Fatales Signal an Frauen im Kreis Gütersloh: Diese Tüte hätte Leben retten können

Gütersloh. Am 25. November wehten bereits zum zweiten Mal die Fahnen von &bdquo;Terre des Femmes“ vor dem Gütersloher Rathaus, passend zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Sie sollen erinnern, mahnen, aufrütteln. Doch was nützen wehende Banner, wenn das Bewusstsein im Alltag hängen bleibt wie ein schlecht befestigtes Plakat? Nirgendwo zeigt sich dieses Dilemma deutlicher als in diesem Jahr, und ausgerechnet an einer Aktion, die kaum niederschwelliger hätte sein können: der Brötchentüten-Aktion &bdquo;Gewalt kommt nicht in die Tüte!“. 116.000 Tüten wurden für den Kreis Gütersloh angekündigt, rund ein Drittel der Bevölkerung hätte zumindest potenziell erreicht werden können. Sie sollen aufmerksam machen und über Beratungsmöglichkeiten und Anlaufstellen informieren. Doch wer am Dienstag stichprobenartig Bäckereien besuchte, sah: nahezu nichts. Keine Tüten, keine Hinweise, keine Aufmerksamkeit. Manche lagen unter der Theke, manche im Lager, viele offenbar unangetastet. Nur wer ausdrücklich nach diesen Tüten gefragt wurde, bekam eine. Für alle anderen blieben Hilfsangebote unsichtbar. Orange Day 2025: Erschreckende Zahlen am Tag gegen Gewalt an Frauen veröffentlicht Eine Bäckerei antwortete gar auf die Frage nach besagten Tüten, diese würden nicht zum &bdquo;Wohlfühlerlebnis des Brötchenkaufens“ passen, deshalb nehme die Bäckerei erst gar nicht an der Aktion teil. Außerdem würden sie sich ungern vom Kreis Gütersloh für &bdquo;so etwas“ benutzen lassen. Ein Schild aufzustellen wäre kein Problem gewesen, aber die eigenen Brötchentüten für diese Aktion zumindest für einen Tag unter der Theke zu lassen, käme einer Frechheit nahe. 800 Fälle häuslicher Gewalt im Kreis Gütersloh 2024 Und während Brötchentüten im Stillen verstauben, läuft nur wenige Kilometer entfernt in der Kreispolizeibehörde Gütersloh ein völlig anderer Alltag: Ein Alltag, in dem häusliche Gewalt nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Polizeisprecherin Katharina Felsch beschreibt es nüchtern: &bdquo;Einsätze dieser Art gehören für uns zum Tagesgeschehen.“ Das ist der Alltag im Kreis Gütersloh: 800 Fälle häuslicher Gewalt im Jahr 2024. 433 Rückkehrverbote. Und eine Dunkelziffer, die man sich kaum ausmalen möchte. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch, eine Familie, ein Leben, das zerbricht. Manchmal leise, manchmal schreiend, manchmal tödlich. Drei Schicksale Gütersloher Frauen So wie bei der 28-jährigen Natalia, mutmaßlich erstickt von ihrem Ehemann, die Leiche später an einer Tankstelle verbrannt, um Spuren zu verwischen. Vier Kinder bleiben zurück. So wie bei Maria, 46 Jahre alt, deren Mann im Alkoholrausch die Kontrolle verlor und ihr Leben beendete, während die Tochter im Nebenzimmer lebte. So wie die 23-jährige junge Frau aus Rheda-Wiedenbrück, die 98 Messerstichen nichts entgegensetzen konnte. Getötet, weil ein Mann die Trennung nicht akzeptieren wollte, und anschließend mit Rosenblättern bedeckt, wie ein makaberes Ritual. Lesen Sie auch: Gewalt gegen Frauen - und was die Politik dagegen tut Diese drei Frauen sind keine &bdquo;Einzelfälle“, sondern die Spitze einer Statistik, die jeden Tag wächst. Die Fachstellen schlagen seit Jahren Alarm. Die Frauenhäuser berichten von kaum zu bändigender Nachfrage. Die Frauenberatungsstelle sagt offen: Gewalt und sexualisierte Übergriffe gehören für viele Mädchen und Frauen zum Alltag. Viktoria Wachsmann vom Frauenhaus Gütersloh bringt es auf den Punkt: &bdquo;Viele Frauen sind in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr sicher.“ Zeichen gegen Gewalt müssen sichtbarer sein Mit dieser Realität befassen sich Aktionen wie das Hissen der Fahnen, die Banner an Stadthalle, VHS, LWL-Klinik und Wertkreis oder die Kampagne &bdquo;#WegAusDerGewalt“. All diese Zeichen sind wichtig. Aber sie dürfen nicht im Symbolischen stecken bleiben. Denn der Hilferuf, den eine simple Brötchentüte senden kann, ist nicht symbolisch. Er kann konkret sein. Er könnte eine Frau erreichen, die genau heute keine andere Möglichkeit sieht. Eine Frau, die vielleicht zum ersten Mal eine Nummer liest, die sie im Notfall wählen könnte – 08000 116 016 –, oder den Hinweis auf eine Beratungsstelle, die zuhört, ohne zu urteilen. Doch dafür müsste die Tüte zuerst in ihre Hände gelangen. Präventions-Tipps: Zeichen, Codes, Hilfe – Strategien bei Gewalt gegen Frauen Brötchentüten als Symbole für Nachlässigkeit Die Brötchentüte mag banal wirken. Doch sie ist ein Symbol dafür, wie entschlossen oder wie halbherzig wir als Gesellschaft bereit sind, hinzusehen. Sie hätte ein Zeichen der Solidarität sein können. Sie hätte ein Fenster der Aufmerksamkeit öffnen können. Solange im Kreis Gütersloh jeden Tag Einsätze wegen häuslicher Gewalt stattfinden, solange Frauen und Mädchen um Schutz bitten und Beratungsstellen und Frauenhäuser am Limit arbeiten, kann es keine Nachlässigkeit geben. Nicht einmal bei einer Tüte.

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