Gütersloh 14-Jähriger stirbt nach OP - Verurteilter Narkose-Arzt legt Berufung ein

Gütersloh. Das Verfahren um den Narkose-Tod eines 14-jährigen Güterslohers geht in die nächste Instanz. Der Anwalt des verurteilten Anästhesisten erklärte am Montag, er habe Berufung eingelegt. Er halte das Strafmaß für den Assistenzarzt, 16 Monate Haft (auf Bewährung), für unangemessen hoch, weil es weder die Verantwortlichkeit der Folgeärzte und deren Fehler noch das &bdquo;grobe Organisationsverschulden“ des Sank-Elisabeth-Hospitals hinreichend berücksichtige. Nach Einschätzung von Karsten Fehn habe der Gütersloher Amtsrichter die Rolle des verurteilten H. falsch bewertet. Laut Bundesgerichtshof sei der Behandlungsfehler eines Assistenzarztes grundsätzlich nicht diesem anzulasten, sondern dessen Vorgesetzten. "Vielmehr sind seine Vorgesetzten zu belangen" Zwar verfüge H. Dank seiner jahrelangen Tätigkeit als Anästhesist und Truppenarzt in seinem Heimatland Armenien über viel praktische Erfahrung, auch bezeichne ihn sein Gütersloher Chefarzt als zuverlässigen, gewissenhaften Kollegen, gleichwohl sei H. in Deutschland kein anerkannter Facharzt. &bdquo;Er hat erst 600 statt der geforderten 1.800 Anästhesien gemacht. Das reicht nicht. Also ist seine Rolle so zu werten, dass er noch in Ausbildung ist. Und dass wiederum bedeutet, dass ihm weniger Schuld anzulasten ist und vielmehr seine Vorgesetzten zu belangen sind.“ Fehn hatte in seinem Plädoyer eine Geldstrafe von höchstens 90 Tagessätzen für ausreichend erachtet. Da der 14-jährige Junge bis zum Eintreffen der hinzu gerufenen Fachärztin noch eine gutachterlich bescheinigte Überlebenswahrscheinlichkeit von mindestens 40 Prozent gehabt habe, sei er außerdem lediglich der fahrlässigen Körperverletzung schuldig zu sprechen. Nur zwei Sätze in einem 2.000-Seiten-Standardwerk Den Vorwurf der fahrlässigen Tötung könne man nur den Folgeärzten machen, sagt Fehn. Laut Einschätzung der Gutachter hatten diese ebenfalls &bdquo;grob fehlerhaft“ gehandelt – sie hatten, ebenso wie H., versäumt, den Jungen sofort vom falsch angeschlossenen Beatmungsgerät zu trennen und stattdessen per Hand mit einem Beutel zu beatmen. Kevin Fuhr, so der Name des Opfers, erstickte. Das Unglück passierte im November 2018. Mit dem Assistenzarzt &bdquo;das kleinste Licht der Kette auf die Anklagebank zu setzen“, werde der Sache nicht gerecht, sagt Fehn. Es sei versäumt worden, H. hinreichend mit dem Anästhesiegerät vertraut zu machen, er sei zu wenig vom Eli-Hop unterwiesen worden - H. hatte in dem Prozess unter anderem berichtet, dass ihm vom Krankenhaus niemand auf die Pflicht hingewiesen hatte, das Beatmungsgerät vor jeder neuen Narkose zu prüfen. Sich selbstständig das Wissen über das Gerät anzueignen, sei sehr viel verlangt, so der Anwalt, außerdem hatte in dem Prozess ein Gutachter berichtet, dass sich zum obligatorischen Kurzcheck des Gerätes in dem 2.000 Seiten umfassenden Standardwerk zur Anästhesie gerade mal zwei Sätze fänden. Wie ein zugewanderter, sprachlich unsicherer Arzt darauf stoßen solle, sei ihm ein Rätsel, so Fehn. Komplett neue Beweisaufnahme fällig Angesichts all dieser Sachverhalte sei es nicht angemessen, H. mit 16 Monaten Bewährungshaft plus 10.000 Euro Schmerzensgeld zu bestrafen - der Richter war damit exakt dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt. In dem nun zu erwartenden Berufungsprozess am Landgericht Bielefeld werde er das dezidiert darlegen, so Fehn. Dort wird das Verfahren komplett neu aufgerollt, inklusive Beweisaufnahme. Für die Familie des Jungen könnte die Fortführung belastend sein. &bdquo;Wir hatten uns beraten und darauf verständigt, von unserer Seite keine Berufung einzulegen“, sagt Horst-Peter Strickrodt, Rechtsanwalt der Familie. &bdquo;Zwar hätten wir uns ein schärferes Urteil gewünscht, aber wir waren uns einig, dass es besser ist, die Sache nach all der Zeit abschließen zu können“, so Strickrodt. Auf die weiteren Verfahren keinen Einfluss Angesichts des angerichteten maximalen Unheils – ein gesunder junger Mensch kommt bei einem Routineeingriff ums Leben – sei es für die Eltern vor allem wichtig gewesen, dass das Urteil auf fahrlässige Tötung und nicht etwa auf Körperverletzung gelautet habe. Strickrodt hatte im Prozess eine Haftstrafe von zwei Jahren gefordert, ausgesetzt zur Bewährung. Zugleich drängte er darauf, die verantwortlichen Folgeärzte zu belangen und die Versäumnisse des Elisabeth-Hospitals stärker in den Blick zu nehmen. Ihm sei unbegreiflich, dass der Assistenzarzt entscheidende Dinge einfach nicht beigebracht bekommen habe und dass er nach dem Vorfall nicht direkt vom Dienst suspendiert worden sei. Auf die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Folgeärzte wirke sich die Berufung nicht aus, sagte Staatsanwältin Claudia Bosse. Noch sei unklar, ob sie Anklage erhebe, zumal bislang die Urteilsbegründung des Gütersloher Amtsrichters fehle. Unterdessen läuft außerdem eine Zivilklage. Die Eltern fordern Schmerzensgeld und Schadenersatz, insgesamt 500.000 Euro. Der Kammertermin dafür ist am 9. September angesetzt.

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