Herford Medikamente und Mikroplastik: Wie das Herforder Abwasser wieder sauber wird

Herford. Es hat coronabedingt noch einmal deutlich länger gedauert als geplant. Anfang August nun soll der Probebetrieb der neu gebauten vierten Klärstufe des Herforder Klärwerks tatsächlich starten. In dieser Klärstufe werden die von Menschen ausgeschiedene Medikamentenreste und Röntgenkontrastmittel sowie als Beifang auch Mikroplastik-Teilchen aus dem Herforder Abwasser gefischt. So sollen Menschen und Fische vor dem Chemiecocktail in Fluss und Meer geschützt werden. Die Knappheit elektronischer Bauteile hat zu Verzögerungen im Aufbau der Technik geführt. "An mancher Stelle haben wir mit Alternativbauteilen improvisiert. Bis auf drei Dosierungspumpen ist die Anlage so weit betriebsbereit", sagt der Technische Leiter des Abwasserwerks, Gerhard Altemeier. "Alle Betriebsstoffe wie Aktivkohle, Mikrosand und Hilfschemikalien sind eingefüllt." Chinesische Aktivkohle Die vierte Klärstufe arbeitet in einer in Blautönen gestalteten Industriehalle und ist in drei identische Straßen aufgeteilt, die je nach Abwasseraufkommen alle oder nur teilweise beschickt werden. Das Prinzip ist relativ einfach. Das auf der anderen Seite der Goebenstraße biologisch gereinigte Abwasser wird in eins der 200 Kubikmeter fassenden Becken gepumpt, das immer wieder neu mit Aktivkohle beschickt wird. "Die Kohle muss man sich wie schwarzes Mehl vorstellen. Aktivkohle hat durch ihre Poren eine unheimlich große Oberfläche - ein Kubikzentimeter hat die innere Oberfläche von einem Fußballfeld", erklärt der Ingenieur. Die Kohle zieht die Medikamentenreste wie magnetisch an sich. Ein langsames Rührwerk beschleunigt die Kontaktaufnahme. Belgischer Sand Nach einer halben Stunde verlässt das Abwasser-Kohle-Gemisch das erste Becken und fließt in ein Absetzbecken. Dort wird aus Belgien importierter Mikrosand zugesetzt, der sich mit der leichten Kohle verbindet und sie zu Boden zieht. Das weitgehend saubere Wasser strömt oben ab. Das Sand-Kohle-Gemisch wird in einem Zyklon, das ist eine Art Schleuder, unter Ausnutzung der Fliehkraft weitgehend getrennt. Sand und anhaftende Restkohle gehen zurück ins Absetzbecken. Um noch letzte Reste der belasteten Aktivkohle zu entfernen, wird das Wasser durch engmaschige Filter gepumpt. Dabei bleibt ein großer Teil des Mikroplastiks hängen. Das saubere Wasser wird am Ende in die Werre als sogenannter "Vorfluter" abgelassen. Rückgewinnung von Phosphor Der Kohleschlamm aus dem Zyklon wandert mitsamt der anhaftenden Medikamente in den Faulbehälter und erhöht nach Ausfaulung und Entwässerung den Heizwert des Klärschlamms. Ab 2024 soll der Klärschlamm in sogenannten Monoverbrennungsanlagen verbrannt werden. Dann kann aus der Asche der Phosphor als wertvoller Rohstoff für die Düngemittelherstellung gewonnen werden. "Noch laufen die Ausschreibungen der Kommunen für einen strategischen Partner aus der Industrie", sagt Altemeier. Kostensteigerung Die 80 Kubikmeter Pulverkohle, die in einem Silo lagern, sollen zwei bis drei Monate vorhalten. Der Preis des aus China importierten schwarzen Pulvers ist in der Pandemie von 1.200 Euro auf 1.500 Euro pro Tonne gestiegen. Das summiert sich übers Jahr auf 350.000 Euro auf. Schuld sind die ums Achtfache erhöhten Kosten für Containertransporte übers Meer. Nach Angaben Altemeiers soll nun auch in Deutschland wieder Aktivkohle aus Stein- und Braunkohle hergestellt werden. Auch die Baukosten sind gestiegen. So wird die für 13,5 bis 14 Millionen Euro geplante erste Anlage dieser Art in Deutschland nun rund 15 Millionen Euro kosten. 60 Prozent trägt das Land. Andere Anlagen arbeiten beispielsweise mit Aktivkohle-Pellets, die nach einem Jahr komplett ausgetauscht werden. Auch Ozon wird eingesetzt, um die komplexen Moleküle der Medikamente zu zerlegen. Unklar ist, wie sich die Chemikalien im Anschluss verhalten. So könnte die Zukunft einer Kombination aus Aktivkohle und Ozon gehören. Altemeier ist aber überzeugt, dass die Herforder Anlage erst einmal den Anforderungen genügen wird. Abwassergebühren Ein Kubikmeter Schmutzwasser kostet die Bürger derzeit 4 Euro Gebühren. Das sind bei einem durchschnittlichen Anfall von rund 45 Kubikmetern zwischen 180 und 200 Euro pro Person und Jahr. Wenn der Probebetrieb endet, könnte die Abwassergebühr durch die vierte Klärstufe um 10 bis 15 Cent pro Kubikmeter steigen. Noch steht aber die Reaktion der Stadt auf ein Musterurteil des Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster aus, wonach auch die Herforder Abwassergebühren rechtswidrig zu hoch kalkuliert sind. Ein Knackpunkt sind die Zinsen, die die meisten Kommunen für ihr im Klärwerk eingesetztes Kapital veranschlagen. Coronaviren Vor einem Jahr hatte Gerhard Altemeier noch vermutet, dass auch in Herford Untersuchungen des Abwassers auf Coronaviren Hinweise auf das Infektionsgeschehen in der Stadt geben werden. Das ist nun erst einmal doch nicht geplant. Es gibt andernorts acht Kläranlagen, an denen das aufwendige Verfahren getestet wird. Starkregen Bei starkem Regen geht ein Teil des ungeklärten Abwassers am Klärwerk vorbei und belastet die Gewässer. Darauf hat die Stadt schon mit dem Bau von Regenrückhaltebecken reagiert, in dem vor allem die ersten, besonders mit Fäkalien belasteten Abwässer vorübergehend zurückgehalten werden. Als eine Reaktion auf die neuerdings sehr punktuell auftretenden Starkregenereignisse wie zuletzt am Bünder Fußweg hat das Abwasserwerk ein Projekt zur intelligenten Kanalnetzsteuerung auf den Weg gebracht, sodass in der akuten Situation die weniger belasteten Rückhaltebecken ausgleichend wirken können. "Das wird gerade programmiert und sehr pfiffig sein", meint Altemeier. Der Ingenieur geht Ende Oktober in den Ruhestand und freut sich, seinem Nachfolger ein gut bestelltes Haus zu hinterlassen.

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