Protest in Herford gegen neue ICE-Trasse

Herford. Beim Fußball zieht der Schiedsrichter die Rote Karte bei groben Verstößen gegen die Fairness. Einen solchen Platzverweis erteilten rund 250 Menschen am Samstagabend symbolisch der Deutschen Bahn für den geplanten Neubau einer ICE-Trasse durch den Ortsteil Elverdissen. Mit roten Karten und Trillerpfeifen ausgestattet machten sie auch ihrem Ärger Luft über die "Geheimniskrämerei der Bahn" und einer Empfindung, die Stefanie Rothenstein, 3. Vorsitzende der Initiative Widuland, auf den Punkt bringt: "Man hat uns an der Nase herumgeführt." Seit fast zwei Jahren seien Vertreter verschiedener Verbände und auch der Bürgerinitiative Widuland im Dialog mit der Bahn, die vom Verkehrsministerium den Auftrag hat, den sogenannten Deutschlandtakt umzusetzen. Mit Tempo 300 in nur 31 Minuten Fahrzeit sollen Züge damit von Bielefeld nach Hannover fahren. Ergebnisoffen diskutiere man im eigens dafür gegründeten Plenum, habe es immer geheißen, erklärt Stefanie Rothenstein den Standpunkt von Widuland. "Und genau da liegt der Knackpunkt: Mit der Aussage des Bundesverkehrsministeriums, dass die Fahrzeit von 31 Minuten maßgeblich für die Planungen sei, hat man die Möglichkeit des Ausbaus der Bestandsstrecke vom Tisch gefegt - eine Möglichkeit, die für uns die ganze Zeit über zwingend dazu gehörte." "Acker statt Schiene", lautete nun deshalb am Samstagabend die Forderung der 250 Protestler in Elverdissen. Mit dem Protestzeichen von Widuland, dem roten Dreieck, war ein möglicher Trassenverlauf - eine Variante, die der Bahn für einen Neubau vorschwebt - über ein frisch mit Rapspflänzchen bestücktes Feld - nachgezeichnet. Dicht vorbei an der Obernbrink-Siedlung, als Schneise quer durch den ländlich geprägten Herforder Ortsteil Elverdissen. Am frühen Dienstagmorgen steht ein Gespräch in Berlin an Auch dabei bei der Aktion in Elverdissen: mehrere Traktoren. Die Landwirte sind eine der Gruppen, die sich dem Protest der Bürgerinitiative angeschlossen haben. "Wir müssen jetzt als Region zusammenstehen in Ostwestfalen", fordert so auch der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Herford-Bielefeld, Hermann Dedert, der gemeinsam mit Vertretern der Initiative und verschiedener Naturschutzverbände im Plenum der Deutschen Bahn sitzt. "Ein Plenum, das wir jetzt geschlossen verlassen haben. Als klar wurde, dass man uns offenbar falsche Bedingungen vorgegaukelt hat", wie Dedert erläutert. Am kommenden Dienstag, morgens um 8.30 Uhr, werde nun noch einmal ein Versuch unternommen, den Dialog wieder aufzunehmen. "Wir sind nach Berlin eingeladen und haben als Bedingung für unsere Rückkehr ins Plenum drei Forderungen im Gepäck", so der Landwirte-Chef. Erstens: Keine Festlegung auf die Fahrzeit von 31 Minuten. Zweitens: Die gezielte Prüfung des Ausbaus der Bestandsstrecke und der sogenannten Widuland-Variante, ein Streckenverlauf, den die Bürgerinitiative selbst ausarbeiten ließ. Und drittens: Die Teilnahme eines Mitgliedes aus dem Bundesverkehrsministeriums am Plenum. "Das war bislang nie der Fall", so Dedert. "Eigentlich sind das aber die Auftraggeber für das ganze Projekt." Diskutieren werde man am frühen Dienstag sicher auch über die Äußerung Michael Theurers (FDP), Staatssekretär und Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr. Der hatte vor einigen Tagen plötzlich angekündigt, das Projekt "Deutschlandtakt" werde "in den nächsten 50 Jahren als Jahrhundertprojekt" umgesetzt - also bis 2070. "Es war immer vom Zielzeitpunkt 2030 die Rede. Auch hier hat das Verkehrsministerium offenbar nicht mit offenen Karten gespielt", so Stefanie Rothenstein von Widuland. Das Argument, das Deutschlandtakt-Projekt müsse für den Klimaschutz umgesetzt werden, bröckele damit auch. "Wenn das dann noch 40 Jahre länger Zeit hat, dann ist es den Verantwortlichen wohl nicht so ernst mit dem Klimaschutz." Tim Kähler: "20 Milliarden für elf Minuten - das ist schlicht unverhältnismäßig" Ein weiterer Mitstreiter war am Samstagabend erstmals beim Widukind-Protest, der in Elverdissen übrigens zum zweiten Mal stattfand, dabei: Herfords Bürgermeister Tim Kähler. "Es ist gut, dass wir hier heute ein Zeichen setzen", sagte dieser. "Ich habe einen Grundsatz: An Schwachsinn beteilige ich mich nicht. Und einen Alibi-Dialog brauchen und wollen wir nicht." Gerne könne man ehrlich über Fortschritt diskutieren, aber von Bielefeld nach Hannover elf Minuten schneller fahren zu können, das habe mit Fortschritt nichts zu tun. Grob überschlagen würde ein Trassen-Neubau, der eine Riesenschneise durch die Natur reiße, 20 Milliarden Euro kosten, führte Herfords Bürgermeister aus. "20 Milliarden für elf Minuten - das ist schlicht unverhältnismäßig. Und die Auswirkungen auf die Umwelt seien aus Sicht der Hansestadt Herford nicht akzeptabel. "Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten, dass hier kein Unsinn passiert", rief Kähler die Anwesenden auf und lud zur nächsten Sitzung des Stadtrates ins Herforder Rathaus ein. "Dazu haben wir auch einen Vertreter der Deutschen Bahn eingeladen, denn wir bleiben im Dialog." Alle Bürgermeister des Kreises Herford und auch der Landrat Jürgen Müller hätten sich im Übrigen geschlossen dafür ausgesprochen, sich für den Ausbau der Bestandsstrecke stark zu machen. Wie auch immer das Gespräch in Berlin am Dienstagmorgen ausgehe, ob man ins Plenum zurückkehre oder nicht - man müsse in der Region geeint auftreten, rief Hermann Dedert abschließend auf. Und er kündigte weitere Protest-Aktionen an: "Kommt, wenn wir wieder rufen, damit die in Berlin sehen, dass man mit uns konstruktiv durchaus reden kann. Aber wir lassen nicht alles mit uns machen!"

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