Kreis Herford Zwischen Arbeit und Familie: Wie diese Frau die Balance findet

Kreis Herford. Das kleine schüchtern Blondchen wollte Christine Abramov (29) nie sein. Und doch wurde sie in ihrem früheren Unternehmen, einer bekannten Küchenbaufirma aus der Region, als solches angesehen. Aber sie arbeitete sich hoch, hatte sich Respekt verschafft und bekam auch Verantwortung, erzählt die gelernte Industriekauffrau - bis sie Mutter wurde und ihre Stunden reduzierte. Fast zehn Jahre sei sie dort im Einkauf angestellt gewesen, aber ab dann war sie wieder nur noch die "Tippse", sagt sie. Heute arbeitet Abramov für den Kreis Herford mit einer halben Stelle. Sie darf autark arbeiten, muss für niemanden Texte abtippen oder Kaffee holen. Zurück zur 40-Stunden-Woche kommt für die Hiddenhauserin nicht mehr in Frage. Lesen Sie auch: Kommentar: Firmen müssen umdenken: Nicht nur Mütter wollen in Teilzeit arbeiten Mit ihrem Denken liegt Abramov im Trend. Nach den aktuellsten Daten der Arbeitsagentur OWL (September 2021) besetzen etwa 28 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Kreis Herford eine Arbeitsstelle mit reduzierten Stunden. Das heißt von 96.845 Beschäftigten arbeiten 27.228 in Teilzeit. Im September 2020 waren es nur 26.984. Demnach ist die Zahl innerhalb eines Jahres um 244 gestiegen. Auch landesweit zeigt sich das gleiche Bild: Laut dem statistischen Landesamt NRW ist der Anteil der Sozialversicherungsbeschäftigten in Teilzeit von 2008 bis heute um über zehn Prozentpunkte gestiegen. "Ich bin jung Mama geworden, weil ich mit meinen Kindern wachsen will" "Das nennt sich Work-Life-Balance", sagt die Zweifach-Mutter. Sie kenne genug Leute, die in ihren frühen Dreißigern bereits einen Burn-Out hatten. Auch sie habe schon erfahren müssen, was Stress auf der Arbeit auslösen kann. In ihrer ersten Schwangerschaft - als sie noch in der Küchenbaufirma gearbeitet hat - hatte sie sich übernommen, das löste Komplikationen aus, schätzt sie heute. Doch sie hatte Glück, die Geburt verlief gut, es hätte schlimmer ausgehen können. "Ich bin jung Mama geworden, weil ich mit meinen Kindern wachsen will", sagt Abramov. Deshalb komme eine Vollzeitstelle für sie nicht mehr in Betracht. Erst acht Stunden arbeiten, dann das Essen auf den Tisch zaubern, dann die Wäsche falten und ganz zum Schluss, so kurz vor dem Schlafen gehen, schaffe sie es vielleicht ein wenig Zeit mit ihren zwei Söhnen zu verbringen? - Nein! So hat sie sich ihr Leben nicht vorgestellt. Ihr Mann arbeitet bis in den Abend, deshalb hat sie alles andere zu Hause zu managen. Für sie eine gerechte Aufteilung, von ihm kriegt sie aber öfter zu hören, dass er auch gerne mehr Zeit für sich und die Kinder hätte. Balance im Leben gefunden Abramov arbeitet zwei Tage lang, einen Tag kurz. Die zwei freien Tage nutzt sie auch für sich, zum Energie auftanken. Und das geht am besten mit Sport. Sie ist sich sicher, wäre sie nach ihrem zweiten Kind wieder 40 Stunden in der Woche arbeiten gegangen, hätte sie sich nicht in dem Maße aufraffen können. Denn nach dem Kind fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut, fühlte sich ungesund, die überschüssigen Pfunde mussten weg. Sie begann, ins Fitnessstudio zu gehen, sich darüber zu informieren, wie man sich gesund ernährt und machte schließlich sogar eine Lizenz zur Bootcamp-Leiterin und Personal Trainerin. Sie habe ihre Balance im Leben gefunden, sagt sie, und möchte das auch an andere Frauen vermitteln.Artikel: Kreis: Mutter in Teilzeit (ana) Deshalb bietet sie jetzt regelmäßig Kurse in Hiddenhausen an. Neuerdings auch Power Pilatis. Den Nebenerwerb hat sie mit ihrem Arbeitgeber abgesprochen. Das Geld, was sie dadurch einnimmt, ist ein Plus in der Haushaltskasse. Denn wenn man ehrlich ist, bedeutet nur die Hälfte arbeiten auch nur die Hälfte Geld. "Wenn ich jetzt gar nicht arbeiten gegangen wäre, hätten mein Mann und ich uns das Haus nicht leisten können." Auch ohne Kinder nur 20 Stunden die Woche arbeiten Unter den Müttern im Kindergarten hat sie eine gute Position. Sie ist nicht die "Karriefrau", die nie Zeit für ihre Kinder hat, sie ist aber auch nicht "nur Hausfrau und Mutter", die sich selbst nicht verwirklicht. Im Gegenteil. Oft kriegt sie sogar neidvoll zu hören: "Wie schaffst du das nur alles?" Doch nicht nur Mütter arbeiten in Teilzeit, auch die Kollegin von Abramov, ihre "Teamplayerin", wie sie sie nennt, arbeitet mit nur einer halben Stelle im Kreishaus. Die Kollegin ist verheiratet, hat aber keine Kinder. Am Telefon erzählt die Kollegin, dass sie die freie Zeit für ihre ehrenamtliche Arbeit brauche. Es erfülle sie, wenn sie ihren Glauben verbreiten darf. "Ich arbeite, um zu leben und lebe nicht, um zu arbeiten", sagt sie. Ihr Mann und sie brauchen keinen Luxus, sie sind zufrieden mit dem, was sie haben. Natürlich gehe sie nicht blauäugig an das Thema Altersvorsorge heran, sagt sie. Sie beide seien Sparfüchse. Abramov und die Kollegin teilen sich quasi die volle Stelle - und ergänzen sich super, so Abramov. Einen Tag in der Woche sind beide im Büro und können sich austauschen, das andere klappt wie von selbst. "Und der Vorteil für den Arbeitgeber ist einfach, dass immer eine von uns da ist." Urlaube und freie Tage könnten so viel flexibler gestaltet werden. Teilzeit hat Vor- und Nachteile Work-Life-Balance ist in der Arbeitswelt ein sehr großes Thema geworden, weiß auch Annette Budzynski, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA). Oft höre man von der jüngeren Generation, dass sie parallel noch ein Studium machen wollen oder ein intensives Hobby haben, das sie nicht aufgrund der Arbeit aufgeben möchten, sagt sie. Mit Blick auf den Fachkräftemangel werben deshalb viele Unternehmen neuerdings sogar mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. Ihnen ist bewusst, dass wenn sie sich darauf nicht einlassen, ihnen mehr oder weniger die qualifizierten Fachkräfte ausgehen. Zudem wollen immer weniger junge Menschen Führungsaufgaben übernehmen. Das werde zukünftig noch ein großes Problem für die Firmen bedeuten. "Doch allgemein ist das Umdenken bei den Unternehmen immer noch sehr langsam." Das sei besonders auffällig bei familiengeführten ostwestfälischen Firmen. Die Arbeitgeber hätten dann das Gefühl, dass sich Teilzeitkräfte nicht so mit dem Unternehmen identifizieren. Laut Studien würden die Teilzeitkräfte bei internen Weiterbildungen übergangen oder gar nicht erst bedacht, weil sie einfach weniger sichtbar seien, als Vollzeitkräfte. Deshalb rät Budzynski: "Macht euch sichtbarer!" Eine Teilzeitstelle zu erzwingen, sei nicht ratsam für das zukünftige Arbeitsklima. Aber es gebe auch Arbeitgeber, die schon lange die Vorteile einer Teilzeitregelung nutzen. Besonders im Gesundheits- und Verkaufswesen begrüßen die Arbeitgeber Teilzeitkräfte, weil die flexibler einsetzbar seien, sagt die Beauftragte für Chancengleichheit. Aber das sei schon vor dem Work-Life-Balance-Trend so gewesen. Hier bestehe dann eher das Problem, wenn die Teilzeitkraft dann ihre Stunden aufstocken möchte. Oftmals würden sich dann die Arbeitgeber sperren. Im Kreis Herford sind von den Teilzeitkräften 83 Prozent Frauen und 17 Prozent Männer. Der Grund dafür, dass es immer ncoh sehr viel mehr Frauen als Männer sind liege am Gehalt. Für die meisten der klassischen Familien sei es finanziell besser, wenn die Frau ihre Stunden reduziert und nicht der Mann.

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