Gütersloh Kommentar zur Krise: Wie lange braucht man, um Pandemie zu lernen?

Gütersloh. &bdquo;Der ältere Mann zeigt nur wenig Symptome und befindet sich in häuslicher Quarantäne." Mit diesem Satz fing vor einem Jahr alles an. Am 4. März gab es im Kreis Gütersloh die erste bestätigte Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-Co-V-2. An dem Tag wurde die Abteilung Gesundheit im Kreishaus über ein positives Testergebnis informiert. Es war der 17. Fall in Nordrhein-Westfalen, der erste in der Region Ostwestfalen-Lippe. Und am nächsten Tag wurde alles widerrufen, weil ein Durcheinander von Ergebnissen und Laboren dazu geführt hatte, dass der erste Fall dann doch gar keiner war. Einen richtigen Stichtag werden wir also für dieses Jahresgedenken wohl nicht mehr ausmachen. Egal. Seit genau einem Jahr lässt uns das Thema nicht mehr los. 13.622 Corona-Fälle sind registriert, 262 Menschen sind im Kreis Gütersloh an und mit dem Virus gestorben. &bdquo;Es werden in einer solch dramatischen Lage natürlich auch Fehler gemacht", sagte Landtagspräsident André Kuper (CDU) aus Rietberg in dieser Woche. &bdquo;Wer hat schon Pandemie gelernt?" Keiner. Deshalb müssen Fehler verziehen werden, die Politik und Verwaltungen unter Umständen gemacht haben – immer in dem Bestreben, unsere Gesundheit zu schützen und das Richtige zu tun. Kann man Pandemie lernen? Ab welchem Zeitpunkt kann man Pandemie, wann hat man sie &bdquo;gelernt"? I-Dötze brauchen ein Jahr, um das Alphabet zu lernen, Azubis zwei oder drei Jahre, um einen Beruf zu lernen. Wenn es dann nicht irgendwann klappt, gibt es im Diktat ein rotes F für Fehler oder eine Rüge vom Chef. Wie aber ist die Lernkurve bei Pandemie und ab wann hat die Bevölkerung das Recht, gegenüber ihren gewählten Vertretern zu reklamieren, dass Fehler passieren? Ein Jahr nach Beginn der Pandemie, fünf Monate nach Beginn der zweiten Welle (welche im Kreis Gütersloh ja eigentlich die dritte Welle ist), blicken wir einander an und wissen: Wir stecken in einer unfassbaren wirtschaftlichen Existenznot, deren Ausmaß noch nicht zu greifen ist. Zugleich sind wir emotional und mental erschöpft, so erschöpft, dass es noch nicht mal für eine ordentliche Portion Wut reicht. Wen soll man auch anklagen in diesem Durcheinander von Vorschriften und Anweisungen von Bund, Land und Kommunen? Inzidenzgrenzwerte rauf, runter – was gilt noch mal? Die Gütersloher Lokalpolitik möchte gerne helfen und das ist aller Ehren wert. Jetzt soll ein Städtischer Fonds gegründet werden, um finanzielle Hilfen an Selbstständige ausgeben zu können, die ansonsten pleite zu gehen drohen. Wer das Geld dafür gibt? Vermutlich der Steuerzahler, aber Corona-Gewinner sollen auch einzahlen. Freiwillig. Man hofft auf Spenden, man appelliert an das soziale Gewissen. Auch den Kindern soll geholfen werden, damit die gravierenden Bildungslücken eines nahezu verlorenen Schuljahrs bei Bedarf durch eine Ferienschule ausgeglichen werden. Auch für dieses ehrenhafte Projekt werden Gelder benötigt, die Stadt soll prüfen, woher die kommen könnten. Welche Fördermittel – also Steuergelder – man abgreifen kann und welche Studenten oder Hilfskräfte dafür zur Verfügung stehen. Grundsätzliches sollte verstanden sein Starrt man zu lange auf das Problem, verstellt sich der Blick für die Lösungen. In den Osterferien könnte man schon los legen, wenn pragmatisch gehandelt und die vorhandenen Möglichkeiten genutzt würden: Lehrern stehen rechtlich 30 Tage Erholungsurlaub pro Jahr zu, auch wenn sie das selbst womöglich bei 62 Schulferientagen nicht so genau nachrechnen. Paragraf 14 der allgemeinen Dienstordnung besagt: &bdquo;Ferienzeiten, die über den Urlaubsanspruch hinausgehen, dienen der Fort- und Weiterbildung, der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, sowie der Wahrnehmung anderer dienstlicher Verpflichtungen, beispielsweise der organisatorischen Vorbereitung des neuen Schuljahres." Im Kreis Gütersloh sind im Schuljahr 2019/20 an privaten und öffentlichen Schulen (außer Berufskollegs) 3.725 Lehrerinnen und Lehrer beschäftigt gewesen. In der Stadt Gütersloh sind es 1.145. Ließe sich auf dieser Grundlage nicht verdammt viel für die Kinder tun? Und wäre das nicht ein angemessener solidarischer Akt von einer Personengruppe, die zu keiner Zeit in der Pandemie um ihren Job bangen muss? Ein Jahr Pandemie sollte genug Lernzeit sein, um das Grundsätzliche verstanden zu haben und sich danach auszurichten. Es ist die Zeit gekommen, aktiv einen Schritt nach vorne zu gehen. Die Tests werden sich weiter entwickeln, die digitalen Techniken, die Datenbanken – aber was ist mit den Menschen? Die Älteren waren im Mittelpunkt unserer Sorge. Jetzt gilt es auf all die anderen zu blicken, maximal pragmatische Lösungen zu schaffen im Rahmen unserer kommunalen Möglichkeiten. Auch Schüler über 16 der Jahrgänge 10 sollten auf die Warteliste der Restimpfdosen, damit sie eine Chance haben, ihr Leben zu gestalten. Wir beklagen den Verlust vieler älterer Menschen. Dabei gilt noch eine andere Devise: Kein Kind verlieren!

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