Gütersloh Trotz Corona kaum Leerstand: Geht es dem Einzelhandel besser als gedacht?

Gütersloh. Der Einzelhandel in Gütersloh klagt seit Monaten über Umsatzeinbußen und über rückläufige Kundenzahlen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Corona-Pandemie mitsamt ihrer sich kontinuierlich ändernden Auflagen setzen den hiesigen Unternehmern nach eigenen Angaben zu. Doch laut des Handelsverbands Deutschland (HDE) erzielte der Einzelhandel im Jahr 2021 einen Rekordumsatz von 586 Milliarden Euro. Und auch ein Blick in die Gütersloher Innenstadt zeigt: Im Gegensatz zu der Zeit vor Corona gibt es in der City trotz aller Corona-Widrigkeiten nur noch ganz vereinzelt Leerstände. Wie passt das alles zusammen? Lesen Sie auch: Handel fürchtet sich vor neuem Lockdown: "Corona ist die Pest unserer Zeit" "Nie so wenig Leerstand wie heute" Corona-Lockdown Anfang 2021, 2G-Regel im wichtigen Weihnachtsgeschäft und Lieferengpässe - da liegt die Vermutung nahe, dass erste Geschäfte in der Gütersloher Innenstadt das Zeitliche segnen. "Tatsächlich aber hatten wir in den vergangenen zehn Jahren nie so wenig Leerstand wie heute", bestätigt Immobilienmakler Johannes Kaup, der mit seinem gleichnamigen Unternehmen zahlreiche Gewerbeimmobilien in der Dalkestadt vermittelt.Interessenten, wenn auch nicht massig viele, würden derzeit Schlange stehen, um sich mit ihrem Geschäft in der Gütersloher Innenstadt niederlassen zu können. Die Fluktuation von Gastronomien und Einzelhandelsgeschäften ist aktuell äußerst gering - wird aber doch mal ein attraktiver Standort in der City frei, sei ein Nachfolger in der Regel schnell gefunden, so Kaup. Frei wären im Moment lediglich je eine Verkaufsfläche in der Spiekergasse, Münsterstraße, Moltkestraße sowie in der Berliner Straße (ehemaliges Camp David). Aber auch für einige dieser Standorte befinde sich der Makler "in guten Gesprächen." Vermieter gehen mit der Miete runter Warum es trotz Corona derzeit nicht zu mehr Leerständen in Gütersloh kommt, erklärt sich Johannes Kaup mit der Kulanz einiger Vermieter. "Viele gehen während der Pandemie mit dem Preis runter." Das bestätigt auch Einzelhandelssprecher Rainer Schorcht. "Am Anfang der Pandemie haben einige Vermieter zwei bis drei Monate lang gar keine Miete verlangt. Auch jetzt verzichten sie auf bis zu 50 Prozent ihrer sonst üblichen Einnahmen." Markus Finke, Inhaber des gleichnamigen Modehauses, erklärt im Gespräch mit dieser Zeitung: "Jeder Vermieter in der Stadt handhabt das unterschiedlich. Es kommt dabei immer auf die Beziehung zum jeweiligen Mieter an." Laut Rainer Schorcht können sich die Einzelhändler in Gütersloh auch deswegen noch halten, weil viele Geschäfte über mehrere Generationen hinweg inhabergeführt sind. Beispielhaft nennt er das Schuhhaus Potthoff, die Augenoptiker Dodt und Knipschild sowie das Modehaus Wörmann und das Café Fritzenkötter. "Wenn in guten Zeiten finanziell nichts hängen geblieben wäre, hätten sie einiges falsch gemacht. Von diesen Rücklagen leben wir derzeit."Dies treffe auch auf das Fotogeschäft Schorcht zu, das bereits in dritter Generation geführt wird. Kurzarbeitergeld sowie KfW-Darlehen seitens der Bundesregierung stützen den Einzelhandel zusätzlich, so Schorcht. Auch Finke bestätigt, dass viele Geschäfte in Gütersloh aktuell noch von Rücklagen aus früheren Tagen zehren. Homeoffice macht Geschäften zu schaffen Christian Konuk führt gemeinsam mit seiner Frau Sonja die Salatbar an der Berliner Straße. Trotz Corona wollte das Paar im Oktober die Chance ergreifen und das Restaurant wiedereröffnen. Insbesondere das Mittagsgeschäft sei zunächst auch äußert gut angelaufen. Durch vermehrte Homeoffice-Regelungen seitens der umliegenden Arbeitgeber in den vergangenen Wochen aber geht die Kundschaft und damit auch der Umsatz merklich zurück. "Das verschärft unsere Lage", sagt Konuk. "Allein aus dem Rathaus kommen wegen dem Homeoffice deutlich weniger Kunden zu uns." Die für die Gastronomie ab Donnerstag, 13. Januar, geltende 2G+-Regelung könnte die Situation weiter zuspitzen. Wie die Salatbar leiden auch die übrigen Geschäfte in der Innenstadt unter der Arbeit zahlreicher Beschäftigter von Zuhause aus. Kurze Erledigungen und Käufe in der Mittagspause oder alternativ nach Dienstschluss fallen somit weg. So will Rainer Schorcht wegen immer neuer Hindernisse durch die Coronapandemie auch nichts von einem Rekordjahr 2021 wissen. "Wenn ich solche Nachrichten lese, treibt mir das die Zornesröte ins Gesicht", sagt er im Gespräch. 2021 profitierten vor allem Lebensmittelhändler Der Einzelhandelssprecher rechnet vor: "Von den 586 Milliarden Euro Umsatz 2021 fallen etwa 270 Milliarden Euro auf den Lebensmitteleinzelhandel zurück. Auch andere Geschäfte, wie beispielsweise Buchhandlungen, Süßwarenläden oder Drogeriemärkte, mussten während der Pandemie nicht schließen und machen einen erheblichen Anteil dieses Umsatzes aus." Schorcht kritisiert in scharfem Ton: "Keines dieser Geschäfte hat abgesehen vom Tragen der Maske auch nur irgendwas zur Eindämmung der Pandemie beigetragen." Nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland (HDE) liegen in den von Lockdown und Zugangsbeschränkungen betroffenen Bereichen die Umsätze in der Tat noch immer um bis zu 30 Prozent unter dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019. "Die Not ist hier beispielsweise im stationären Textilhandel nach wie vor groß. Die Bundesregierung muss deshalb rasche Anpassungen bei den Corona-Hilfen vornehmen", forderte jüngst HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Stationärer Einzelhandel leidet weiter Markus Finke sieht insbesondere in der Möbelbranche, dem Lebensmitteleinzelhandel sowie dem Onlinehandel die großen Gewinner der Pandemie. Der Stationäre Einzelhandel aber leide, anders als es Schlagzeilen rund um das Rekordjahr vermuten lassen, nach wie vor unter den Folgen der Pandemie."Die Auswirkungen werden wir erst in einem bis zwei Jahren sehen", ist er sich sicher. Schließlich sei die Kundenfrequenz in der Gütersloher Innenstadt stetig gesunken und befinde sich auch im Januar 2022 noch auf Tiefstwerten. Warum die Nachfrage nach leeren Verkaufsflächen in der Dalkestadt derzeit dennoch hoch wie lange nicht ist, vermag der Unternehmer nicht zu sagen. "Da muss ich mutmaßen. Ich kann es mir nicht erklären."

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