Bünde Eine abgeschottete Parallelgesellschaft? Wie man Corona-Leugner überzeugt

Bünde. Schon bevor Corona-Leugner montags durch die Bünder Innenstadt zogen, haben NW-Recherchen gezeigt wie aktiv die Szene in der Stadt ist. In Gruppen des Nachrichtendienstes Telegram wird nicht nur die Pandemie geleugnet, sondern in einigen Fällen auch der Holocaust. Es ist eine abgeschottete Parallelgesellschaft, in der täglich Falschinformationen geteilt werden, in der Mordfantasien und Rechtsextremismus akzeptiert werden. Doch was tun, wenn Familienmitglieder, Freunde oder Arbeitskollegen in diese Szene abrutschen? Gibt es da überhaupt Hoffnung? &bdquo;Man sollte auf keinen Fall belehrend oder von oben herab versuchen, den anderen mit Argumenten zu überzeugen“, sagt Sabine Riede, Geschäftsführerin der Informations- und Beratungsstelle des Sekten-Info NRW in Essen. Die Sekteninfo ist eine der wenigen Beratungsstellen mit Angeboten für Angehörige von Coronaleugnern und Mitgliedern aus der Szene selbst. Sie ist für den gesamten Bereich NRW zuständig. Dass sich die Beratungsstelle ihr Gesprächsangebot von Sektenmitgliedern auch auf Verschwörungsgläubige ausgeweitet hat, habe sich durch den verstärkten Andrang seit Beginn der Pandemie ergeben. Im vergangenen Jahr befasste sich die Sekten-Info in mehr als 300 Beratungsfällen mit Menschen, deren Leben auf einmal von Verschwörungstheorien bestimmt wird. Die Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.&bdquo;Es zeigt sich in den Beratungen immer wieder, dass es bei Corona-Leugnern Parallelen zu sehr strengen Glaubensgemeinschaften gibt“, sagt Riede. &bdquo;Man fühlt sich als Teil einer kleinen Elite, die den Durchblick hat.“ Auch sei die Szene von einem starken Schwarz-Weiß-Bild geprägt. Auf der einen Seite die &bdquo;Guten“ und auf der anderen die &bdquo;Bösen“, die sich impfen lassen. Das heißt im Klartext: Argumente überzeugen nicht wirklich. &bdquo;Auf Kritik kommt nur eine Flut von Gegenargumenten“, sagt Riede. Erfolgversprechender sei es, über die emotionale Ebene auf die Menschen zuzugehen. &bdquo;Man sollte eher sagen: Du bist da anderer Meinung als ich. Aber dass wir uns da jetzt streiten, belastet mich.“ Wichtig sei es, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. &bdquo;Dafür ist es eigentlich nie zu spät“ &bdquo;Eine Anekdote kann auch mehr helfen als Argumente“, sagt Riede. So könnten die Angehörigen auch selbst von Fällen erzählen, bei denen sie einmal auf Falschinformationen hereingefallen sind. &bdquo;Auch ein Rollentausch wie bei einer Paarberatung kann hilfreich sein. Man kann fragen: Nur mal angenommen, ich hätte Recht, was würde das bedeuten?“, so Riede. Diese Strategien könnten auch bei Angehörigen, Freunden, aber auch am Arbeitsplatz eingesetzt werden. Was Angehörige allerdings beachten sollten: Sie müssen selbst aufpassen, wie viel sie sich selbst mit dem Versuch aufbürden, einen geliebten Menschen aus der Parallelwelt der Corona-Leugner herauszuholen. &bdquo;Dafür ist es eigentlich nie zu spät. Aber ich sollte mich trotzdem fragen, wie viele Kapazitäten habe ich selbst dafür?“, erklärt Sabine Riede. Denn in der Familie lassen sich derartige Gespräche häufig nicht umgehen, zum Beispiel, wenn es um die Frage der Impfung des gemeinsamen Kindes geht. Bei Freunden, Bekannten und Kollegen ist es dagegen auch möglich auf Abstand zu gehen, wenn die Auseinandersetzungen für einen selbst zu viel werden. &bdquo;Schwierig wird es, wenn die Menschen schon Gewaltfantasien und antisemitische Inhalte teilen“, sagt Riede. Am Arbeitsplatz könnten Arbeitnehmer auch den Betriebsrat um Hilfe bitten, wenn ein Kollege nicht damit aufhören würde zu versuchen, die anderen von der &bdquo;Corona-Diktatur“ oder ähnlichem zu überzeugen. Wer die Hilfe der Sekten-Info in Anspruch nehmen möchte – egal ob als Angehöriger oder Betroffener -, kann sich dort von Montag bis Freitag (außer Mittwoch) von 9.30 bis 12 Uhr und von 13 bis 15.30 Uhr telefonisch melden. Die Telefonnummer der Beratungsstelle lautet (02 01) / 23 46 46. Alternativ kann über die E-Mail kontakt@sekten-info-nrw.de auch ein Termin ausgemacht werden. Beratung ist vor Ort, per Telefon oder Videochat möglich. Mittlerweile bietet die Stelle in Essen auch eine Selbsthilfegruppe für ehemalige Verschwörungsgläubige aus der Coronaleugner-Szene an. Ein Angebot des Kreises Für Familienkonflikte mit Corona-Leugnern gibt es auch ein näheres Angebot. Die Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder im Kreis Herford hilft laut Kreissprecher Patrick Albrecht auch in derartigen Fällen. &bdquo;Wir haben gegenwärtig auch solche Familien in der Beratung, bei denen Konflikte aufgrund sehr unterschiedlicher Ansichten zum Thema Corona existieren“, sagt Albrecht. Auch mit diesem Themenkomplex haben sich die Mitarbeiter in der Vergangenheit auseinandergesetzt. Kindern und Jugendlichen, die in Familienkonflikte um das Thema Corona geraten, rät er, den Kontakt zu Vertrauenspersonen zu suchen. Das könnten Schulsozialarbeiter, Mitarbeiter der offenen Jugendarbeit, Beratungsstellenmitarbeiter (auch von Vereinen) und Fachleute aus den Sozialen Diensten sein.

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