Gütersloh Der private Putin-Boykott: Wer sich zum Kaltduscher macht, ist ein Held!

Gütersloh. Um einer tragischen Geschichte mal was Amüsantes abzugewinnen: Gut, dass unser Bürgermeister Mittelalter kann. Horden von Menschen unterbringen, Lager aufbauen, Notversorgung organisieren: Das hat er als Organisator von Mittelalterfesten mal hauptberuflich gemacht, das kann er. Geht es draußen finster und mittelalterlich zu, weiß Ritter Norbert, was zu tun ist. Das hilft, in der Tat. Morkes hat es geschafft, binnen kürzester Zeit für die ukrainischen Flüchtlinge Quartiere zu organisieren. Er hat der BImA, über die wir sonst so gerne schimpfen, weil sie sperrig und unerbittlich auf ihren Bundesimmobilien hockt, in kürzester Zeit Unterkünfte aus den Rippen geleiert. 700 Betten im Mansergh-Quartier, 350 an der Töpferstraße, 250 in anderen Britensiedlungen – kriegt die Stadt sie rasch bezugsfertig, hilft das die erste Zeit weiter. Leistung der Stadt aus den vergangenen Tagen ist beachtlich Wie Morkes das geschafft hat? Indem er, man staune, der BImA einen &bdquo;unkonventionellen Brief“ geschrieben habe, einen, in dem er unbürokratisch um Hilfe bat, den er als Bürger, nicht als Bürgermeister geschrieben habe. Mal abgesehen davon, ob er tatsächlich auf offizielles Briefpapier und Stempel verzichtet hat, und mal abgesehen von einem eigenartigen Rollenverständnis, das sich in dieser Äußerung offenbart, sollten wir ihm und der BImA dankbar sein, dass das Ergebnis ein gutes ist. Lesen Sie auch: Newsblog zum Ukraine-Krieg - alle Auswirkungen auf den Kreis Gütersloh Und dabei ist es ja nicht geblieben. Binnen weniger Tage hat die Stadt es geregelt bekommen, Kapazitäten für 1.600 Kriegsflüchtlinge zu schaffen. Das ist beachtlich. Sie hat einen russischen (!) Hotelier überredet, seine frisch gekaufte Immobilie erst mal den Ukrainern zur Verfügung zu stellen, sie hat die im ersten Impuls murrenden Sportvereine flugs überzeugt, dass es ohne ihre Sporthallen nicht gehen wird, schon gar nicht jetzt, in den ersten Tagen. Natürlich reicht das nicht, schon gar nicht, wenn Putin weiter bombt. Die ständigen städtischen Unterkünfte – inzwischen alle voll. Die Flughafenkaserne an der Marienfelder Straße – keine Chance, da haben bald die Briten ihren Daumen drauf. Weitere Sporthallen – misslich, weil in fast allen auch Schulsport läuft. Enorme Hilfsstruktur ist innerhalb kurzer Zeit geschaffen worden Doch wo sollen sie hin, die Flüchtlinge? Holzcontainer auf die Wiese, wie 2015? Jeden Tag stehen mindestens 50 Neuankömmlinge vor dem Rathaus, die Stadt hat inzwischen ein Aufenthaltszelt vorm Eingang aufgestellt, weil nicht mehr alle ins Foyer passen. Und diese 50 sind nur jene, die bekannt sind, weil sie sich registrieren lassen oder Hilfe erhoffen; da sich Ukrainer innerhalb der EU frei bewegen dürfen und nicht meldepflichtig sind, könnten es noch viele viele mehr sein. Die öffentliche, städtische Aufnahmekapazität ist womöglich bald erschöpft. Und dann? Spätestens dann sind wir dran, die Bürger. Die Hilfsbereitschaft scheint immens: Jeden Tag gehen zig Unterkunftsangebote ein, berichtet die Stadt, sie ordnet sie ein und vermittelt teils schon jetzt passgenau, doch wer weiß, wie viele noch gebraucht werden? Wer auf www.guetersloh.de geht und weiter auf die Ukraine-Hilfe klickt, wird verblüfft sein, wie viele Hilfsmöglichkeiten die meisten von uns hätten, unabhängig von Wohnraum. Geldspenden, Blutspenden, ehrenamtliche Unterstützung in vielen Facetten: Binnen kurzer Zeit ist in Gütersloh eine enorme Hilfsstruktur geschaffen worden, teils öffentlich, teils privat. Vieles davon geschieht im Stillen: Was Firmen, Unternehmer, Privatleute, Schulen, Initiativen, Verbände derzeit alles auf die Beine stellen, ist kaum noch nachzuhalten, macht aber nichts. Wir haben das alles schon mal gehabt Man hat den Eindruck, wir haben aus 2015 gelernt. Ein Déjà-vu. Damals standen Menschen aus Aleppo vor unserer Tür, heute aus Mariupol. Doch diesmal läuft die Hilfe schneller an, mutmaßlich, weil unsere Erschütterung größer ist, aber gewiss auch, weil wir im Helfen nun geübt sind. Wir greifen auf vorhandene Strukturen zurück, kennen die Abläufe. Ein bisschen sind wir selber Morkes: Wir haben das alles schon mal gehabt. Nur, dass es diesmal noch intensiver, näher, unmittelbarer ist. Morkes Anno-Feste zeugten von einer Zeit, die wir in Europa überwunden glaubten. Einer Zeit, in der der eine den anderen überfiel, aus keinem weiteren Grund, als ihm Hab und Gut zu rauben. Welch ein Irrtum! Deshalb: Neben Stadt und Gesamtgesellschaft kann jeder Einzelne was tun: Frieren für den Frieden, der private Putin-Boykott. Wer seine Heizung zwei Grad runter dreht, verbraucht weniger Gas. Wer auf der Autobahn höchstens Tempo 100 fährt, verbraucht weniger Sprit. Und wer sich zum Kaltduscher macht, ist ein Held.

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