Kommentar Gewalt gegen Frauen: Zu oft suchen Opfer die Schuld bei sich selbst

Gewalt an Frauen bleibt ein gesellschaftliches Problem. In Herford meldet sich jeden Tag mindestens eine Frau bei der Frauenberatungsstelle, weil sie in einer Krisensituation ist oder häusliche Gewalt erlebt. Zu den drängendsten Themen in den Beratungsgesprächen bei Leiterin Christine Garberding und ihren Kolleginnen gehören die Trennung vom Partner, ein geschwächtes Selbstwertgefühl, Gewalt und Gesundheitsprobleme. Um es gleich vorneweg zu sagen: Ja, auch Männer werden Opfer von Partnerschaftsgewalt. Es ist ein Problem, bei dem aufgrund von Angst und Scham eine hohe Dunkelziffer zu vermuten ist. Der Sozialarbeiter Detlef Lis kümmert sich mit einer 40-Prozent-Stelle als einziger ausgebildeter Männerberater in Herford um männliche Gewalttäter oder -opfer. Er sieht Bedarf an Aufklärungsarbeit, Anti-Aggressions-Trainings, Gewaltschutzwohnungen für Männer. Tätermotiv ist die Ausübung von Macht und Kontrolle Doch 80 Prozent aller Gewaltopfer in Partnerschaften sind weiterhin Frauen, zuzüglich nicht angezeigter Taten. Besonders anschaulicher und trauriger Nachweis einer gesellschaftlichen Schieflage: Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Wie kommt es zu diesen erschütternden Zahlen? Fachleute haben keine umfassende Antwort auf diese Frage. Christine Garberding beobachtet bei ihrer täglichen Arbeit, was sich auch in bundesweiten Studien zeigt. Das übergeordnete Tätermotiv ist die Ausübung von Macht und Kontrolle. Gewaltopfer werden insbesondere Frauen, die sich trennen, Frauen, die mehr verdienen als ihre Männer oder Frauen in Beziehungen, die sich durch die Geburt eines Kindes verändert haben. Das ungleiche Machtverhältnis wird manifestiert durch die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, ein hohes Armutsrisiko von Alleinerziehenden, das vorherrschende Verständnis von Geschlechterrollen und althergebrachte Männlichkeitsbilder. Wie können wir dem Problem begegnen? Eine wesentliche Voraussetzung ist es, frauenfeindliche Denkmuster abzulegen. Zu oft suchen Frauen die Schuld für Übergriffe bei sich selbst oder sie wird ihnen von Dritten zugeschrieben, auch Täter-Opfer-Umkehr genannt. Statt zu fragen "Warum trennt sie sich nicht?" müssen wir fragen "Warum übt der Mann Gewalt aus?". Statt zu fragen "Hat sie ihn nicht provoziert?" müssen wir sagen "Der Täter ist für seine Handlungen selbst verantwortlich." Denn es ist klar, dass es sich bei Gewalt gegen Frauen um ein strukturelles und kein individuelles Problem handelt. Außerdem ist angesichts der großen Zahl an betroffenen Frauen ein gut ausgestattetes Hilfesystem notwendig, zu dem Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser gehören. Menschen wie Christine Garberding brauchen mehr Personal in den Frauenberatungsstellen, damit sie proaktiv auf Frauen zugehen können. Das ist besonders wichtig, um Frauen zu erreichen, bei denen Sprachbarrieren bestehen oder die in Einrichtungen untergebracht sind. Auch gibt es nicht genug Frauenhausplätze, um die betroffenen Frauen zu schützen. Dass von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern seit Jahren nicht ausreichend Schutzräume zur Verfügung gestellt werden, ist ein Zeugnis von fehlendem politischen Willen. Prävention beginnt mit Aufklärungsarbeit Doch nur die Opfer zu versorgen geht nicht weit genug. Mindestens genauso wichtig ist es, Gewalttaten mit Präventionsarbeit zu verhindern. Diese beginnt in den Schulen und leistet Aufklärungsarbeit auch dort, wo noch kein Krisenmanagement notwendig ist. Sie hilft bei der Loslösung von klassischen Geschlechterrollen. Sie zeigt sich in der Erziehung unserer Söhne: Darf ein Junge Perlenketten tragen oder auch mal weinen? Sie spiegelt sich im gesellschaftlichen Diskurs: Welche Anerkennung bekommen Menschen, die Sorgearbeit leisten? Wer muss in der Familie das höhere Gehalt haben? Auf institutioneller Ebene gibt es noch zu wenige Ansätze zur Präventionsarbeit mit Männern. Seit 2012 dürfen Gerichte die Teilnahme an Täterprogrammen verpflichtend anordnen. In den Trainingsprogrammen lernen Männer, wo Gewalt anfängt, was gewaltfreie Kommunikationsstrategien sind und dass man statt aggressiv zu werden auch mal traurig sein darf. Auf dieser Seite des Problems kann noch viel mehr getan werden. Wenn ein Mann in Herford auf der Suche nach Hilfe Männerberatung googelt, findet er ein Ergebnis. Das könnte ein bisschen zu wenig sein.

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