Theaterstück "Aus dem Nichts" bedient sich am NSU-Komplex

Fatih Akins von der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) inspirierte Film endet mit einem Knall. In Miraz Bezars Bühnenadaption für das Euro-Studio Landgraf surrt am Ende der Schredder, in dem der Verfassungsschutz wichtige Ermittlungsakten verschwinden lässt. Wirft Akins Selbstjustiz-Showdown eher Fragen nach der Legitimität von Rache auf, stellt das Theaterstück viel deutlicher die Frage, ob wirklich Versagen der Ermittlungsbehörden die Morde so lange unentdeckt bleiben ließ. Möglicherweise ist eine Staatsräson, die die Interessen der Politik über das Recht stellt, der Grund dafür könnte, dass die Morde so lange nicht erkannt, viele damit verbundene Fragen bis heute nicht aufgeklärt werden konnten. Auch im Stück ist die Enttarnung des Nazipärchens eher Zufall als Ergebnis von Ermittlungsarbeit. Thriller-Drama von der Realität inspiriert &bdquo;Aus dem Nichts" ist von der NSU-Mordserie inspiriert, komprimiert aber die Handlung. Der NSU ermordete von 2000 bis 2007 zehn Menschen, und flog erst 2011 auf, nachdem zwei der Rechtsterroristen tot in ihrem Wohnmobil gefunden wurden. Auf der Bühne geht es vom Nagelbombenanschlag, bei dem Katja (Anna Schäfer) Mann und Sohn verliert, über die entwürdigende Behandlung durch die Polizei, die die Toten als Angehörige krimineller Clans ansieht, die Verurteilung der Opfer als Täter durch die Medien über die Verhaftung der wahrscheinlichen Täter und bis zu deren Freispruch deutlich schneller. Trauer, Wut, Verzweiflung Schäfer nimmt die Zuschauer mit durch Katjas Trauer, Wut, Verzweiflung und die Ablenkung durch Drogen. Sie erlebt als Deutsche, dass die von ihr erkannte blonde Frau für die Ermittler zur südländischen Person wird. Es kommt zum Bruch mit der Mutter, die Polizei und Medien glaubt. Selbst der eigene Anwalt (Mathias Kopetzki) hält ihre Vermutung, dass der Bombenanschlag das Werk von Rechtsterroristen sein könnte, für sehr weit hergeholt. Eigentlich unvorstellbar, haben doch rechtsmotivierte Täter von 1990 bis 2017 laut zeit.de mindestens 169 Menschen getötet. Die Behörden zählen für diesen Zeitraum &bdquo;nur" 85 Todesopfer. Auf der Bühne findet der Rachemord nicht statt Es ist vor allem Schäfers Leistung zu verdanken, dass die Zuschauer ihr auf dem Weg folgen, der sie mit einer selbstgebauten Bombe dem freigesprochenen Nazipärchen in den Urlaub folgen lässt. Das Auffliegen eines Nazinetzwerkes und die Chance auf einen neuen Prozess, lassen sie aber in letzter Sekunde den Plan des Rachemordes aufgeben. Das schafft anders als im Film Raum für ein drittes mit &bdquo;Wahrheit und Politik" überschriebenes eigenes Kapitel, das sich dem – fiktiven – Untersuchungsausschuss widmet. Kamen die rassistischen Morde "aus dem Nichts"? Verschwundene Akten oder Akten mit geschwärzten Namen machen den Parlamentariern, die eigentlich die Exekutive kontrollieren sollen, die Aufgabe fast unmöglich. Am Ende schaut eine fassungslose Katja dabei zu, wie wichtige Akten Blatt für Blatt im Schredder landen. Es bleibt das schale Gefühl, dass das rassistische Morden eben nicht &bdquo;aus dem Nichts" kam, sondern aus der Mitte der Gesellschaft. Die Nachrichten über aufgeflogene rechtsextreme Netzwerke in Länderpolizeien und Bundeswehr oder dutzendweise verloren gegangene Waffen samt Munition werfen jedenfalls die Art von Fragen auf, deren Antworten die Bevölkerung verunsichern würden. Adaption, die über die Vorlage hinausgeht Trotz dieser eher spröden Endszene gelingt es Inszenierung und dem Ensemble um die stark spielende Hauptdarstellerin den Blick weg vom Einzelschicksal hin zum Blick auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu lenken und damit über Akins Film hinauszugehen.

Meistgelesen