Schwere Anschuldigungen Missbrauchsvorwürfe beim CVJM - Gütersloherin erstattet Strafanzeige

Gütersloh. &bdquo;Du erfährst Wertschätzung und Vertrauen, Du kannst Dich ausprobieren und Verantwortung übernehmen, erlebst Sinn und Spiritualität. Das stärkt Dich und gibt Dir die Chance, Dein Potenzial zu entfalten.“ Deshalb lautet der Werbeslogan auf der eigenen Internetseite: &bdquo;CVJM. Die Zeit deines Lebens.“ 1.600 Mal gibt es den Christlichen Verein Junger Menschen in Deutschland. Er gehört zum traditionellen Vereinsleben einfach dazu. Auch in Gütersloh. &bdquo;Ich war von klein auf dabei“, sagt Bettina M. (Name geändert). Mit acht Jahren gehört Sie zur Jungschar-Gruppe, später geht es nahtlos in der Jugendarbeit weiter. Früh hat sie sich zur ehrenamtlichen Mitarbeiterin ausbilden lassen. &bdquo;Als Betreuerin bin ich auf Jugendfreizeiten mitgefahren“, und fast jeden Nachmittag in der Woche, so Bettina M., habe sie in ihrer Jugend beim CVJM Gütersloh verbracht. Damals. Am 24. Juni 2021 sitzt sie vor einer Polizeibeamtin und schildert, was passiert ist. Bettina M. stellt Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen/Jugendlichen. Beschuldigter ist ein damaliger Mitarbeiter des CVJM. &bdquo;In der ersten Zeit kam mir das alles nicht komisch vor“, erklärt Bettina M.. &bdquo;Ich war voll integriert, hatte innerhalb der Gemeinschaft eine tolle Position, um die sich andere gerissen haben, eine Erfahrung, die ich damals das erste Mal gemacht habe.“ Kein Unterschied zwischen Nähe und Distanz Jeder habe ihm gefallen wollen, dem charismatisch wirkenden Mitarbeiter. Um seine Gunst sei regelrecht gebuhlt worden, man habe ihn angehimmelt. &bdquo;Vor allem weil er Strukturen über Bord geworfen hat“, private Freundschaften zwischen Jugendlichen und erwachsenen Mitarbeitern sind nicht üblich im CVJM. &bdquo;Diese Tür hat er geöffnet“, so Bettina M.. Das strikte Alkoholverbot habe er aufgeweicht, indem er ein Auge zugedrückt oder gar mitgefeiert habe. &bdquo;Wir haben Cocktails getrunken und auf seinem Schoß gesessen“, es habe Poolpartys gegeben, Nacktbaden bei Ferienfreizeiten und überhaupt habe ein hohes Maß an Körperlichkeit innerhalb der Gruppe stattgefunden. &bdquo;Wenn die erwachsenen Mitarbeiter da mitmachen, dann dürfen wir das schließlich auch. Nach diesem Prinzip gab es irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen Nähe und Distanz. Keine Verbote mehr“, Händchenhalten und Kuscheln mit dem Erwachsenen war demnach nichts Ungewöhnliches. &bdquo;Alle haben das als tolle Gemeinschaft empfunden.“ Bettina M., die bereits in früher Jugend familiäre Probleme hat, kann sich im CVJM ein zweites Zuhause aufbauen. Sie habe sich dort gut aufgehoben gefühlt. Auf einer Reiseveranstaltung mit dem CVJM kippt das Verhältnis zum ersten Mal. Bettina M. ist 15 Jahre alt. Der Beschuldigte – deutlich älter und verheiratet – küsst das Mädchen auf den Mund. &bdquo;Bis dahin habe ich das alles für normal gehalten“, sagt Bettina M. rückblickend, &bdquo;ich war definitiv nicht verliebt.“ Ihr 16. Geburtstag sei &bdquo;ziemlich genau der Zeitpunkt“, wo er dann wiederholt begonnen habe, Grenzen zu überschreiten. &bdquo;Ich habe mich nicht gewehrt“, sagt die Gütersloherin. &bdquo;Ich habe auch nie Nein gesagt.“ Und so kann plötzlich passieren, was nicht passieren darf. Heimliche, nächtliche Ausflüge klingen wie Abenteuer, sind es aber nicht Bettina M. wird zu heimlichen, nächtlichen Ausflügen abgeholt. Klingt wie ein Abenteuer, ist es aber nicht. Eingebettet in einen christlichen Verein, nimmt Bettinas Umfeld keinen Anstoß an dem, was gar nicht mühevoll geheim gehalten wird. Wenn sie mit ihm unterwegs ist, hat das für Bettinas Umfeld augenscheinlich seine Richtigkeit, es wird nicht kritisch hinterfragt. &bdquo;Vielleicht hat es ihm keiner zugetraut, vielleicht war es damals auch so neu, dass es niemand wahrhaben wollte.“ Mit 18 verlässt Bettina M. die Gruppe. &bdquo;Eine Straftat liegt nicht vor“, entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft in Bielefeld und teilt dem Anwalt von Bettina M. am 28. Februar dieses Jahres schriftlich mit, dass das Ermittlungsverfahren hiermit eingestellt ist. Nach Ansicht der Behörde sei kein genügender Anlass zur Klageerhebung geboten. Sie hätte die sexuellen Handlungen geduldet, um die ansonsten als positiv empfundene Beziehung zu dem Beschuldigten nicht zu gefährden. &bdquo;Da Ihre Mandantin zum Tatzeitpunkt bereits sechszehn Jahre alt gewesen ist, könnte eine Strafbarkeit nur wegen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen oder einer Jugendlichen in Betracht kommen. Im ersten Fall käme eine Strafbarkeit nur in Betracht, wenn sie sich in einem Über-/Unterordnungsverhältnis im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses befunden und der Beschuldigte dies ausgenutzt hätte.“ Dies alles sei nicht gegeben. Auch ein Missbrauch Jugendlicher scheide aus. &bdquo;Dieser verlangt die bewusste Ausnutzung einer fehlenden Fähigkeit ihrerseits zur sexuellen Selbstbestimmung.“ Auch die läge nicht vor. Evangelische Kirche setzt sich für Aufklärung ein Bettina Ms. Anwalt legt umgehend Widerspruch ein. Er fordert die Wiederaufnahme der Ermittlungen vor allem durch Zeugenvernehmung. Und noch jemand greift überraschend ein und fordert Aufklärung: Die Evangelische Kirche und der CVJM Gütersloh. Im April formulieren beide Institutionen eine gemeinsame Stellungnahme für die Staatsanwaltschaft Bielefeld und bitten eindrücklich darum, die Ermittlungen aufzunehmen, um den Fall zu klären. &bdquo;Wir hatten den Eindruck“, so Pressereferentin Frauke Brauns, &bdquo;dass die Staatsanwaltschaft das besondere Verhältnis in der christlichen Jugendarbeit nicht berücksichtigt hat.“ Es gebe ein enges Verhältnis in der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden. &bdquo;Das scheint der Staatsanwaltschaft nicht bekannt zu sein. Auch hat sie nicht mit bei uns ermittelt“, sagt Frauke Brauns, &bdquo;hier wurde niemand befragt.“ Sie bekräftigt noch einmal: &bdquo;Wir möchten diesen Fall aufklären!“ Die Kirche selbst scheint keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit und den Aussagen von Bettina M. zu haben. Der Beschuldigte arbeitet nicht mehr in Gütersloh, ist jedoch weiterhin innerhalb der kirchlichen Institution tätig. Birgit Pfeifer ist seit der Strafanzeige in den Fall involviert. Sie bekleidet die Anlaufstelle für Missbrauch in der Kirche – damals noch angedockt an die Diakonie Rheinland und Westfalen-Lippe. Die Prüfung des Falls dauert an Pfeifer gründet einen Krisenstab im Kirchenkreis Gütersloh, nimmt selbst an den Sitzungen mit dem Superintendenten und dem eigens gegründeten Kriseninterventionsteam teil. &bdquo;Seit April haben wir häufiger zu diesem Fall getagt“, erklärt Frauke Brauns, &bdquo;aber wir stochern ein bisschen im Nebel.“ Seit der Einstellung des Verfahrens im Februar habe man von der Staatsanwaltschaft nichts mehr über das Verfahren gehört. Bettina M. und ihr Anwalt auch nicht. &bdquo;An der Einstellungsentscheidung wurde trotz Beschwerde seinerzeit festgehalten“, erklärt Phillipp Kalbertodt, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Bielefeld. &bdquo;Die Akten sind daher der Generalstaatsanwaltschaft Hamm übersandt worden und liegen dort zur Prüfung des Sachverhalts vor.“ In Hamm bestätigt die Generalstaatsanwaltschaft, dass man mit dem Fall betraut ist. Wie lange die Prüfung noch in Anspruch nehme, ließe sich nicht sagen. &bdquo;Der Fall von Bettina M. ist bislang der einzige, der uns bekannt ist“, sagt Frauke Brauns vom Kirchenkreis. Derzeit gebe es Überlegungen, dass der CVJM eine Art Anlaufstelle gründe. &bdquo;Es ist uns wichtig, dass die Menschen, die zu uns kommen, an einen sicheren Ort kommen.“ Die Kirche hat deshalb eine eigene Präventionskraft eingestellt. Die Vorgehensweise wiederholt sich Längst wurde von der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) festgestellt, dass das Gebiet für Birgit Pfeifer als Missbrauchsbeauftragte viel zu groß ist. Kirchenrätin Daniela Fricke und Jelena Kracht aus Bielefeld sind inzwischen Ansprechpartner für Betroffene von sexualisierter Gewalt. &bdquo;Wir haben sehr viel gelernt, von dem, was in den vergangenen Jahren passiert ist“, sagt Frauke Brauns. Seit März arbeite man nach einem Präventionskonzept. Da der sexuelle Missbrauch in kirchlichen Betreuungsverhältnissen Gegenstand starker gesellschaftlicher Diskussion ist, liegt ein hoher Druck auf der Evangelischen Kirche Gütersloh, alles richtig zu machen. &bdquo;Ich freue mich über den Rückhalt der Kirche“, sagt Bettina M. Sie will für die Aufnahme des Verfahrens weiter kämpfen. &bdquo;Ich habe das Fass nicht aufgemacht, um mich jetzt zurückzuziehen.“ Erst als ihre Freundin im vergangenen Jahr im Studium an einen Professor geraten sei, der die Abhängigkeit seiner Studentinnen für sich zu nutzen wisse, habe sich der Entschluss in ihr geformt, etwas zu unternehmen. &bdquo;Die Strukturen wiederholen sich. Immer und immer wieder.“ Immer gehe es um Nähe, die schrittweise dazu genutzt werde, sexualisierte Verfügungsgewalt zu ermöglichen. &bdquo;Und Lebensläufe wie meiner, mit schwierigen Familienverhältnissen, sind leider regelrecht prädestiniert für solche Taten.“ Zu dem Beschuldigten hat Bettina M. nach eigenen Angaben seit ihrem Austritt aus der Gruppe keinen Kontakt. Blickt sie auf ihre Erlebnisse zurück, ist sie sich einer Sache inzwischen ziemlich sicher: &bdquo;Ich war nicht das einzige Mädchen, das betroffen war.“

Mehr zum Thema