0

Gütersloh Eltern kritisieren städtische Kitas

Kinder mit Defiziten würden zu wenig gefördert / Ursache soll neues Erziehungskonzept sein

VON LUDGER OSTERKAMP
07.02.2013 | Stand 07.02.2013, 18:44 Uhr
Lydia-Kristin Wiesbrock, hier mit Sohn Linus vor der Kita Wöstmannsweg, ist Vorsitzende des Jugendamtselternbeirates. Obwohl als Juristin mit schwierigen Schriftstücken vertraut, findet sie die Formulierungen im städtischen Erziehungskonzept weitenteils unverständlich. Möglicherweise sei das Problem nicht das Konzept, sondern die Umsetzung. - © FOTO: RAIMUND VORNBÄUMEN
Lydia-Kristin Wiesbrock, hier mit Sohn Linus vor der Kita Wöstmannsweg, ist Vorsitzende des Jugendamtselternbeirates. Obwohl als Juristin mit schwierigen Schriftstücken vertraut, findet sie die Formulierungen im städtischen Erziehungskonzept weitenteils unverständlich. Möglicherweise sei das Problem nicht das Konzept, sondern die Umsetzung. | © FOTO: RAIMUND VORNBÄUMEN

Gütersloh. Am Erziehungskonzept für die 21 städtischen Kindertagesstätten wird Kritik laut. Eltern und Sonderpädagogen werfen der Stadt Mängel bei der Frühförderung vor. Entwicklungsdefizite bei den Kindern würden viel zu spät oder gar nicht festgestellt.

"Es brodelt in der Elternschaft", sagt Lydia-Kristin Wiesbrock, Vorsitzende des Jugendamtselternbeirates. Die Kritik komme aus unterschiedlichen Einrichtungen, sei vehement und vielschichtig. Eltern fänden, in den städtischen Kitas würden ihre Kinder zu wenig individuell gefördert, stattdessen über einen Kamm geschoren. Defizite blieben dabei unberücksichtigt: Dass ein Kind nicht in der Lage sei, einen vollständigen Satz zu sprechen oder einen Malstift zu halten, werde von den Erzieherinnen zwar registriert, löse aber mit dem Hinweis, das lege sich im Spiel und im Beziehungsgeflecht mit der Umgebung, keine speziellen Reaktionen aus.

Information

Konzept auf 36 Seiten

Das pädagogische Konzept der städtischen Kitas steht in einem 36-seitigen Papier "Lernen in Beziehungen". Es wurde im März 2011 auf einer Fachtagung in der Stadthalle vorgestellt, an der 320 Erzieher teilnahmen. Die Tagung sollte "den Wandel des pädagogischen Denkens und Handels aufzeigen und die Rolle der Erzieherin neu bestimmen".
Dem Konzept liegt ein Bildungsverständnis zugrunde, das die Stadt ab 2002 mit dem Erziehungswissenschaftler Dr. Richard Wagner und den Erziehern auf Leitungs- und Teamebene erarbeitet hat und seither nach und nach umsetzt. Jeder Kollege habe partizipieren können. Dieser Prozess dauere bis heute an. Damit werde sichergestellt, dass das Konzept in den pädagogischen Alltag der Kitas transferiert werde. www.lernen-in-beziehungen.de(ost)

Wiesbrock sagte, mit der Auflistung von Beispielen, die sie von Eltern höre, könne sie mittlerweile Stunden zubringen. Selten habe sie solche Empörung erlebt. Es gebe Eltern, die ihr Kind aus Ärger über das städtische Erziehungskonzept bereits umgemeldet hätten. Aus Einrichtungen der konfessionellen und freien Träger kämen ihr längst nicht derart viele Klagen zu Ohren. Zweimal habe sich der Jugendamtselternbeirat inzwischen mit dem Thema beschäftigt. Nächste Woche wieder.

Besonders massiv ist die Kritik, die Beate Morwinski und Hedda Zeitzen äußern. Morwinski ist eine Sonderpädagogin, die in den ersten und zweiten Grundschulklassen arbeitet, Zeitzen betreibt in Gütersloh eine Praxis für Frühförderung. Beide sagen, dass sie seit einiger Zeit "eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Anforderungen an einen Schulanfänger und der Schulreife vieler Gütersloher Kindergartenabgänger" beobachten. Morwinski und Zeitzen vermissen in den städtischen Kitas den professionellen Blick auf Kinder mit Entwicklungsverzögerungen. "So wird die Chance, Fördermaßnahmen rechtzeitig einzuleiten, vertan." Dabei belegten diverse Studien weltweit: Je eher dem Kind Förderung zuteil werde, desto größer der Erfolg.

Morwinski und Zeitzen bemängeln, dass das Wort "Defizit" im städtischen Erziehungskonzept ein Unwort zu sein scheine. Indem der maßgebliche Autor, der Erziehungswissenschaftler Dr. Richard Wagner, das Auftreten von Defiziten quasi negiere, traue sich keine Erzieherin mehr, Rückstände anzusprechen und darauf einzugehen. Dies führe letztlich dazu, dass Entwicklungsdefizite bei Kindern erst bei der Lernanfängeruntersuchung des kinder- und jugendärztlichen Dienstes des Kreises festgestellt würden, "obwohl sie viel früher hätten auffallen können". Zeitzen sagte, sie gehe in ihrer Kritik sogar so weit, dass Kinder aus konfessionellen Einrichtungen teils weiter entwickelt seien als Kinder aus städtischen. Dies hätten ihr Förderlehrer und Schulsozialarbeiter mittlerweile bestätigt.