Abschied Der selbsternannte "Vater der modernen Kläranlage" geht in den Ruhestand

Herford. "Wann sind Sie denn mit Herrn Altemeier verabredet", fragt ein Techniker vier Minuten vor 15 Uhr. Zu dieser Zeit soll der Pressetermin auf dem Gelände der Kläranlage starten. Wohl einer der letzten Pressetermine mit Gerhard Altemeier als Chef des Immobilien- und Abwasserbetriebes der Stadt Herford. Denn zum Ende des Monats geht der langjährige Betriebsleiter in den Ruhestand. "Wenn Sie um 15 Uhr mit ihm verabredet sind, wird er in genau vier Minuten da sein", prognostiziert der Mitarbeiter. Und genau so kommt es auch. Auf die Minute pünktlich erscheint Gerhard Altemeier auf dem Gelände der Kläranlage an der Goebenstraße 101. "Klar kam es auch einmal vor, dass ich einen Termin verschwitzt habe, aber ich denke, im Großen und Ganzen war ich fast immer pünktlich", sagt der 65-Jährige und grüßt noch schnell einen Kollegen, der langsam im Bulli an ihm vorbei fährt. Ein bisschen wirkt es so, als sei Altemeier auf dem Gelände zu Hause. Für jeden, der ihn anspricht, nimmt er sich kurz Zeit und grüßt alle, die ihm begegnen - nicht selten mit Namen, immer mit einem freundlichen Lächeln. Da wundert es kaum, dass der 65-Jährige gleich zu Beginn des Gespräches klar stellt: "Das alles ab dem 1. November komplett auszublenden, ist schwer und wird wahrscheinlich für mich gar nicht möglich sein." Abwassertechnik ist praktizierter Umweltschutz Mit "das alles" meint Gerhard Altemeier vor allem das Fachliche, denn in Sachen Abwassertechnik machen ihm nur wenige Menschen etwas vor. Und der gebürtige Bünder ist vor allem gut darin, komplexe technische und chemische Vorgänge transparent zu erklären. Das sei ihm auch wichtig, sagt er. "Schließlich ist Abwassertechnik praktizierter Umweltschutz und eigentlich ein erstrebenswerter Berufszweig für viele junge Menschen." Dafür müsse jedoch das Image der Branche verbessert werden, und daran arbeitet Gerhard Altemeier - schon allein indem er davon erzählt, wie er sich in Herford einen beruflichen Traum verwirklichen konnte. Eigentlich habe gar nicht von Anfang an festgestanden, dass er Wasserbau studieren wollte, sagt er. "Ich habe über den zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht und mich dann zunächst im Bereich Elektrotechnik ausprobiert - das hat allerdings weniger gut funktioniert." Da seine Schwester parallel in den Bereich Wasserbau ging, habe er sich auch dafür interessiert. "Und das war wirklich ein Glücksfall", so Altemeier. An der Fachhochschule Minden und dann an der Universität Hannover, wo er auch noch den Bereich Siedlungswasserwirtschaft aufstockte, absolvierte er seine Ausbildung. Und schnell sei ihm sein Wunsch klar geworden: "Ich wollte eine Kläranlage bauen." Wie "Schicksal" erschien ihm deshalb die Stellenausschreibung der Stadt Herford. "Man suchte einen Projektingenieur für die Kläranlage - das wollte ich machen." Und Altemeier machte. Obwohl er auf die Verwirklichung seines Traumes noch einige Zeit warten musste. "Wir haben nach einem Gelände für einen Kläranlagen-Neubau gesucht - möglichst nahe am Bereich der vorhandenen, denn wir mussten uns nach dem Kanalnetz richten. Da lag für uns das Werretal nahe." Die Technik in der Herforder Anlage ist deutschlandweit einzigartig Doch schnell habe sich damals eine Bürgerinitiative gegründet. Die Proteste von "Rettet das Werretal" machten die Umsetzung der Pläne unmöglich. "So etwas muss von der Bevölkerung mit getragen werden, sonst hat es keinen Zweck", sagt Altemeier rückblickend. Für ihn folgte erst einmal eine "tote Zeit", wie er sagt. "Eigentlich war ich ja für die Kläranlage gekommen. So habe ich mich zunächst auf die Kanalisation fokussiert." Doch dann kam ihm das Glück zur Hilfe: "Ein neuer Aspekt wurde bedeutsam - die Biofiltration. Eine ganz neue Bauweise mit einer mechanischen und einer zusätzlichen biologischen Stufe schien für Herford möglich - trotz der fast schon dogmatischen deutschen Vorgaben für eine optimale Reinigung", erinnert sich Altemeier. Während an den meisten Bestandsanlagen eher angebaut wurde, kam das in Herford flächenmäßig nicht in Frage. Aber Altemeiers Traum vom Bau einer neuen Kläranlage - und zwar auf dem alten Grundstück - konnte wahr werden. Von 1996 bis 2000 wurde an der Goebenstraße gebaut und zwar eine hochmoderne Kläranlage mit deutschlandweit einmaligen Technik. "Das war sozusagen ein Ritterschlag", sagt Altemeier rückblickend. "Das hatte Strahlwirkung. Ich durfte sogar Vorträge über unsere Anlage halten, zum Beispiel in Paris und Wien." Nicht ohne Grund bezeichnet der Vater dreier erwachsener Kinder auch die Kläranlage in Herford als "mein Kind". Realisierung einer Reinigungsstufe, die Medikamentenreste aus dem Wasser filtert Und das durfte kürzlich noch weiter entwickelt werden - um die vierte Reinigungsstufe. Sie fischt seit circa vier Wochen Mikrostoffe wie Medikamentenreste und medizinische Kontrastmittel aus dem Abwasser. "Wir haben festgestellt, dass die Konzentration von solchen Stoffen hier in Herford sehr hoch war. Das liegt vor allem am Klinikum und an diversen Arztzentren, von denen auch große Mengen Röntgenkontrastmittel ins Abwasser gelangen", erklärt Altemeier. Zusätzlich scheide im Schnitt jeder Mensch pro Jahr um die 400 Gramm Medikamente wieder aus. "Zum Beispiel der Wirkstoff Diklofenak, der unter anderem in manchen Schmerzmitteln enthalten ist, setzt sich in Kiemen von Fischen und kann großen Schaden anrichten." In Herford nun nicht mehr, dank der vierten Reinigungsstufe. Mittels Aktivkohle werden die schädlichen Medikamentenreste aus dem Wasser entfernt. "Ich bin sehr froh, dass ich dieses Projekt in meiner aktiven Zeit noch abschließen konnte", so Altemeier, der bis zu seinem letzten Arbeitstag nun noch hauptsächlich damit beschäftigt ist, Kollegen einzuarbeiten. Doch auch danach wird sein Fachgebiet den 65-Jährigen nicht ganz loslassen. "Seit vielen Jahren unterrichte ich auch an der Technikerschule in Herford und werde dieser Tätigkeit wohl bald auch in Essen nachgehen", erzählt er. So könne er jungen Menschen das "für viele nebulöse Fach Abwasser" näher bringen und vielleicht ein wenig mehr für die Wertschätzung dieser Branche sorgen. Schwimmen in der Werre - ein Blick in die Zukunft Und neben seinen Hobbys, dem Skifahren, Bergsteigen und Wandern, wird Gerhard Altemeier sicher auch die Weiterentwicklung "seiner" Kläranlage" im Blick behalten. "Was wir in Herford noch nicht können, ist entkeimen", schaut er in die Zukunft. Die Rufe danach würden allerdings immer lauter, zum Beispiel im Raum München, wo die Menschen gerne wieder in der Isar baden gehen würden. "Dafür sind allerdings zu viele Bakterien im Wasser, die man mittels Membrantechnik herausfiltern könnte." In Herford stehe das zwar noch nicht auf der Agenda, aber das Thema "Schwimmen in der Werre" könnte künftig auch diese nächste Entwicklungsstufe wünschenswert machen.

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