Pflanzen im Mini-Format Deutschlands größte Bonsaischule steht in Enger

Enger. Mit einer speziellen Stutzschere schneidet Tobias Pieper vorsichtig ein paar Triebe aus der Krone des chinesischen Pfefferbaums. Eine imposante Pflanze - formschön gewachsen mit geschwungenem Stamm und ansprechender Verästelung. Zwei- bis dreimal im Jahr brauche der Baum einen Rückschnitt, sagt Pieper und setzt die Schere noch einmal an. Eine Leiter braucht er nicht dafür - obwohl er an der Krone arbeitet. Den Baum zu beschneiden, erfordert keine Arbeit in luftiger Höhe: Denn dieser spezielle chinesische Pfefferbaum ist gerade mal 30 Zentimeter hoch. An der Feldstraße in Enger betreibt der 43-Jährige gemeinsam mit seiner Frau Nicole und seiner Mutter Michaela Pieper eine besondere Art von Baumschule: eine Bonsaischule. Sie sei Deutschlands größte, sagt der Geschäftsführer. Tausende Bonsai hätten sie im Angebot, vor Ort und in ihrem Online-Shop. Die allermeisten selbst gezogen, manche ältere aber mitunter auch importiert. Was die Pflanzenvielfalt angehe, sei ihr Betrieb sogar europaweit einzigartig. "Wir bieten mehr als 200 verschiedene Pflanzenarten an." Darunter Kiefern, Eichen, Buchen und Ulmen. Aber auch exotischere Exemplare: Fächerahorne, Olivenbäume, Ficus oder Bougainvillea zum Beispiel - alle im Miniaturformat. Aus welchen Pflanzen man am besten einen Bonsai ziehen kann Ein Bonsai sei keine spezielle Pflanze, erklärt Pieper. "Es ist eine Kulturform." Aus jeder verholzenden Pflanze lasse sich ein solch kleiner Baum ziehen. Besonders gut gelinge das bei Pflanzen, "die möglichst kleine Blätter haben und sich gut verzweigen". Die Piepers und ihre 12 Mitarbeiter machen die Anzucht, topfen sie um, kümmern sich um erkrankte Bäume von Kunden oder überwintern diese. Sie haben aber gewissermaßen auch eine Bonsai-Pension: Sie nehmen die Pflanzen in Pflege, wenn ihre Besitzer im Urlaub sind. Ihre "wichtigste Arbeit" sei der Rückschnitt, sagt der Firmenchef. So erreiche man, dass die Pflanze klein bleibe. Und sie lasse sich dadurch auch "formen". "Denn durch den richtigen Schnitt beeinflusst man die Wuchsrichtung jedes Astes." Gleiches erreiche man, indem man die Pflanze mit Draht umwickele. "Das machen wir sehr vorsichtig, um sie nicht zu verletzen." "Die richtige Schale macht das Kunstwerk" An diesem Vormittag übernimmt diese Aufgabe Auszubildende Evelyn Schöck. Sie ist im ersten Lehrjahr. Vor ihr auf der großen Arbeitsfläche stehen eine ganze Reihe junger Fächerahorne, umwickelt mit silbrig-glänzendem Draht. Sehr behutsam dreht sie gerade einen weiteren Draht um einen Ast. Was sie an der Arbeit mit Bonsai fasziniere? "Die Ästethik des Baumes, ihn zu gestalten - das finde ich toll", sagt die 17-Jährige. Seit 1982 gibt es die Bonsaischule in Enger. Tobias Piepers Vater Hermann, der vor ein paar Jahren gestorben ist, hat sie damals gegründet. "Davor hatten wir hier so eine Art Gartencenter", sagt dessen Frau Michaela Pieper. Nebenbei hätten sie aber auch damals schon Bonsai gezüchtet. "Damals fing es gerade an, dass die in Deutschland populärer wurden", berichtet ihr Sohn Tobias, der bereits in vierter Generation Gärtner ist. "Mein Uropa hat hier schon Obstbäume kultiviert." 100 Jahre alte Kiefer in der Schale Das Besondere an Bonsai: "Wir möchten einen kleinen Baum haben, der aussieht wie ein großer." Eben genauso wie sein Pendant in der Natur, sagt der 43-Jährige und macht sich auf den Weg durch seinen Betrieb - vorbei an einem ganzen Schrank voller Bonsaischalen. "Erst die richtige Schale macht aus dem Baum das Kunstwerk", sagt Pieper. Wichtig sei vor allem, dass ihre Größe zur Baumhöhe passe. Ein großer Raum allein für Zimmerbonsai schließt sich an den Verkaufsraum an. In einem weiteren gibt es nur subtropische Bonsai. Das Wort kommt übrigens aus dem Japanischen und bedeutet "Pflanze in der Schale". Weitere Exemplare stehen in den Gewächshäusern auf dem weitläufigen Außengelände. In eines wirft Tobias Pieper gerade einen Blick hinein. Zahlreiche Jungpflanzen stehen dort aufgereiht in kleinen Schalen auf dem Boden. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, trägt kaum eine davon Laub. Die Äste sind kahl - wie bei den großen Artvertretern. Wobei - ein paar Ausnahmen gibt es: Einige Pflanzen stechen leuchtend-gelb aus der Menge heraus. Der Winterjasmin blüht bereits. Ein echter Hingucker im trüben Januar-Grau. 100 Jahre alte Mädchenkiefer aus Japan Nicht nur Jungpflanzen, auch Bäume, die 30 Jahre oder älter sind, gehören zum Repertoire der Bonsaischule. Gerade bleibt Pieper vor einem besonders imposanten Exemplar stehen: eine etwa 100 Jahre alte Mädchenkiefer aus Japan - zierlich klein. Zum Verkauf steht die allerdings nicht. Das sei ihr "Familien-Baum", sagt der 43-Jährige lachend. Bei der großen Anzahl an Bonsai gibt es ein paar, die dem Firmenchef besonders am Herzen liegen: "Das sind vor allem die Bäume, die mein Vater von Anfang an in der Kultur hatte. Wenn man sieht, wie die reifen, ist das toll." Bis ein Bonsai einen solchen "Ausdruck von Reife" habe, dauere es etwa 20 Jahre. "Dann ist der Hauptstamm aufgebaut und es gibt eine Feinverzweigung", erklärt er und seine Mutter fügt hinzu: "Der Baum hat dann Ausstrahlung und Charakter." Ihr hat es besonders ein ganzer Bonsaiwald angetan: Den hat die heute 61-Jährige vor 35, 40 Jahren selbst aus sieben japanischen Ulmen angelegt. "Wenn man das selber als junge Frau kreiert hat, hängt man daran", sagt sie und schaut auf den Wald im Miniformat - gepflanzt in einer Schale. Irgendwann wolle sie das Wäldchen mal an ihre Enkel vererben. "Wie es auch in Japan üblich ist." Was ein Bonsai kostet Die meisten Bonsai, die die Piepers im Angebot haben, züchten sie selbst. Ältere Pflanzen importieren sie aber auch mitunter. "Dann reisen wir eigens in die entsprechenden Länder - nach Japan oder Indonesien zum Beispiel - und suchen den Baum vor Ort aus", sagt der Firmenchef. Die Pflanzen würden anschließend per Container nach Deutschland verschifft. Während zwei Jahre alte Jungpflanzen in der Bonsaischule für fünf Euro zu haben sind, sind ältere teurer: "Es gibt schon 20-jährige Zimmerbonsai um die 200 bis 300 Euro. Allerdings kosten ältere Bonsai auch schon einmal an die 1.000 Euro und mehr", berichtet Michaela Pieper. Trend bei jungen Leuten Bonsai "boome", gerade auch in den sozialen Medien, sagt ihr Sohn. Vielleicht, weil das Thema ein "Gegenpol zur unbelebten digitalen Welt" sei. Man müsse sich mit der Pflanze auseinandersetzen und versuchen, den Baum zu gestalten. "Man muss also nicht nur Gärtner, sondern auch Künstler sein." Und es brauche zudem handwerkliches Geschick, wenn man den Baum drahte und in Form bringe. Bonsai sei eine Wissenschaft für sich. "Das ist ein gigantischer Kosmos". Dass Bonsai bei der jüngeren Generation im Trend liegen, zeigen auch die regelmäßigen Kurse, die die Piepers anbieten. "In unserem Anfängerseminar zum Beispiel waren alles junge Leute", sagt der 43-Jährige. Besonders beliebt seien die Seminare bei Männern. Tobias Pieper teilt diese Faszination, nach wie vor: Jeder Baum sei ein Unikat, sagt er. "Man begleitet ihn über Jahre, dadurch kann man ihn ganz intensiv erleben."

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