Kreis Gütersloh Nicht mehr anonym: Würdige Bestattung für arme Menschen im Kreis Gütersloh

Halle. Für viele ist das Thema weit entfernt. Auch für Rainer Bergmann war es so. Bis zu dem Tag, als er von der Beerdigung Ralf Wellmanns las. Davon, dass er in Hesselteich begraben wurde. Mit einem Sozialbegräbnis. Ohne dass ein Grabstein oder eine Erinnerungstafel den Ort markiert. &bdquo;Dabei hat jeder Mensch seine Geschichte", sagt Rainer Bergmann. Lächelnd wiegt er einen Packen kleiner Schmierzettel, die von einem einfachen Gummiband zusammengehalten werden, in seiner Hand. Er hat den Stapel aus einem Schuhkarton genommen, in dem sich noch zahlreiche andere zusammengebundene Zettelstapel befinden. Die Sammlung stammt aus dem Nachlass des kürzlich verstorbenen, ehemaligen KGH-Lehrers Gerhard Rüter. Akribisch hat er darauf die Namen derer notiert, die an der 1964 gegründeten Hockeygruppe teilgenommen haben. Woche für Woche. Datum für Datum. Name für Name. Jeder Mensch hat seine Geschichte &bdquo;Hier habe ich Ralf Wellmann kennengelernt", sagt Rainer Bergmann und fügt hinzu: &bdquo;Er ist jahrelang sehr zuverlässig zum Hockeyspielen gekommen. Dann blättert er die Zettelstapel durch. &bdquo;Hier und hier und hier", sagt er wie zum Beweis, wenn er auf den Namen Wellmann stößt. Irgendwann ist der Kontakt dann abgebrochen. Wellmann, der erst aufopferungsvoll seine dementen Eltern pflegte, dessen Ehe scheiterte und der seinen Sohn bei einem Autounfall verlor, kam nicht mehr zum Hockeyspielen. Die Schicksalsschläge und Alkohol warfen ihn aus der Bahn. &bdquo;Späterhabe ich ihn oft an der Bank beim Getränkemarkt Schulte getroffen", sagt Rainer Bergmann. Dann wird er nachdenklich. &bdquo;Irgendwie mochte ich diesen Typen trotz oder wegen seiner ganzen Krisen. Man konnte immer mit ihm reden." Als er dann von der Sozialbeerdigung gehört hatte, wollte er, dass auch andere sich an Ralf Wellmann erinnern. &bdquo;Das gehört doch dazu, wenn jemand beerdigt worden ist. Zumindest der Name und die Lebensdaten sollten da stehen", sagt Rainer Bergmann. Jeder hat seine Geschichte. Doch so denken nicht alle. Bergmann trug sein Anliegen den Verantwortlichen des Friedhofs Hesselteich vor, wo die Haller Sozialbegräbnisse stattfinden, weil dort die Kosten mit 300 Euro am niedrigsten sind. Er schlug vor, einen Erinnerungsstein mit den Namen der dort begrabenen zu errichten. Es wurde vom Vorstand des Friedhofsvereins einstimmig abgelehnt. &bdquo;Die Stele kostet 3.000 Euro" Damit wollte sich Rainer Bergmann jedoch nicht zufrieden geben. Er telefonierte, sprach bei Bürgermeister Thomas Tappe vor, holte Presbyter Reinhard Nolte ins Boot. Und hatte bald die Zusage von Steinmetz Horst Mennecke, einen alten Stein aus dem Besitz der Kirchengemeinde günstig aufzuarbeiten. Schließlich setzte sich Bergmann mit Gemeindereferent Sebastian Plath in Verbindung, der den Haller Mittagstisch organisiert. Bergmann hatte schließlich Erfolg. Die Kirchengemeinde stimmte zu, eine Stele auf dem Haller Friedhof aufzustellen – versehen mit den Daten der Namen von kürzlich verstorbenen und in Hesselteich beigesetzten mittellosen Menschen des Haller Mittagstisches. Und mehr noch: Sie entschied, dort künftig Sozialbegräbnisse durchzuführen und die dafür vorgesehenen 300 Euro von der Stadt zu akzeptieren. &bdquo;Die Stele kostet 3.000 Euro, ein Drittel steuert die Kirchengemeinde bei, 2.000 Euro organisiere ich, indem ich Sponsoren suche", sagt Rainer Bergmann. Das gilt auch für die kleinen Namenstafeln, deren Beschriftung jeweils etwa 450 Euro kostet. Seit zwei Wochen steht der Gedenkstein auf dem Haller Friedhof: darauf acht Tafeln mit Namen, Geburts- und Todesdaten. Nicht viel mehr ist geblieben von ihren Leben. Zumindest die Namen werden präsent sein Da ist Ralf Wellmann der einstige Hockeyspieler und Läufer. Da ist Jürgen &bdquo;Jogi" Stodieck, der einst das Handballtor des TV Künsebeck hütete und der jahrelang als trommelnder Fan die Handballfrauen der HSG Union 92 Halle unterstützte. Nur zwei Beispiele. Dafür, dass alle Menschen ihre Geschichte haben. Geschichten, die es wert sind, an sie erinnert zu werden. Zumindest ihre Namen werden weiterhin präsent sein und sorgen dafür, dass sie nicht einem namenlosen Vergessen preisgegeben werden. Denn der ein oder die andere werden an dieser Stele vorbeigehen, zufällig oder gezielt die Namen lesen und dann sagen: &bdquo;Weißt Du noch wie der Jogi beim Turnier in Künsebeck sogar den Deutschen A-Jugend-Meister Dankersen mit seinen Paraden zur Verzweiflung gebracht hat. Ach ja, der Jogi ..." Kommentar: Es braucht engagierte Menschen Die einen sind per Verordnung zur kostengünstigen Gefahrenabwehr verpflichtet. Die anderen sehen den Menschen, sein Leben, sein Recht auf eine würdige Erinnerung. Die Schnittmenge ist hier denkbar klein. Da braucht es Menschen wie Rainer Bergmann. Menschen, die sich von bürokratischen Hürden nicht abschrecken lassen, die unbequem sind und andere von ihren Ideen zu begeistern wissen. Menschen wie Rainer Bergmann, die sich an den Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann erinnern: &bdquo;Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt."

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