Personalmangel und Bagatelle Alarmierende Lage: Rettungsdienste und Krankenhäuser im Kreis Gütersloh am Limit

Kreis Gütersloh. Rettungsdienste und Krankenhäuser arbeiten deutlich über die Belastungsgrenze. Die Zahl der Notrufe und Rettungsdiensteinsätze wegen Bagatellen steigt, hinzu kommen personelle Engpässe. Auch Intensivstationen und Notaufnahmen können oftmals keine Patienten mehr aufnehmen. Das hat Auswirkungen auf die medizinische Versorgungslage auch im Kreis Gütersloh. Die Zahl der Einsätze steige seit Jahren. "Seit 2018 ist die Zahl um mehr als 10.000 Einsätze gestiegen", weiß Markus Brock, Sachgebietsleiter des operativen Rettungsdienstes. Schaue man weiter zurück, dann seien die Einsätze seit 2016 um 45 Prozent angestiegen. "Nur 2020 hat es einen kleinen Knick wegen Corona gegeben", sagt Brock. Die Einsatzzahlen seien dabei aber nicht mit den Anrufzahlen in der Kreisleitstelle gleichzusetzen. Diese Zahl liege noch weit darüber. Es ist eine Entwicklung, die seit Jahren anhält. "Schwere Fälle haben dabei kaum zugenommen, viele Patienten könnten allerdings ambulant behandelt werden", sagt Bernd Strickmann, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Gütersloh. In vielen Fällen sollte der erste Weg zum Hausarzt führen, doch viele Menschen finden gar keinen Hausarzt mehr, der noch Patienten aufnimmt. Und ist ein Hausarzt da, dann ist die Wartezeit für einen Termin oft lang. Besonders ältere Menschen seien auch auf Hausbesuche angewiesen. "Dafür haben Hausärzte aber gar keine Zeit mehr, weil die Wartezimmer so voll sind", sagt Strickmann. Weniger Menschen vertrauen auf die Eigenverantwortung Gleichzeitig wachse aber auch die Unselbstständigkeit der Bevölkerung. Viele Menschen würden Not empfinden, obwohl aus medizinischer Sicht kein Notfall vorliege. "Es ist das Gefühl dafür verloren gegangen, wann ein Rettungsdienst wirklich nötig ist und wann nicht", weiß Angela Lißner, Dezernentin für Ordnung, Gesundheit und Bevölkerungsschutz im Kreis Gütersloh. Es gebe allerdings auch Menschen, die einfach zu lange mit einem Arztbesuch warten und dann den Rettungsdienst rufen müssen. "Es ist ein großer Stress für die Leitstelle, in Sekunden am Telefon abzuschätzen, ob es nötig ist rauszufahren oder nicht", sagt Lißner. Es sei auch ein gesellschaftspolitisches Problem. "Wir sollten alle glücklich über diese Demokratie und die Versorgung sein, aber wir müssen trotzdem die Resilienz der Bevölkerung stärken." Weniger Menschen würden auf Eigenverantwortung vertrauen; Sie seien es nicht mehr gewohnt, sich um sich selbst zu kümmern. "Der Disponent in der Leitstelle entscheidet, ob der Rettungsdienst rausfährt oder nicht", sagt Ansgar Kanther, Leiter der Kreisleitstelle. Es gebe hier nur zwei Möglichkeiten, den Rettungsdienst schicken oder nicht. Sinnvoller wäre es, wenn die Leitstelle zu Fachkräften durchstellen könne, die die Situation gut einschätzen und vielen Anrufern direkte Hilfestellung am Telefon geben könnten. Das würde die Rettungskräfte und auch die Krankenhäuser stark entlasten. "Dafür muss sich aber am System einiges ändern", so Kanther. Die Abbildung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes (116117) in der Kreisleitstelle und damit die direkte Zusammenarbeit wäre ein erster, sehr wertvoller Schritt. Einsatzzeiten verlängern sich Helfen könne es aber auch, wenn die Menschen wieder lernen würden, sich bei Kleinigkeiten selbst zu versorgen. "Kinder könnten schon in der Schule lernen, sich selbst zu verarzten oder wann und wie sie den Rettungsdienst rufen müssen", sagt Lißner. Erste-Hilfe-Angebote an Schulen wären hierfür eine gute Lösung. Sowohl Rettungsdienste als auch Krankenhäuser arbeiten am Limit. Die Krankenhäuser im Kreis Gütersloh seien teilweise nicht mehr in der Lage, neue Patienten aufzunehmen, entweder weil die Betten belegt seien oder weil das Personal fehle, sagt Kanther. "Wir versuchen immer, die Patienten in der Nähe in ein Krankenhaus zu bringen." Teils müssten sie aber auch bis in den Regierungsbezirk Arnsberg gefahren werden. "Dadurch verlängern sich natürlich auch die Einsatzzeiten, sodass die Rettungswagen erst später wieder frei für den nächsten Einsatz sind", sagt Brock. Die Folgen seien aber vielfältig, sagt Strickmann: "Bei 24-Stunden-Schichten sind viele Bagatellfälle darunter. Da kann es schon mal passieren, dass dann im zwölften Einsatz ein Ernstfall nicht direkt als solcher erkannt wird." Der Anstieg der Einsätze führe durch Aufwuchs des Stellenplans auch dazu, dass die einzelnen Rettungskräfte seltener zu schweren Notfällen fahren. Das bedeute, dass Übung und Routine fehle. Zahlen auf durchgängig hohem Niveau Hans-Joachim Koch, Leiter der Feuerwehr Gütersloh, bestätigt diese Entwicklung auch für die Stadt Gütersloh. Die Einsatzauslastung liege in Gütersloh in den vergangenen Monaten auf einem durchgängig hohen Niveau. Der Rettungsdienst sei aktuell wegen Personalmangel, längeren Übergabezeiten oder Übergabeproblemen in den Kliniken und der Bindung der Fahrzeuge durch Bagatelleinsätze stark ausgelastet. "Bagatelleinsätze belasten und binden den Rettungsdienst", sagt Koch. Aber die richtige Zuordnung von nicht-rettungsdienstlichen Einsätzen zum Kassenärztlichen Notfalldienst könne den Rettungsdienst von nicht erforderlichen Einsätzen entlasten. Die Notrufabfrage der Leitstelle sollte zu dem Ergebnis führen können, dass eine Alarmierung des Rettungsdienstes nicht erforderlich ist. "Wir haben nach wie vor Ausfälle durch Kollegen, die Covid-19 positiv sind, aber das hat sich aktuell etwas entspannt", sagt Veena Mohan, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme des Klinikum Gütersloh zu der angespannten Lage in den Krankenhäusern. Darüber hinaus gebe es Ausfälle durch unterschiedliche Infekte. Hinzu komme der Wechsel vieler Pflegekräfte in andere Bereiche des Gesundheitswesens in den fast drei Jahren Pandemie. Pflegeberufe müssten attraktiver werden Die Gründe für die hohe Auslastung der Notaufnahmen seien vielfältig. "Zum einen gibt es allein durch den demographischen Wandel mehr alte und kranke Menschen und damit auch mehr Notfälle", sagt Mohan. So habe das Klinikum im November diesen Jahres rund 100 Patienten mehr gehabt, als im November 2019. Das liege auch daran, dass die niedergelassenen Ärzte mehr Patienten schicken. "Wenn Patienten den nächsten Termin bei einem ambulanten Facharzt erst in drei Monaten bekommen, gehen sie in die Notaufnahme." Es kämen aber auch Patienten mit einem einfachen Infekt, die besser bei ihrem Hausarzt aufgehoben wären. Um die Situation langfristig zu verbessern müsste die Arbeit im Krankenhaus insbesondere für Pflegekräfte wieder attraktiver werden. "Wir tun da schon ganz viel. Mit Kampagnen, mit Prämien für Kollegen, die für andere einspringen und mit vernünftigen Gehältern", sagt Mohan. Auch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland könnten ein Teil der Lösung sein. So auch der Reformvorschlag von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, den Krankenhäusern für das Betreiben einer Notaufnahme oder einer Intensivstation wieder höhere Beträge zu zahlen. "Aus meiner Sicht ist das ein richtiger Schritt", sagt die Chefärztin.

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