Lebenshilfe richtet eigene Quarantänestation für Coronafälle ein

Herford. Menschen mit Behinderungen gehören überwiegend zur Risikogruppe des gefährlichen Erregers Sars CoV-2. Sie sind aber oft nicht in der Lage, die Schutzvorschriften einzuhalten. Die gute Nachricht: Bisher ist kein Mensch mit Behinderung und kein Mitarbeiter aus Werkstatt oder Wohneinrichtung der Herforder Lebenshilfe mit dem Coronavirus infiziert worden, obwohl es Verdachtsfälle gab. Dennoch beschreibt Geschäftsführer Stephan Steuernagel die Auswirkungen der Krise auf die Lebenshilfe als dramatisch. In Wohneinrichtungen gilt ein Besuchsverbot für Angehörige Die Herforder Werkstätten mussten zum Schutz der Betreuten vor zwei Wochen schließen. Die weitere Herausforderung: Die behinderten Menschen sollen, so gut es geht, in den Wohneinrichtungen von der Außenwelt abgeschirmt werden und haben nun höheren Betreuungsbedarf. Zumal auch hier ein Besuchsverbot für Angehörige gilt. Die Lebenshilfe gibt rund 660 Menschen mit Behinderungen Arbeit in den beschützten Werkstätten. Davon sind zwei Drittel geistig behindert und ein Drittel ist psychisch erkrankt. 140 dieser hier so genannten "Beschäftigten" leben in Einrichtungen der Lebenshilfe Wohnen, rund 25 in Einrichtungen anderer Träger und die übrigen oft bei Angehörigen. Psychisch Kranke leben oft in eigenen, betreuten Wohnungen. "Wir konnten die Werkstätten nur auf Anweisung der Behörden schließen, sonst bekommen wir vom Landschaftsverband keine Refinanzierung für die Ausfälle", sagt Steuernagel. Dennoch habe man am Montag, 15. März, als die Anweisung kam, einen gefühlten Vorsprung gehabt, weil man schon vorab im Krisenstab Vorbereitungen getroffen habe. Bisher bekommen die Beschäftigten noch ihr Entgelt für die Arbeit. "Wir wollen sie ja nicht in Nöte bringen", sagt Steuernagel. Er hofft, dass andererseits etwa die Frühförderung durch Lebenshilfe-Mitarbeiter weiter refinanziert wird. Derzeit kann man den Familien nur Angebote übers Internet machen. "Wann geht es wieder an die Arbeit?" Wie bei Kitas und Schulen gibt es eine Notbetreuung für Behinderte, deren Angehörige etwa im medizinischen Bereich arbeiten. Das betrifft zur Zeit vier bis sechs Beschäftigte. "Wir versuchen, telefonisch in Kontakt zu unseren Beschäftigten in den Familien zu bleiben, und ein gewisses Maß an Betreuung zu leisten ", sagt Steuernagel. Bisher hat er von keinem Notstand gehört. Wann es wieder an die Arbeit gehe, werde aber oft gefragt. Sorge macht er sich um psychisch Kranke, denen nun die Tagesstruktur fehlt. Ein Teil der Aufträge bricht weg "In den Werkstätten versuchen wir mit vereinten Kräften der Mitarbeiter, die sonst die Beschäftigten anleiten, die Aufträge der Industriekunden abzuarbeiten", sagt Wolfgang Rox von der Werkstattleitung. Einzelne Kunden wie der benachbarte Hersteller von derzeit gefragten Krankenhausbetten, Stiegelmeyer, sind gerade jetzt auf die Belieferung mit Teilen angewiesen. "Wir versuchen, die Stückzahlen zu gewährleisten insbesondere für den medizinischen Bereich." Andererseits kommen auch weniger neue Aufträge herein. "Wir haben schon einen Einbruch von rund 100.000 Euro", sagt Rox. Er sorgt sich, dass einige Kunden die Krise nicht überstehen könnten. "Es wird eine Herausforderung, neue Produkte für unsere Werkstätten zu finden", meint Stephan Steuernagel. Er hofft, dass nach der Krise mehr Produktion aus China ins Inland zurück geholt wird. "Das Gebäude mit einem großen Gemeinschaftsraum ist ein Geschenk" Für Behinderte, die keiner Arbeitsbeschäftigung nachgehen können, gibt es tagesstrukturierende Angebote, etwa in einer noch recht jungen Einrichtung an der Schlosserstraße. Da auch dieses Angebot derzeit ruhen muss, hat die Lebenshilfe hier eine Quarantänestation mit sechs Plätzen aufgebaut - für den Fall, dass Bewohner der Wohneinrichtungen erkranken und isoliert werden müssen. "Wir haben Bewohner mit viel Bewegungsdrang und Leute, die sich nicht an Vorgaben halten können. Da ist das Gebäude mit einem großen Gemeinschaftsraum ein Geschenk", sagt die Leiterin der Lebenshilfe Wohnen, Nina Schwerdter. "Wer es aber zwei Wochen im Zimmer aushält, kann auch darin bleiben." Diese Rund-um-die-Uhr-Betreuung in Schutzausrüstung nach Krankenhausstandard muss personell gesichert werden. "Unsere Haustechnik hat toll mitgearbeitet und Schleusen eingebaut", sagt Schwerdter. "Wir haben alles an Schutzkleidung, was wir haben, aus den Ecken gesucht." Vorgehalten wurde ein gewisser Vorrat schon vor Corona, um etwa gegen Grippe- oder Noroviren gerüstet zu sein. Ein Kiosk in der Gartenhütte schafft ein Stück Normalität Für die Wohneinrichtungen ist es wichtig, die Bewohner zu beschäftigen. Mancher kann seine Arbeit in Heimarbeit fortführen. Ein Wohnheim hat in einer Gartenhütte einen Kiosk eingerichtet, um das bei vielen beliebte Einkaufen als Abwechslung zu erhalten und so viel Normalität wie möglich im geschlossenen System zu bieten. "Der Wohnbereich erfährt viel Solidarität", freut sich Nina Schwerdter. So habe es aus anderen Bereichen das Angebot gegeben, auszuhelfen. Schwerdter beklagt, dass manche Mitarbeiter, die Kontakt zu Infizierten hatten, oder aus Risikogebieten aus dem Urlaub heimgekehrt seien, von Ärzten einfach zwei Wochen krank geschrieben würden, statt sie auf Corona zu testen. "Wenn aber jeder, der hustet, zu Hause bleibt, kann ich bald die weiße Fahren schwenken", sagt sie.

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