Herford "Talk am Mittag" im Denkwerk Herford

Herford. "Wohin geht Europa?" Die Frage konnte erwartungsgemäß nicht beantwortet werden in der von Bürgermeister Tim Kähler moderierten Runde "Talk am Mittag", zu der der Wirtschaftsbund Hanse am Freitag Vertreter Herforder Unternehmen ins Gründerzentrum "Denkwerk" eingeladen hatte. Die Hoffnungen in unsicherer Zeit mit aufkommendem Protektionismus in Form von Brexit und Plänen des US-Präsidenten Trump richteten sich in einem Vortrag von Marc Jan Eumann und in einer anschließenden Gesprächsrunde insbesondere auf eine gegenüber anderen Sprachen und Menschen anderer Nationen aufgeschlossene Jugend. "Die Jugendlichen haben nicht einen so defizitorientierten Blick auf Europa und sehen es nicht nur als Absatzmarkt", hat die Herforderin Annette Klinkert festgestellt, die das "Europäische Schülerparlament" organisiert. Der Staatssekretär für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen vertrat als in Hamburg geborener Hanseat "gern" seinen ursprünglich angekündigten Minister Lersch-Mense. Eumann lud die Herforder Unternehmer mit intensiven Geschäftsbeziehungen zu Großbritannien nach Düsseldorf ein zu einem Gespräch über den Umgang mit dem bevorstehenden Abschied der Briten aus der EU. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Ostwestfalen, Thomas Niehoff, griff einen Redebeitrag aus dem Publikum auf und mahnte gegen Ende einer Diskussion "auf wohlwollend sanfter Welle", die wirtschaftlichen Probleme der südlichen EU-Länder wie Griechenland und Italien nicht aus den Augen zu verlieren, deren Lösung eine "harte Nummer" werde. Eine Währungsunion könne nur funktionieren, wenn die Wirtschaftskraft der Nationen ins Kalkül gezogen werde, ergänzte der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes Herford, Uwe Kreidel. Womöglich müssten Verträge geändert werden, denn "irgendwann sind die Drogen der europäischen Zentralbank erschöpft" und es komme der Kater. Er vermutet, dass ein Schuldenschnitt für manche Länder kommen wird. Die Veranstaltung im Denkwerk stand unter dem Eindruck der unmittelbar bevorstehenden Vereidigung Donald Trumps zum US-Präsidenten. Er stellt das westliche Bündnis in Frage. "Es ist ein Tag, der viele Fragen aufwirft", sagte Eumann. Der US-Botschafter habe ihm aber versichert, dass viele Amerikaner dafür kämpfen würden, dass die transatlantischen Beziehungen stark bleiben: "Auch wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müssen auf allen Wegen sehen, dass diese Beziehungen stabilisiert werden." Eumann sieht auf Europa ein Jahr mit schwierigen Wahlen zukommen: "In den Niederlanden könnte es am 15. März zu einem Ergebnis mit einer komplizierten Regierungsbildung kommen. Bei den französischen Präsidentschaftswahlen wird es in Teilen zu einem unappetitlichen Wahlkampf kommen. Hier werden wie in den USA Bots eine Rolle spielen." Er sei dankbar, dass die heute im Bundestag vertretenen Parteien - anders als die AfD - dieses Instrument zur manipulativen Steuerung der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht einsetzen wollen. Eumann glaubt in den Ankündigungen eines harten Brexit durch die britische Regierungschefin viel Säbelrasseln zu erkennen. Er kann sich kaum vorstellen, dass in Calais und Dover wieder auf Dauer Zöllner kontrollieren. Auch mag er sich die Folgen einer Grenze EU/Großbritannien, die zwischen Nordirland und Irland verlaufen würde, nicht ausmalen. Er glaubt auch nicht, dass eine Reindustrialisierung Großbritanniens durch Lohn- und Steuerdumping möglich sei. Der Engländer Gordon Whitelaw, der mit seinem Unternehmen Allstein gerade in Herford baut, betonte, dass Großbritannien und Europa sich gegenseitig brauchen. Niehoff sieht ein Dilemma der EU im Umgang mit den Briten. Man will den Handel nicht unnötig schwer machen, aber auch nicht den Eindruck erwecken, ein Exit aus der EU habe keinen Preis.