Kreis Gütersloh Dieser Mann aus dem Kreis Gütersloh sammelt seit Jahren Traueranzeigen

Halle. Wenn Herbert Piel den roten Leitz-Ordner durchblättert, dann nimmt er die Besucher mit auf einen Spaziergang durch die lokale Geschichte. Dann erzählt er von Menschen und von Ereignissen, die sich in Hörste und Halle zugetragen haben. Von Schicksalen, Verwandtschaften, Beziehungen und vor allem vom Tod. Denn der 72-Jährige sammelt seit Jahren Traueranzeigen. Das war allerdings einst nicht seine Idee. &bdquo;Meine Mutter hat alles gesammelt. Kalendersprüche, Zeitungsartikel und eben Todesanzeigen", sagt der gebürtige Hörster. Die ersten stammen aus den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Auf einigen ist das Wehrmachtskreuz zu sehen. &bdquo;Starb den Heldentod" steht dort geschrieben. Lesen Sie auch: "Ich laufe bis zum Umfallen": Trauer um beliebten Sportler im Kreis Gütersloh Eule und Waldkauz als Todesboten Bei der Anzeige von Wilhelm Vorndamme, der 1948 im Alter von nur 50 Jahren starb, wird es unheimlich. &bdquo;In der Todesnacht war eine Eule im Hühnerstall" steht daneben geschrieben. &bdquo;Das hat mir seine Frau, meine Tante Frieda, immer wieder erzählt", sagt Herbert Piel. Die Eule und vor allem der Waldkauz gelten seit dem Mittelalter als Todesvögel. Ihr &bdquo;Ku-witt" deutete man damals als Aufforderung ins Jenseits zu folgen – komm mit. Die Erzählung seiner Tante ließ Herbert Piel nicht los. Und er erinnerte sich schlagartig daran, als sein Vater am 22. Dezember 1959, einem Freitagabend, vom Übungsabend des Männergesangsvereins heimkehrte und in Plattdeutsch berichtete: &bdquo;Ik häw an Iulen soen." &bdquo;Ich war damals zehn Jahre. Am nächsten Morgen war mein Vater gestorben. Mit 53 Jahren", sagt Piel. Dann schaut er noch einmal auf die Todesanzeige und findet bei den Trauernden den Namen Karl Dannhäuser. &bdquo;Der hat meinen Vater als JU-52-Pilot aus Stalingrad geflogen", sagt er. Sie haben anschließend immer Kontakt gehalten." Auch Weltgeschichte gibt der rote Ordner preis. Angst vor dem 22. Dezember Genau ein Jahr später, es war wieder der 22. Dezember, der Todestag ihres Sohnes, kam die Oma von Herbert Piel, Lina Piel, ins Krankenhaus, wo sie kurze Zeit später starb. &bdquo;Seitdem habe ich Angst, dass am 22. Dezember etwas Schlimmes passieren könnte", sagt Piel. Bisher ist nichts passiert. Dann blättert er weiter. &bdquo;Ach ja, auch so früh gestorben", sagt er dann und wann. Die Anzeigen sind wie Tore, hinter denen sich Ereignisse, Erlebnisse und Geschichten verbergen. &bdquo;Hier, Heinz Gerold. Der war Panzerfahrer. Eine Tellermine setzte den Panzer in Brand. Die Verbrennungen im Gesicht haben ihn sein ganzes Leben gezeichnet." &bdquo;Fritz Rußkamp, der Malermeister aus Hörste. Er war auch Feuerwehrhauptmann", erinnert sich Friedhelm Piel. Dann lächelt er. Und wieder öffnet sich ein Tor. &bdquo;Wir wohnten in der Nachbarschaft. Als einmal Schloss Tatenhausen brannte, stand er vor seinem Haus und blies in sein Horn. Die Feuerwehr hatte damals einen alten Opel P 4. Er stand zusammen mit dem Anhänger, auf dem sich eine Spritze befand, bei Landmaschinen Wiltmann – heute Linker. Ich erinnere mich noch gut an die Feuerwehrhelme mit Messingkamm und Lederschutz im Nacken", sagt Herbert Piel. Gesammelte Meilensteine Bei manchen Todesanzeigen sind Zeitungsberichte angehängt. Bilder von Unfallautos. &bdquo;Das war an der Kreuzung Unter der Burg/B68", sagt Piel. Manfred Lange verlor dort sein Leben. Im Alter von nur 20 Jahren. Vom Hörster Manfred Berheide weiß er zu erzählen, dass er beim Bau seines Hauses starb – durch einen Stromschlag. Wer nun glaubt, Herbert Piel wolle mit dramatischen oder sensationellen Geschichten für Aufsehen sorgen, der wird ihm nicht gerecht. Die Sammlung von Todesanzeigen hat vielmehr mit seinem eigenen Leben zu tun. Es sind Meilensteine, Erinnerungsstücke seiner Biografie. Sie konservieren für ihn wichtige Bilder, die sonst im Nebel des Vergessens verschwinden würden. Einsargen gehörte zu seinem Job Herbert Piel hatte auch beruflich mit dem Tod zu tun. &bdquo;Das war mein erster Toter", sagt er. Friedrich Stodieck starb mit 65 Jahren. Piel war Tischler. Einsargen gehörte zu seinem Job. &bdquo;Wenn es einen Todesfall gab und der Tote rasiert werden musste, wurde jemand zum Friseurmeister Karl Reidt ins Dorf geschickt", erinnert sich Piel. Wieder eine solche Geschichte. &bdquo;Denn der hatte einen Trockenrasierer. Dieser Rasierer befand sich in einer grünen Bahlsen-Keksdose", so Piel. &bdquo;Mein Bruder Friedhelm war sein letzter Kunde", sagt Herbert Piel, als er kurze Zeit später die Todesanzeige von Karl Reidt aus dem Jahr 1972 umblättert. Es folgt ein Parforceritt durch Hörster und Haller Geschichten. Wie Flackerreste einer ehemaligen Wirklichkeit tauchen sie vor den Augen von Herbert Piel auf: &bdquo;Franz Schäper. Er stand oft in den Erbsen am Postweg und vertrieb mit einem Hussa die Vögel, wenn ich dort mit meinem Fahrrad vorbeigefahren bin. Paul Gürlich, der Dachdecker. Er hat das Schlesierlied gesungen, als er unser Haus gedeckt hat." Oh, Du mein liebes Riesengebirge. &bdquo;Emil Hardieck. Mein Vater hat beim Bau der Näherei im Klingenhagen die Fenster eingesetzt. Maria Gräfin von Korff Schmising. Sie rauchte als Frau auf offener Straße in Hörste. Unglaublich damals. Graf Max. Ein toller Mensch, den wir alle bewunderten." Von 14 Mitschülern leben nur noch sechs &bdquo;Die Einschläge kommen näher", sagt Herbert Piel, je mehr er sich dem aktuellen Datum nähert. Und: &bdquo;Von den 14 Mitschülern der Abschlussklasse leben nur noch sechs." Er habe sie alle gekannt, sagt Piel und klopft leicht auf die Seiten des roten Ordners. Edwin Kühn, den Handballer aus Künsebeck, der mit links und rechts werfen konnte oder den Loxtener Sportkollegen Kenny Perkins. &bdquo;Los, noch einen für die Presse, Kenny, haben sie ihm zugerufen. Dann ist Kenny von außen fotoreif in den Kreis geflogen." Bruchstücke, jedes für sich scheinbar unbedeutend. In der Gesamtheit aber ein Leben kennzeichnend. Das von Herbert Piel. Am Ende muss er noch einmal tief durchatmen. &bdquo;Manchmal steht man da und kann nichts anderes denken als nur &bdquo;Ach Du Scheiße", sagt Herbert Piel, als er die Anzeige des kürzlich verstorbenen Kurt Wagemann sieht. Er selbst habe keine Angst vor dem Tod, sagt der 72-Jährige. Zusammen mit seiner Frau Claudia hat er in einer Patientenverfügung festgelegt, dass für ihn keine künstlichen lebenserhaltenden Maßnahmen durchgeführt werden sollen. &bdquo;Ich hoffe, so zu sterben wie unsere Hunde", sagt Piel. Die sind im hohen Alter von Tierarzt Volker Janssen eingeschläfert worden. Dann schließt er den Ordner. &bdquo;Man wird geboren, um zu sterben. Der eine früher der andere später", sagt er. Ein roter Ordner ist der Beweis dafür.

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