Interview Gewalt gegen Frauen: Welche Warnhinweise es gibt und wo Betroffene Hilfe finden

Wie viele hilfesuchende Frauen melden sich pro Jahr bei Ihnen? Das sind zwischen 350 und 380 Frauen. Daraus entstehen ungefähr 1.000 persönliche oder telefonische Beratungseinzelkontakte. Mit welchen Problemen kommen die Frauen zu Ihnen? Die Frauen, die zu uns kommen, sind häufig von häuslicher Gewalt betroffen, suchen aber manchmal auch Beratung in schwierigen Lebenssituationen. Die häufigsten Themen in unserer Beratung sind Trennung, Selbstwert, physische und psychische Gewalt und psychische oder psychosomatische Probleme. Auch Trauer, Stalking oder Verfahrensbegleitung sind nachgefragte Themen. Zur Einordnung: Wir sind die einzige allgemeine Frauenberatungsstelle in Herford, die eine Schwerpunktstelle zum Thema häusliche und sexualisierte Gewalt hat. Die anderen Beratungsstellen Nadeschda und Theodora helfen bei Menschenhandel und Ausstieg aus der Prostitution. Was ist häusliche Gewalt? Das ist die Gewalt, die im häuslichen Rahmen stattfindet. Das sind häufig Partner, aber das können auch erwachsene Söhne oder Töchter sein oder ein Schwiegervater, der im Haus lebt. Manche nutzen auch den Begriff Beziehungsgewalt. Die Gewaltformen sind dabei sehr unterschiedlich. Es gibt ökonomische Gewalt, wenn zum Beispiel kein Zugang zum Konto gewährt wird. Dann gibt es die physische Gewalt, wenn die Frau geschlagen oder anders tätlich angegangen wird, und sexualisierte Gewalt. Psychische Gewalt ist oft die Vorstufe zu den körperlichen Gewaltformen. Es fängt ja nicht immer damit an, dass ein Partner seine Partnerin schlägt, sondern es passieren andere Dinge. Zum Beispiel wird die Frau schlecht gemacht, ihr nichts zugetraut oder sie wird von Freunden und Familie ferngehalten mit Kommentaren wie "Geh da doch nicht schon wieder hin" oder "Ein Fernsehabend mit dir wäre auch ganz schön". Das sind schleichende Momente, bei denen die Frau nicht eingesperrt wird, aber Schritt für Schritt von ihrem Umfeld isoliert wird. Wie lange haben die Frauen gewalttätiges Verhalten erlebt, bevor sie zu Ihnen kommen? Auch das ist sehr unterschiedlich. Einige kommen nach einer Trennung, die schon viele Jahre zurückliegt. Da kommt es oft über den gemeinsamen Umgangskontakt mit den Kindern zu Auseinandersetzungen oder Übergriffen. Das Umgangsrecht nutzen Ex-Partner oft aus, um Kontakt zu der Frau zu haben. Manche Frauen haben bereits körperliche Gewalt über einen längeren Zeitraum erlitten, manche kommen nach einem Polizeieinsatz. In den Gesprächen wird häufig klar, dass es Vorboten gegeben hat, und viele Situationen, in denen die Frau die Polizei noch nicht gerufen hat. Häusliche Gewalt hat eine besondere Dynamik. Das Gewaltpotential steigert sich, wenn sich in der Beziehung etwas verändert, zum Beispiel durch Schwangerschaft oder Trennung. Das sind gefährliche Situationen für Frauen, wenn der Partner merkt, dass er seinen Einfluss verliert. Die Motive sind oft Macht und Kontrolle. Wenn die Frauen sich an uns gewandt haben, schauen wir auch, ob Kinder betroffen sind. Wir würden das Jugendamt einschalten, wenn wir denken, dass Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das sagen wir den Frauen auch. Wenn ihnen das klar wird, ist es für viele ein Grund, sich zu trennen. Warum ist es für Frauen oft schwierig, sich von gewalttätigen Partnern zu trennen oder sich Hilfe suchen? Voraussetzung ist, dass betroffene Frauen verstehen, dass das, was ihnen passiert, Gewalt ist und dass das nicht in Ordnung ist. Die Frauen müssen die Verantwortung dahin geben, wo sie hingehört. Das ist oft schwierig, denn das Selbstbewusstsein leidet unter der Gewalt. Zum Teil haben die Frauen auch Verständnis für den Partner, suchen die Schuld bei sich oder haben Angst vor der Zukunft. Wie können Sie den Frauen in einem ersten Gespräch oder am Telefon helfen? Als erstes nehmen wir sie ernst. Wir versuchen zu verstehen, was die Frau möchte. Ich weiß natürlich nicht den richtigen Weg für jede einzelne Frau. Aber ich kann ihr sagen, welche Möglichkeiten das Unterstützungssystem bietet, Informationen zum rechtlichen Rahmen geben, Erfahrungswerte oder Gedanken zu Scham, die oft eine Rolle spielt, teilen. Wir bauen letztlich Vertrauen auf, sagen, welche Schritte möglich sind. Dann entstehen bei den Frauen häufig Ideen, was sie tun wollen. Wenn eine Frau den Entschluss fasst, sich zu trennen, können wir ihr auch bei der konkreten Vorbereitung helfen: Wann ist der Partner nicht zu Hause? Was sollte sie mitnehmen? Wohin kann sie gehen? Was sind Warnhinweise im Verhalten potentieller Täter? Wir haben aus dem Fundus der 52 Beratungsstellen in NRW Warnsignale gesammelt. Daraus sind sogenannte Vorsichtkarten entstanden, die in der Prävention eingesetzt werden. Es tut Frauen oft gut, zu merken, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind und dass andere das bereits in Bilder und Worte gefasst haben. Auf den Karten steht zum Beispiel grundlose Eifersucht des Partners, das Äußere der Frau wird kritisiert, ihre Pläne werden nicht ernstgenommen, ihre Wahrnehmung wird in Frage gestellt, sie wird emotional erpresst, sie wird sehr früh vergöttert. Welche Maßnahmen zum besseren Schutz vor Gewalt gegen Frauen brauchen wir? Zunächst brauchen wir einen Wandel, eine andere Kultur des Umgangs miteinander mit Achtung und Wertschätzung. Ganz konkret brauchen wir mehr Frauenhausplätze. Und dann brauchen wir als Frauenberatungsstelle mehr Personal, damit wir proaktiver auf die Frauen zugehen können. Nicht selten hören wir in der Beratung von Frauen den Satz: "Hätte ich das mal eher gewusst." Es ist wichtig, dass wir die Zugangsbarrieren zum Hilfesystem verringern. Und manche Frauen können wir nicht erreichen aufgrund von Sprachbarrieren oder weil sie in Einrichtungen für Behinderte leben. Welche positiven Entwicklungen haben Sie in den letzten Jahren im Opferschutz und in den Hilfsangeboten beobachtet? Der wichtigste Punkt ist wohl, dass mehr darüber gesprochen wird. Öffentlichkeit hilft gegen Gewalt. Denn die soll meist unter der Decke gehalten werden. In dem Moment, wo man drüber spricht, ist es auch kein Allein-Thema für die Frau mehr, sondern ein allgemeines Thema. In Gerichten, in der Politik und in den Jugendämtern gibt es mehr Bereitschaft, über häusliche Gewalt zu sprechen. Auch das Gewaltschutzgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es weist zwar noch Lücken auf, aber es besagt, dass der Täter für zehn Tage der Wohnung verwiesen werden kann. Problematisch bleibt das Umgangsrecht, weil die Täter den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern oft ausnutzen, um weiter Kontakt zu der Frau zu haben. Dieses Problem muss weiter verfolgt werden. Lesen Sie auch den Kommentar zum Thema Gewalt gegen Frauen: Zu oft suchen Opfer die Schuld bei sich selbst

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