Schweres Schicksal Albtraum aller Eltern: Frau aus Kreis Gütersloh verliert drei Babys im Mutterleib

Versmold/Sassenberg. Auf dem Klingelschild steht "Familie Jagusch". Ein klassisches Einfamilienhaus im verkehrsberuhigten Bereich einer Füchtorfer Wohnsiedlung. Im Regal im Wohnzimmer ein Baby-Foto. Im Obergeschoss, so erzählt Tanja Jagusch, gibt es eine Gedenk-Ecke. Für Gabriel Elias. Eigentlich hätte dort sein Kinderzimmer sein sollen. Doch der Junge hat nie in seinem Bettchen gelegen, ist in sein Zuhause, das ihm seine Eltern liebevoll einrichten wollten, nie eingezogen. Gabriel Elias hat dennoch einen festen Platz in seiner Familie. Im Herzen, in Gedanken, in jedem Moment. Genauso wie seine beiden Geschwister. "Wir sahen das Kind schon im Kinderwagen liegen", erzählt seine Mama Tanja Jagusch. Sie sitzt mit dieser Zeitung am Esszimmertisch im Wohnzimmer. Sie und ihr Mann hatten erste Babykleidung gekauft, das Kinderzimmer bestellt - sich wie so viele werdende Eltern einfach dankbar auf den Nachwuchs gefreut. Vielleicht sogar ein bisschen mehr als andere Mütter und Väter es tun. Denn für die gebürtige Versmolderin und ihren Ehemann war es keineswegs selbstverständlich, schwanger zu werden. Nur mit Hilfe künstlicher Befruchtung konnte das gelingen. "Wir sind damit offen umgegangen", sagt Tanja Jagusch. Warum auch nicht? Es wirkt so selbstverständlich, wenn die 43-Jährige von dem großen Kinderwunsch erzählt, vom schwierigen Weg dorthin und jenen Momenten, die ihr den Boden unter den Füße wegzogen. Inzwischen ist Zeit vergangen und Tanja Jagusch möchte mit ihrer Lebensgeschichte anderen Eltern Mut machen, sie ein Stück bei der Verarbeitung des Erlebten begleiten und mit einem Tabu-Thema brechen: einem toten Kind. Anlaufstelle für früh verwaiste Eltern In der Hebammen-Praxis am Wilhelmsplatz in Warendorf startet die Füchtorferin Mitte April mit dem Angebot &bdquo;Wegbegleitung früh verwaister Eltern". Der Kurs richtet sich an Eltern, die ihr Kind während der Schwangerschaft, unter der Geburt oder im ersten Lebensjahr zu den Sternen ziehen lassen mussten. Tanja Jaguschs Botschaft: Ihr seid nicht allein! Die 43-Jährige weiß, welch große Lücke eine Fehl- oder Totgeburt im Leben der Eltern hinterlässt. Der gebürtigen Versmolderin geht es wie vielen anderen jungen Frauen: Sie lernt irgendwann ihren Partner kennen, kauft mit ihm zusammen ein Haus, heiratet und wünscht sich Nachwuchs. Auf dem natürlichen Weg klappt es bei dem Ehepaar nicht. Umso größer ist die Freude, als Tanja Jagusch schwanger wird - mit Zwillingen. In der 13. Schwangerschaftswoche, als sie gerade glaubt, die kritische Phase geschafft zu haben, verliert sie die beiden Kinder. Das war 2013. 2017 dann freut sich das Ehepaar ein zweites Mal über eine Schwangerschaft. Die ist geprägt von Sorgen sowie körperlichen Beschwerden. Tanja Jagusch muss wegen Blutungen immer wieder längere Zeit liegen und ins Krankenhaus; ihrem Sohn im Bauch aber geht es gut. Bis zu jenem Tag in der 27. Schwangerschaftswoche, als die werdende Mutter spürt, dass irgendetwas anders ist. "Er war sonst immer sehr aktiv, da hat er sich weniger bewegt", erinnert sich die Füchtorferin. Plötzlich hat das Baby keine Herztöne mehr Tanja Jagusch sucht noch abends ihre Gynäkologin auf. Das CTG ist völlig in Ordnung und auch sonst gibt es keine Auffälligkeiten bei der Untersuchung. "Ich bin beruhigt nach Hause gefahren." Am nächsten Vormittag geht Tanja Jagusch noch einmal zur Kontrolle in die Praxis. Nur zur Sicherheit. Was dann folgt, ist der totale Albtraum. Die Frauenärztin kann keine Herztöne des Babys feststellen. Der kleine Junge im Mutterleib lebt nicht mehr. Tanja Jagusch fährt mit ihrem Mann zusammen ins Krankenhaus nach Osnabrück. Zur Entbindung ihres Baby, von dem sie weiß, dass es tot zur Welt kommen wird. Es ist der Nikolaustag, als die Geburt eingeleitet wird. Tanja Jagusch durchlebt die Strapazen der Wehen. Einen Tag später, am 7. Dezember 2017, kommt Gabriel Elias zur Welt. 840 Gramm zart. Er wird gewogen, gewaschen, angezogen - wie jedes Baby nach der Geburt. Nur der erste Schrei bleibt aus. Später ergibt die Obduktion, dass das Kind kerngesund gewesen war. Die Vermutung: Wegen der Blutgerinnungsstörung seiner Mutter konnte es nicht mehr ausreichend über die Plazenta mit Sauerstoff versorgt werden. Tanja Jagusch stellt sich viele Fragen, macht sich Vorwürfe. Hätte, wenn und aber ... "Aber das bringt ja alles nichts", sagt sie dann. Trauerbegleitung für Eltern von Sternenkindern Um das Erlebte zu verarbeiten, sucht sich Tanja Jagusch Hilfe. "Das mit den Zwillingen haben wir alleine geschafft", sagt sie. Bei Gabriel Elias merkt die junge Mutter schnell, dass sie diesmal auf die Unterstützung anderer angewiesen ist. "Eigentlich bin ich eine recht selbstständige Frau, aber da konnte ich gar nichts mehr", beschreibt die gelernte Industriekauffrau. Sie belegt in Münster einen Rückbildungskurs für Mütter, die das gleiche Schicksal teilen, nimmt Kontakt zu einer Trauerbegleiterin auf. "Das hat mir gut getan." Schon früh reift in ihr die Idee, dass sie selbst einmal anderen helfen möchte. 2022 wird sie tätig und macht eine Fortbildung "Qualifizierung zum Leiten von Trauergruppen früh verwaister Eltern". Ihre Erfahrungen vom Umgang mit dem Verlust möchte die 43-Jährige weitergeben. "Ich habe so viel Negatives erfahren", sagt Tanja Jagusch. Die Reaktionen der Umwelt hätten ihr oft wehgetan, auch wenn manches bestimmt nicht absichtlich geschehen sei. Menschen, die ihr aus dem Weg gehen. Oder sie so tun, als sei nichts geschehen. Ihr Ratschlag: "Wenn man nicht weiß, was man sagen soll, dann kann man jemanden einfach in den Arm nehmen." Andere wiederum hätten ihr das Gefühl vermittelt, als sei sie doch keine "echte" Mutter. "Wenn das Kind nicht gesehen wird, ist es für die anderen nicht da." Jeden Tag am Grab des Kindes Doch für Tanja Jagusch ist Gabriel Elias präsent. Sternenkinder - "einen Moment nur in unserem Leben, aber für immer in unserem Herzen" schreibt sie über ihr Gruppenangebot. Jeden Tag besucht Tanja Jagusch vor der Arbeit das Grab ihres Kindes auf dem Friedhof. Nicht jeder habe dafür Verständnis. "Doch da bin ich ihm nah", sagt die gebürtige Versmolderin. Abends zünden sie und ihr Mann zu Hause eine Kerze für ihren Sohn an. Oft trieben sie Gedanken um, wie wäre es jetzt . . . In der ersten Zeit nach der Totgeburt habe sie das Bild von Schwangeren nicht ertragen können, sei ihnen aus dem Weg gegangen. Inzwischen kann Tanja Jagusch damit umgehen und sich für andere über deren Elternglück freuen. Sie selbst ist stolz, Mutter zu sein. Mama von drei Sternenkindern. Kontakt: tanjajagusch.sternenkinder@gmail.com oder unter Tel. 0170/1540756

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