Herford Monatelanges Warten auf Arzt-Termin im Kreis: Praxis will gegensteuern

Herford. Patientinnen und Patienten müssen im Kreis Herford meist monatelang auf eine Routineuntersuchung beim Augenarzt warten. Im Frühsommer hat etwa eine NW-Leserin um einen Termin in ihrer Herforder Praxis "Augenlicht" nachgefragt und wurde auf Anfang nächsten Jahres verwiesen. Erst die Bereitschaft, auf die Filiale in Löhne auszuweichen, führte zu einem früheren Termin im Oktober. Die Inhaber der Praxis, Privatdozent Dr. Matthias Klamann (40), Dr. André Klamann (37) und Dr. Sina Iskandar (34), bedauern die Situation sehr und sehen mehrere Gründe für den Notstand. Sie versuchen, etwas dagegen zu tun, indem sie selbst Nachwuchs-Augenärzte ausbilden, die der Region treu bleiben wollen. "Augenlicht" sind sechs Praxen und ein OP-Zentrum Die Brüder Klamann stammen aus Herford und sind vor sechs Jahren in die Praxis Koeller an der Radewiger Straße eingestiegen. "Damals konnten Patienten noch für die nächste Woche einen Termin bekommen" erinnern sie sich. Im Laufe der Jahre haben sie weitere fünf Praxen in Herford, Bünde und Enger übernommen und auch Sina Iskandar aus Löhne kam als Partnerin mit der vormals väterlichen Praxis mit ins Boot. Die Praxen wurden nach und nach modern umgebaut. Vor einem Jahr sind sie mit ihrem OP-Zentrum in eine eigens restaurierte historische Villa am Wilhelmsplatz umgezogen. Invest: rund eine Million Euro. Viele Patienten kommen aus dem Umland Formal ist der Kreis Herford gut mit Augenärzten ausgestattet. "Das ist aber nur die halbe Wahrheit", sagt Matthias Klamann. "Der Kreis Herford und Ostwestfalen-Lippe sind eng besiedelt. Da die Patienten freie Arztwahl haben, können sie auch aus den Kreisen Minden-Lübbecke, Lippe, Osnabrück und aus den nahen Bielefelder Randgebieten, wo viele Praxen geschlossen wurden, nach Herford kommen." Und das nutzen sie ganz offensichtlich. Ein weiteres Problem: Viele Ärzte sind schon älter. Sie gingen und gehen in den Ruhestand und die Anziehungskraft der Provinz auf junge Ärzte, die in der Großstand studiert und gelernt haben, ist begrenzt. Zudem scheint die Augenheilkunde für angehende Mediziner weniger attraktiv zu sein, als etwa eine Zukunft als Chirurg oder Allgemeinmediziner. Dabei, so die Partner, sei es "der schönste Beruf der Welt". "Augenlicht" ist aber ein vergleichsweise junges Team aus sieben Fachärzten und fünf Assistenzärzten, das das ganze Spektrum der ambulanten Augenheilkunde anbieten kann. Matthias Klamann hat eine Lehrerlaubnis Matthias Klamann lehrt noch immer an "seiner" Berliner Charité in seinen Forschungsgebieten Grauer und Grüner Star. Die Lehrbefugnis als Privatdozent ermöglicht ihm nun, auch in der eigenen Praxis Assistenzärzte auszubilden. "Das funktioniert super", freuen sich die Partner. "Es ist toll, wenn man vor Ort eine Perspektive bieten kann. Unsere Assistenzärzte kommen aus der Gegend und wollen hier auch bleiben." So war es ja auch bei den Klamanns selbst: "Wir kommen von hier ,weg'. Da weiß man, was man hat." Die fertig ausgebildeten Fachärzte können aber nur dann nur auf einem eigenen Kassensitz arbeiten, wenn sie ihn von einem ausgeschiedenen Facharzt übernehmen können. Dadurch entstehen keine weiteren Kapazitäten, sondern der derzeitige Stand wird beibehalten. "Was man hat" - das bedeutet auch eine Sechs-Tage-Woche mit langen Arbeitstagen und jede Menge Verwaltungskram, mit dem niedergelassene Ärzte zunehmend belastet werden. Auf die Themen Wirtschaft, Personal und Recht werden sie im Studium nicht vorbereitet. Assistenzärzte bekommen Sprechstunden Die Patiententermine bei Augenlicht sind eng getaktet: Fünf Minuten pro Patient müssen reichen. Drei Mitarbeiterinnen sitzen am zentralen Telefon und nehmen jeweils rund 80 Anrufe pro Vormittag an. "Dennoch haben viele Patienten das Gefühl, sie kommen nicht durch", weiß André Klamann. Schnell sind an einem Tag drei Monate ausgebucht. Leichte Entspannung bringt, dass die Assistenzärzte nun auch Sprechstunden bekommen. Einen früheren Termin kann auch bekommen, wer bereit ist, auf einen anderen Standort im Kreis auszuweichen, und nicht auf einen Arzt festgelegt ist. Und immerhin: Auch neue Patienten bekommen einen Termin, denn nicht jeder Arzt nimmt noch welche auf. Echte Notfälle kommen in der Praxis von einem Tag auf den anderen an die Reihe. "Plötzlicher kompletter Sehverlust durch Netzhautablösung ist behandelbar, es muss aber schnell gehen", sagt Matthias Klamann. Muss es dennoch eine Klinik sein, kommen derzeit Münster und Hannover in Frage, denn Bielefeld hat sich abgemeldet. Echte Notfälle werden schnell behandelt Viele Fehlsichtige lassen ihre Sichtstärke direkt beim Optiker bestimmen. "Das machen die Herforder Optiker auch richtig gut und darüber sind wir froh", sagt André Klamann. "Sie dürfen aber keine Krankheiten behandeln und schicken Patienten im Zweifel zum Augenarzt." Die wichtigsten Augenkrankheiten Hauptkrankheiten sind derzeit Grauer Star, Makuladegeneration und Veränderungen am Augenlid. Grauer Star wird vom Augenlicht-Team im eigenen OP-Zentrum und im Bünder Lukas-Krankenhaus in Minutenschnelle ambulant und schmerzfrei operiert. Die Makuladegeneration der Netzhaut wird mit Spritzen in den Augapfel gebremst. Plastisch-äthetische Eingriffe am Augenlid etwa zur Entfernung von Warzen, Tumoren und Hautanhängseln sind eine Spezialität von Sina Iskandar. Behandelt wird medikamentös auch Grüner Star. Die Wartezeit auf eine Operation beträgt nach gestellter Diagnose im Schnitt einen Monat. Das OP-Zentrum im denkmalgerecht renovierten Gebäude verfügt über vier moderne Operationssäle. Vor und nach der OP wird Gemütlichkeit geboten: Wartebereich für Angehörige ist im Wintergarten mit Tiffany-Glas-Elementen. Nach der OP geht es auf ein kleines Frühstück in das historische Treppenhaus von 1880 mit farbig verglastem Oberlicht. Doch nicht nur das eigene, neobarocke Haus ist den Ärzten ein Lichtblick. Sie freuen sich über die gelungene Neugestaltung des Wilhelmsplatzes und die Sanierung des heutigen Restaurants Wohnzimmer in der Nachbarschaft. Info: Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe Augenärzte können sich nicht einfach dort niederlassen, wo sie selber möchten. Nach Angaben der Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe versorgen im Planungsgebiet Kreis Herford 15 Augenärzte und -ärztinnen rund 250.000 Einwohner. Der Versorgungsgrad beträgt damit laut Bedarfsplanung für die allgemeine fachärztliche Versorgung 113,8 Prozent - der Kreis gilt also als überversorgt und wird für Neuzulassungen gesperrt. Der Kreis Herford wird dabei zum Typ Dualversorgung gezählt: Einerseits nutzen auch Patienten aus der Nachbarschaft das Angebot, andererseits lassen sich auch die Kreis Herforder außerhalb behandeln. Im Kreis Herford sind derzeit etwa 43 Prozent der Augenärzte älter als 60 Jahre. Insgesamt sei die Versorgung mit Augenärztinnen und Augenärzten im Kreis Herford derzeit also – statistisch gesehen – gut, heißt es aus der Pressestelle der KVWL. Die gefühlte Versorgungssituation könne hiervon abweichen. Generell werde die Nachbesetzung von Arztsitzen vor allem im ländlichen Bereich schwieriger, da sich nicht genug junge Mediziner für eine eigene Praxis entscheiden.

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