Rheda-Wiedenbrück Trauer um den wohl letzten Auschwitz-Überlebenden aus dem Kreis Gütersloh

Rheda-Wiedenbrück. &bdquo;Ich würde gern mit jungen Leuten nach Auschwitz fahren. Dann könnte niemand mehr sagen, dass es den Holocaust nicht gegeben hat.“ Das äußerte Hugo Heinemann im Jahr 2005 im Interview mit der NW. Bis dahin hatte er geschwiegen, wollte nicht öffentlich über das Martyrium sprechen, das er in dem Konzentrationslager erlitten hatte. Denn noch Jahrzehnte nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur hatte er Angst, an erster Stelle um seine Familie. Am 30. Januar ist Hugo Heinemann im Alter von 97 Jahren gestorben. Er war wohl einer der letzten Zeitzeugen im Kreis Gütersloh. Sein Schweigen zu brechen, kostete ihn vor 17 Jahren viel Überwindung. Er berichtete Schülern der Israel-AG des Einstein-Gymnasiums von seinem Schicksal. Geboren wurde Hugo Heinemann 1924 in Dortmund als Sohn von Emma Stern. Die gebürtige Rhedaerin war jüdischen, sein Vater war katholischen Glaubens. Hugo Heinemann wurde getauft, galt nach den Rassegesetzen der Nationalsozialisten als &bdquo;Mischling ersten Grades“. 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert. Da war seine nach Riga deportierte Mutter wohl schon ermordet worden, da war sein Bruder auf der Flucht in Mauthausen bereits erschossen worden. Lesen Sie hier das bewegende Interview mit Hugo Heinemann im Jahr 2005: "Es war mir peinlich zu sagen, ich komme aus dem KZ" "Ab da waren wir nur noch Nummern" Heinemann kam 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz III. So hieß das Arbeitslager Monowitz. Er musste sich ausziehen, wurde rasiert, mit Petroleum gegen Läuse eingerieben und zu seinem Block gebracht. Den teilte er für die nächsten 23 Monate mit 300 anderen Zwangsarbeitern. Dort wurde Heinemann auch tätowiert. &bdquo;Ab da waren wir nur noch Nummern ?- ich die 104.946.“ Diese Tätowierung auf seinem linken Unterarm zeichnete Hugo Heinemann für sein weiteres Leben. Selbst wenn es sehr heiß war, trug er bei der Arbeit in einem international tägigen Unternehmen Hemden mit langem Arm. Er fürchtete Fragen, wollte Stänkereien vermeiden, seine Familie schützen. Hören musste er zuvor Sprüche wie "Ihr wart sicher nicht ganz unschuldig eingesperrt" - und das nicht nur einmal und das nach all den Gräueltaten, die er erlitten hatte. Lesen Sie auch: Reichpogromnacht - ein Verler Nachbar bewies damals großen Mut "Versucht, aus einem Opfer einen Verbrecher zu machen" Der damals 18-Jährige erlebte pure Willkür in dem KZ, wurde misshandelt und musste Hinrichtungen beiwohnen, litt Hunger und Kälte und wurde krank. Doch er wollte nur eins: Überleben. Hugo Heinemann hielt durch und gab die Hoffnung nicht auf. Kurz bevor am 27. Januar die 1945 die rote Armee das KZ Auschwitz befreite, hatte die SS das Lager Monowitz geräumt. Die Gefangenen sollten in andere Lager verlegt werden. Sie marschierten bei Nacht, wurden in Waggons verladen und mussten wieder laufen. Auch diesen später von Historikern genannten Todesmarsch überlebte Hugo Heinemann. In der Oberpfalz wurden die noch 70 lebenden von anfangs 200 Gefangenen seiner Gruppe von amerikanischen Soldaten befreit. Nachdem er erst drei Tage durchgeschlafen habe, spürte der junge Mann Heimweh. Er machte sich auf den Weg nach Rheda, wo er am 1. Juni 1945 bei seiner Tante ankam. Jahre später sagte Hugo Heinemann, Glück gehabt zu haben, dass er nach Auschwitz III gekommen war, dass er dort Freunde gefunden hatte, dass er überlebte. Er fragte sich aber auch, ob es Gerechtigkeit gebe. Denn in einem Prozess Mitte der 1950er Jahre sagte er gegen einen Hauptscharführer aus. Jede seiner Aussagen wurde von dessen Verteidiger angezweifelt. "Der hat versucht, aus einem Verbrecher ein Opfer zu machen", meinte Hugo Heinemann später. Da hatte er längst beschlossen, nie wieder vors Gericht zu gehen. Dauerhaft gegen nationalsozialistisches Gedankengut zu immunisieren Doch in Schulen ging er ab 2005, folgte Einladungen aus dem ganzen Kreis, nachdem die erste Erfahrung mit Einstein-Gymnasiasten positiv für ihn war. Hugo Heinemann mochte junge Menschen, ermunterte sie Fragen zu stellen, und zwar alle. Sein Ziel war es, seine Zuhörer dauerhaft gegen nationalsozialistisches Gedankengut zu immunisieren. Im Juli 2006 reiste er mit 22 überwiegend Jugendlichen aus dem Kreisgebiet zur Gedenkstätte in Auschwitz. Zwei Wochen zuvor habe er kaum schlafen können, gestand er. Immer wieder seien grausame Szenen der menschenverachtenden Zeit im KZ vor seinem geistigen Auge erschienen. Die zeichnete er für die Reisegruppe nach. In der Gedenkstätte trug Hugo Heinemann Hemden mit kurzem Arm. Er hatte Vertrauen zu den Menschen, die mit ihm dort waren, wusste, dass es ihnen ein ehrliches Anliegen war, etwas über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu erfahren. "Er war ein wertvoller Zeitgenosse" Er selbst habe nach der Tortur keinen Hass empfunden, sagte er. "Für mich war das 1945 abgeschlossen, ich war frei." Hugo Heinemann gründete eine Familie, hat zwei Töchter. Er war viele Jahrzehnte Mitglied des SPD-Ortsvereins Rheda-Wiedenbrück und setzte sich als Betriebsratsvorsitzender für Arbeitnehmerrechte ein. Konflikte habe er nicht gescheut, sagt seine Genossin Elisabeth Frenser. Sie ist beeindruckt, wie Hugo Heinemann es nach all dem Erlittenen "hingekriegt hat, sich dem Leben zuzuwenden". In dem hat er sich stets sozial engagiert. Das zeigte sich auch, als er 2013 den erstmals für bürgerschaftliches Engagement und Zivilcourage von der SPD ausgelobten Dr.-Lüning-Preis erhielt. Das Preisgeld von 500 Euro gab der Geehrte direkt an Vertreterinnen des Jugendhauses St. Aegidius für das damalige Angebot "Essen für Dich“ weiter. Er habe gehört, dass dafür jeder Cent gebraucht werde. Froh ist Jürgen Nellen, Hugo Heimemann kennen gelernt zu haben, damals im Rechenzentrum der Verlagsgemeinschaft Rheda. Er nennt ihn einen ewigen Sozialdemokraten, der viele Zuhörer mit seinem enormen Gedächtnis und der Detailtreue seiner Berichte beeindruckt habe. "Er war ein wertvoller Zeitgenosse, ich bleibe ihm verbunden." Und das gilt nicht nur für Nellen. Jeder, der Hugo Heinemann begegnet ist, den hat er tief beeindruckt. Auch wenn er nun für immer verstummt ist, wird sein Vermächtnis den Menschen bleiben - und sie werden es in seinem Sinne weitertragen. Damit keiner sagen kann, dass es den Holocaust nicht gegeben hat.

Mehr zum Thema