Gütersloh Gütersloher Bloggerin schreibt Buch über Demenz: "Ich wünsche mir Roboter"

Gütersloh. &bdquo;Als die Demenz bei uns einzog und ich mir einen Roboter wünschte", heißt das Buch, das sich die Politikwissenschaftlerin und Bloggerin Anke Knopp von der Seele geschrieben hat. Eigentlich sind es zwei Bücher: In den &bdquo;Innenansichten eines &bdquo;Demenzalltags" erzählt sie, wie gleich zwei akute Fälle in der Familie ihr eigenes Leben, ihre Ziele und Träume innerhalb kürzester Zeit radikal auf den Kopf stellen sollten. Sie beschreibt, wie die Erkrankung die Persönlichkeit der Betroffenen verändert, Angehörige überfordert und auch das Leben der Gesunden kapert. Im zweiten Schwerpunkt des Buches verknüpft die bekennende Digitalenthusiastin die Probleme, vor denen das Pflegesystem bei der Versorgung von demenziell Erkrankten steht, mit der Perspektive der Digitalisierung. Ihr Steckenpferd. Anke Knopp geht die Sache pragmatisch an und fragt: Welche Technologien gibt es bereits und warum nutzen wir sie nicht, wenn uns das doch in der Pflege und beim Alterungsprozess insgesamt entlasten könnte? Ihre Visionen sind die Konsequenz aus leidvollen Erfahrungen: Acht lange Jahre hat Anke Knopp ihre Tante Lilo durch alle Phasen der Demenz begleitet. In besseren Zeiten hatte sie versprochen, sich zu kümmern. Doch jetzt, wo der Sohn gerade ausgezogen ist und statt dem Kombi ein englischer Oldtimer vor der Tür steht, wird sie einen hohen Preis bezahlen, um dieses Versprechen einzulösen. "Heute würde ich diese Zusage nicht noch einmal so bedingungslos geben" &bdquo;Heute würde ich diese Zusage nicht noch einmal so bedingungslos geben", stellt sie ernüchtert fest. &bdquo;Solche Verträge sind eine Wette mit dem Tod – auf jeden Fall aber auf die eigene Zukunft, jedenfalls für den, der einmal wird pflegen müssen. Das war ich." Denn alle anderen aus der Familie hatten sich aus dem Staub gemacht, als ihnen klar wurde, dass es nichts zu erben gab. Anke Knopp war 50 und saß in der Falle, wie so viele Frauen. Ungeschminkt beschreibt sie, wie die fortschreitende Demenz ihrer Tante Lilo am Ende in einem &bdquo;Leben ohne Geist" mündet und sich das Verhältnis zwischen ihnen langsam verändert. &bdquo;Wir beide wuchsen an unseren neuen Aufgaben. Lilo erwartete tapfer das Vergessen. Sie verschwand in einer anderen Zeitsphäre." Der Pflegealltag bestimmte jetzt alles. &bdquo;Die eigene Lebensperspektive verengt sich: Jeden Tag, an dem ich im Heim als Angehörige mithelfe, wird mir vor Augen geführt, wo ich selbst einmal landen werde, vielleicht in gar nicht so ferner Zukunft. Wer wäre dann für mich da? Ein Roboter oder ein Mensch aus Fleisch und Blut?" Während man in der gesellschaftlichen Diskussion noch um die Frage der Ethik ringt, hat Anke Knopp sich längst entschieden: Sie wünscht &bdquo;jedem Menschen einen Roboter", so wie sich selbst einen gewünscht hat, als der Demenzpflegealltag begann, sie zu zermürben. Wäre der Einsatz von Pflegerobotern also Erleichterung und Wohltat – oder gefährlich? Warum sollte "Pepper" nicht schon jetzt einspringen? Folgt man der Autorin, ist es eher unethisch, wie es jetzt läuft. In der Pflege gibt es wenig Zeit und kein Personal – warum sollte &bdquo;Pepper" also nicht schon jetzt einspringen? Dieser humanoide Roboter kann Menschen und ihre Gestik analysieren und reagiert auf Emotionen. Von seinen Entwicklern als &bdquo;Roboter-Gefährte" konzipiert, wäre er für die Bewohner zumindest mehr Gesellschaft und Beschäftigung als keine. Anke Knopp sieht es ganz realistisch: Menschen, die helfen, werden immer weniger – und Roboter werden in Zukunft immer mehr Hilfe leisten können. So einer wie &bdquo;Pepper" wäre ein nimmermüde zuhörender Gesprächspartner und Geschichten vorlesen könnte er auch. Im Juni ist Tante Lilo gestorben, da war das Buch gerade frisch gedruckt. Jetzt ist es ihr Vermächtnis, das einem an vielen Stellen die Tränen in die Augen treibt – manchmal zum Glück aber auch, weil man einfach lachen muss. &bdquo;Das Buch kommt einem teilweise sehr nahe, es ist an vielen Stellen eine Zumutung. Aber ich belohne den Leser auch damit, dass ich Mut mache und sage: Humor und Empathie helfen, denn damit wachsen einem ungeahnte Kräfte", sagt die Autorin selbst. ´ Anke Knopp: &bdquo;Als die Demenz bei uns einzog und ich mir einen Roboter wünschte", ibidem Verlag, 240 S., 24,90 Euro. Anke Knopp im Interview Frau Knopp, Sie verbinden in Ihrem Buch die Erfahrungen, die Sie im Pflegebereich mit der engen Begleitung demenziell erkrankter Angehöriger gemacht haben, mit dem Themenkomplex der Digitalisierung. War Ihnen einer dieser Bereiche beim Schreiben wichtiger? Anke Knopp: Nein, ich sehe beide 50:50. Ich bin in diese Pflegeaufgabe rein biologisch gedrängt worden, weil es meine Verwandte ist, meine Tante. Auf der anderen Seite bin ich seit Jahren als Hardcore-Digitalenthusiastin unterwegs. In mir bündelt sich sozusagen das Management von Vergangenheit und Gegenwart – und die große Lust, die Zukunft digital zu gestalten. Es lag für mich also nahe, diese beiden Säulen in meinem Buch zusammenzubringen. Wünschen Sie sich immer noch einen Roboter? Knopp: Ich wünsche mir nicht nur einen Roboter, sondern auch einen Avatar, jede Art von mitdenkender Technik im Haus und jede Art von Unterstützung, die diese neue smarte Technik mitbringt – weil sie die einzigen Hilfsmittel sind, die mich als sorgende Angehörige und insbesondere als Frau vor dieser unbezahlten Care-Arbeit schützen wird. Alle anderen helfen ja nicht. Ist das nicht eine Art Offenbarungseid? Knopp: Unsere Gesellschaft sieht zu, wie wir eine alternde Gesellschaft vor Augen haben, aber alles beim Alten lassen. Der Hauptanteil der Care-Arbeit bleibt undiskutiert und unbezahlt bei den Frauen, die sowieso schon schlechter bezahlt werden und später in der Rente große Abstriche haben. Die Gesellschaft bemüht sich aber gar nicht erst, andere Strategien zu entwickeln als das, was man traditionell nach den Mustern kennt. Ja, das ist ein Offenbarungseid – denn wir hätten eine Menge Ideen und Möglichkeiten, aber die kommen nicht zur Marktreife, weil vielleicht auch die Lobbyarbeit der Frauen zu klein ist. Sie sind sehr digitalaffin. Viele Menschen beobachten die Digitalisierung in der Pflege jedoch mit großer Sorge. Wo liegen die Risiken? Knopp: Das größte Risiko ist, dass es dazu bisher keine Erfahrungswerte gibt. Es gibt keine Bilder, die diese Zukunft in der Kooperation Mensch-Maschine beschreiben, die einladend sind. Eigentlich bestehen nur Angstbilder durch den Datenschutz oder die Einschätzung, dass Maschinen dann die Entscheidungen übernehmen. Das stimmt auch bis zu einem gewissen Maß, aber wir sind jetzt in der hervorragenden Situation, dass wir diese Zukunft gestalten könnten. Und zwar nach den Kriterien, Mustern und Ideen, wie wir das gerne hätten. So zu tun, als müssten man sich darum nicht kümmern und den Kopf in den Sand zu stecken, ist die schlechteste Variante. Ich möchte gerne, dass man in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit darauf legt, was alles möglich wäre. Wir brauchen Labore und Freifeldversuche, um das auszuprobieren. Es müssten mehr Menschen sensibel dafür sein, dass das Hilfe sein kann und die digitale Souveränität lernen – auch die Generation 50 plus, denn sie wird die Generation sein, die mit dieser digitalen Technik in der Pflege als nächstes konfrontiert wird. Womit würden Sie denn konkret anfangen? Knopp: Ich würde mir ein Smarthome einrichten. Das nächste Testfeld wäre meine Mutter, die ist jetzt 82. Da würde ich auf jeden Fall smarte Technik in den Haushalt einbauen, das heißt: Wenn sie lange autonom zu Hause leben möchte, würde ich mit ihr zusammen überlegen, digitale Kommunikation einzubauen – bis hin zu Videoüberwachung an bestimmten Punkten, so dass ich aus der Ferne sehen kann, ob sie noch vital ist. Außerdem würde ich auf jeden Fall digitale Kochhilfen einbauen, die es ihr lange ermöglichen, selbst kochen zu können, ohne einen Wohnungsbrand zu verursachen. So etwas wie einen Thermomix? Knopp: Nein, viel weiter. Es gibt ja schon intelligente Küchen, die vorschlagen, was ich zu kochen habe, weil sie meine Vitalwerte kennt. Und es gibt auch schon Roboterarme, die kleine Menüs zubereiten können. Ich muss also nicht groß aktiv sein, habe aber das Gefühl, ich versorge mich noch selbst. Und in der Gesundheitsindustrie würde ich sofort mit dem Gebot &bdquo;digital first" anfangen: Es gibt kein Gramm Papier mehr. Weder als Rezept noch als Pflegedokumentation und es gäbe auch keine Lauferei mehr für Frauenbeine – ob zum Arzt, zur Apotheke oder zur Verordnungsabholung. Das liefe alles digital, alles andere wäre nicht mehr denkbar. Ein bisschen klingt das aber auch nach einem Gruselszenario. Denn das eigentliche Problem ist doch, dass die Pflege selbst und auch ihre Dokumentation in vielen Bereichen häufig mangelhaft ist. Knopp: Wir verlangen viel Dokumentation für jeden Fitzel an Arbeit. Das ginge digital viel besser. Wir brauchten diesen ganzen handschriftlichen Kram nicht und so bliebe viel mehr Zeit für soziale Interaktion zwischen Mensch und Mensch. Wir überfrachten die Pflegekräfte mit viel Trallalla, damit sie nicht verklagt werden, wenn irgendwo ein kleiner Fehler auftaucht und nehmen damit den Menschen die Zeit für Menschen. Das kann es nicht sein. Digitalisierung ist immer ein Hilfsmittel, um die soziale Interaktion einfacher zu machen und dafür mehr Raum zu schaffen. Ich brauche kein Pflegepersonal, das die Wäsche sortieren muss, denn das kann irgendwann ein Roboter machen, wenn alle Kleidungsstücke mit einem Chip versehen sind. Und die Pflegerin kann in dieser Zeit mit einem Menschen Händchen halten, mit ihm lachen oder Spaß haben. Das kann ein Roboter bisher noch nicht leisten. Es geht um beides: Digitalisierung und Liebe – aber bislang haben wir nur unbezahlte Sorgearbeit und Überbelastungen. Das Thema Ihres Buches ist bedrückend und hart, aber Sie beschreiben auch viele skurrile Situationen mit großem Humor. Wie wichtig ist es, den nicht zu verlieren? Knopp: Humor ist essenziell, denn er ist menschlich. Demenz bedeutet ein Leben außerhalb der Norm und das ist etwas, das in unseren Zeiten eigentlich gar keinen Raum hat. Bei uns ist alles auf Höchstleistung optimiert, aufs Gelingen und den Erfolg. Die DNA von Demenz ist jedoch Scheitern, Skurriles und das Ungewisse. Darauf muss man sich einlassen und es ist in höchstem Maße menschlich. Welche Leser wünschen Sie sich für Ihr Buch? Knopp: Alle, die das jetzt schon leisten, um ihnen zu sagen: Ihr seid nicht alleine und es gibt dahinten am Horizont einen blauen Streifen, der helfen kann. Ich wünsche mir aber auch Menschen als Leserschaft, die schon jetzt ahnen, dass sie in diese Situation der Pflege rutschen werden. Ich wünsche mir aber auch ganz viele Leser, die eine Lobby für die Idee werden, dass man Digitalisierung und Empathie in der Pflege zusammendenken kann. Damit sich endlich was bewegt in Deutschland.

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