Er war einfach ein guter Mensch, mehr gibt es dazu nicht zu sagen." Auch ein Facebook-Nutzer scheint diese Sicht zu teilen. Am zweiten Juni postet er in der Gruppe "Du lebst schon lange in Herford, wenn..." einen längeren öffentlichen Beitrag mit einem Bild von Raschad. "Das Opfer ist ein Freund meiner Tochter. Sein etwas jüngerer Bruder ist ein Freund unserer Familie", schreibt er. Täter und Opfer seien beide in Deutschland aufgewachsen und der Fall hätte nichts mit dem Thema "Asylsuchende" zutun. "Verletzter Stolz und läppische 100 Euro haben dieses, und einige weitere Leben gänzlich zerstört", schreibt der Mann. Raschad A. sei ein zwei Meter großer "Hühne" gewesen, den nicht viele Menschen alleine hätten überwältigen können. Sein Herz sei ebenso groß gewesen, seine Beliebtheit beeindruckend. Zum Abschluss schreibt er: "Mo mein Freund, wir sind in Gedanken ganz nah bei dir!" Wer genau Raschad am 30. Mai getötet hat, wird wohl erst der Prozess gegen die beiden inhaftierten Brüder zeigen. Er soll noch vor Weihnachten starten. Die Anklage lautet "gemeinschaftlicher Mord aus niederen Beweggründen". Welche Rolle der zuletzt aufgetauchte Bekenner-Brief haben wird, steht auch erst dann fest. Raschads letzte Reise geht Tage nach seinen Tod in Richtung Libanon. Dort wird er im Beisein seiner trauernden Familie beigesetzt.

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