Ukraine-Krise Flüchtlingshelferin: "Wenn ich mein Büro zuschließe, dann habe ich auch mental abgeschlossen"

Bünde. Mehr als 800 Menschen aus der Ukraine sind seit Kriegsbeginn nach Bünde gekommen. Marija Miliuschaite kennt viele von ihnen. Im April hilft die 49-Jährige erst noch ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe, mittlerweile ist die gebürtige Litauerin als sogenannte Sprachmittlerin bei der Stadt Bünde angestellt. Gefragt ist sie nicht nur, weil sie mehrere Sprachen spricht, sondern weil sie die Flüchtlinge auch auf eine ganz spezielle Art versteht. &bdquo;Ich komme selbst aus einem armen Land. Uns geht es hier so gut, da wollte ich einfach dabei mithelfen, dass es anderen Menschen auch gut geht“, sagt die Bünderin. Vor mehr als 20 Jahren verlässt Miliuschaite ebenfalls ihre Heimat. Von Litauen zieht sie nach Deutschland – der Liebe wegen. Neben Litauisch, Polnisch und Russisch spricht sie auch noch die ukrainische Sprache, doch Deutsch kann sie damals nicht. Eine schwierige Zeit für die junge Frau. Schließlich ist Sprache ein wichtiger Schlüssel zur Integration. &bdquo;Obwohl ich ein mutiger und offener Mensch bin, habe ich damals erst nicht viel gesprochen“, sagt sie. &bdquo;Himmlisch“, so lautet das erste Wort, das sie damals gelernt hat. Denn die deutsche Sprache bringt sie sich mit Hilfe des Fernsehens bei. Im konkreten Fall ist es die Serie &bdquo;Eine himmlische Familie“, die sie damals häufig guckt. &bdquo;Die Wörter, die ich nicht kannte, habe ich mir gemerkt und dann nachgeschlagen“, erinnert sich Miliuschaite zurück. Sie wird mutiger. Als sie ihr drittes Kind bekommt, sagen ihr die Hebammen, wie gut sie mittlerweile Deutsch spricht. Heute ist es die fünfte Sprache, die die fünffache Mutter fließend beherrscht. Wichtige Verbindung zu den Geflüchteten Wie es funktioniert, in einer fremden Stadt anzukommen, das will sie im Frühjahr auch den geflüchteten Menschen aus der Ukraine vermitteln. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse schließt sie schnell Kontakt, weiß um die Nöte und Sorgen der Ukrainer Bescheid. &bdquo;Die Menschen kommen nach Bünde und wissen erst einmal nicht wohin. Sie sind sehr erschrocken von der ganzen Situation“, erzählt die 49-Jährige, die die ehrenamtliche Arbeit neben ihrem Hauptjob in einem Pflegedienst leistet. Das Engagement bleibt auch dem Integrationsbeauftragten der Stadt Bünde, Mohamed Khalil, nicht verborgen. &bdquo;Ich habe Marija über das Telefon kennengelernt. In den ersten Monaten haben wir viel gesprochen. Dann habe ich gesagt, dass ich sie unbedingt einmal persönlich treffen muss“, sagt der Sozialarbeiter. Marija Miliuschaite sei für ihn und seine Kollegen häufig ein wichtiges Verbindungsstück zu den Flüchtlingen gewesen. Man kann auch sagen: ein Glücksgriff für die Integrationsarbeit. Mittlerweile hat die gebürtige Litauerin ihren Hauptjob gekündigt – und arbeitet seit August in Vollzeit für die Stadt Bünde. Ihr Büro hat Miliuschaite im Welcome Center in der Behringstraße, wo unter anderem auch Sprachkurse für Migranten angeboten werden. Viel ist die 49-Jährige aber auch in der Stadt unterwegs, um die Probleme der Geflüchteten zu lösen. Dass die Menschen sich an jemanden wenden können, der ihre Sprache spricht, kommt gut an. &bdquo;Die Menschen sind sehr dankbar. Das ist auch eine Art Belohnung für mich, die man mit Geld nicht bezahlen kann“, sagt sie. Fernseher hilft beim Sprache lernen Für Marija Miliuschaite ist es wichtig, dass die derzeit in Bünde lebenden Ukrainer schnell die deutsche Sprache lernen. So, wie sie es vor mehr als 20 Jahren auch getan hat. &bdquo;Ich sage den Menschen daher auch, dass sie keine Sender aus der Heimat, sondern deutsches Fernsehen gucken sollen“, erzählt sie. Bei vielen Ukrainer spürt sie, dass die Bereitschaft dazu vorhanden ist. &bdquo;Sie lernen schon fleißig Deutsch, denn ihnen ist bewusst, dass sie möglicherweise nicht mehr in ihre Heimat zurückkönnen.“ Das höre sie oft, wenn sie mit den Menschen spricht. Um die Sprachkenntnisse und den Austausch zu verbessern, soll es im &bdquo;Welcome Center“ an der Behringstraße künftig eine Art Café geben. &bdquo;Es soll ein lockeres Umfeld, eine lockere Umgebung sein“, sagt Mohamed Khalil. Gemeinsam können sich die Menschen aber auch über ihre Sorgen und Probleme unterhalten. Wichtig: &bdquo;Es soll möglichst Deutsch gesprochen werden“, sagt Marija Miliuschaite, die die Idee zum Treffpunkt hat. "Ich fühle mich angekommen" In ihrem neuen Job hört die gebürtige Litauerin auch viel Leid: Von Menschen, die ihr Haus oder ihre Wohnung mit nur einer Tasche unter dem Arm in kurzer Zeit verlassen mussten. Wie verarbeitet man das? &bdquo;Ich lebe mein Leben, aber ich vergesse nicht die Nächsten um mich. Wenn ich aber mein Büro zuschließe, dann habe ich auch mental abgeschlossen. Ich schleppe nichts mit nach Hause“, sagt Miliuschaite. Und wenn doch, dann hilft ihr der Sport, um abzuschalten. Die 49-Jährige macht Yoga oder geht meist morgens ins Schwimmbad. Im Sommer ist sich auch schon mal mit dem Kanu unterwegs. Und dann sind da ja auch noch ihre fünf Töchter. &bdquo;Sie sind sehr stolz auf mich“, sagt sie. In Litauen, wo sie geboren und aufgewachsen ist, war Marija Miliuschaite übrigens seit vielen Jahren nicht mehr. Deutschland ist für sie und ihre Kinder zur Heimat geworden. &bdquo;Hier fühle ich mich angekommen – und auch zu Hause. Und zu Hause ist man dort, wo man wohnt und sich wohlfühlt. Das muss man begreifen“, sagt sie.

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