Gütersloh. Den 8. Juli 2010 wird Axel Schöpf nicht vergessen. An diesem Tag wurde er in den frühen Morgenstunden von der Polizei vor den Augen seiner Nachbarn in Pyjama und Handschellen abgeführt. In einer Zelle des Polizeigebäudes wurde dem unter Mordverdacht stehenden 57-Jährigen eine Speichelprobe entnommen. Nun hat die Strafkammer des Landgerichts Bielefeld entschieden, dass dies rechtswidrig war. Das Urteil dürfte wegweisend sein.
Schöpf ist einer von 27 Männern, die den Speicheltest zur Aufklärung des Mordes an der Witwe Amtenbrink verweigert hatten. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ließ gegen sie daraufhin wegen Mordes/Totschlag gegen ermitteln und erwirkte so beim Amtsgericht Vollstreckungsbeschlüsse.
Strafverteidiger Martin Rother hatte für seinen Mandanten schon vorab geltend gemacht, dass es keinerlei Verdachtsmomente gab. "Außer der Tatsache, dass mein Mandant in den 60er Jahren in der Nähe des späteren Opfers wohnte, gab es keinerlei Berührungspunkte."
Täterprofil zu allgemein
Es ginge doch wohl nicht, dass allein das Fehlen eines Alibis und die Weigerung, an dem überdies im Gesetz als freiwillig verankerten Test teilzunehmen, ausreiche, um einen Menschen unter Mordverdacht zu stellen. Dies wiederum sei der "zweifelhafte Umweg" gewesen, um an die verweigerten Speichelproben der 27 Männer zu gelangen.
Die Tatsache, dass Schöpf in das vom Landeskriminalamt entworfene Täterprofil passt, spielt laut Landgericht keine Rolle. Die Merkmale (männlicher Einzeltäter zwischen 14 und 80 Jahren, Ortskenntnisse) seien so allgemein, dass "damit im Wesentlichen nur weibliche Täter" ausgeschlossen seien, so das Gericht in seiner Begründung.
Auch dass Schöpf zur Härte des Polizeieinsatzes beitrug, bei dem ein Beamter seine Dienstwaffe zog und Tränengas eingesetzt wurde, spiele für einen möglichen Tatverdacht ebenfalls keine Rolle. Schöpf hatte mit einem Küchenmesser gedroht und den Beamten zugerufen: "Meine DNA bekommt ihr nur über meine Leiche".
Schöpf befürchtet – wie viele andere – dass seine DNA eben nicht, wie von der Polizei zugesichert, nach dem Abgleich vernichtet wurde. In dem Beschluss des Amtsgerichtes vom 23. Juni steht wörtlich: "Die entnommenen Körperzellen dürfen nur für die angeordnete Untersuchung verwertet werden und sind nach Abschluss der Ermittlungen zu vernichten."
Menschenrechte müssen beachtet werden
Die Ermittlungen sind in einem Mordfall aber erst dann abgeschlossen, wenn der Täter gefasst ist. Das ist bekanntlich nicht der Fall. Rother wird nun für seinen Mandanten eine schriftliche Bestätigung einfordern, dass die Daten gelöscht wurden. Er wird auch prüfen, ob ihm neben der juristischen Rehabilitation Leistungen zustehen.
Er hält das Urteil der Strafkammer deshalb für entscheidend, weil es die Ermittlungsbehörden anhalte, bedächtiger vorzugehen. "Natürlich muss alles getan werden, um den Mord aufzuklären. Doch dabei haben sich alle Behörden an das geltende Gesetz zu halten. Man kann über unbescholtene Bürger nicht einfach hinwegpreschen und ihre Menschenrechte verletzen."
Den Beschluss des Amtsgericht zur Zwangsentnahme erhielt Rechtsanwalt Rother übrigens erst auf Anfrage und nach dem Polizeieinsatz. Für eine Stellungnahme war gestern kein Vertreter der Mordkommission zu erreichen.